Auf biblischer Spurensuche

Das Johannesevangelium ist ein zentraler Text des christlichen Glaubens. Seine Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte gibt bis heute zahlreiche Rätsel auf. Hans Förster vom Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie begibt sich mit seinem FWF-Projekt, das in den größeren Forschungszusammenhang der gesamten koptischen Bibelüberlieferung eingebettet ist, auf eine spannende geschichtliche Spurensuche. Diese liefert einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung einer kritischen Edition der sahidischen Version des Johannesevangeliums.

"Trotz ihrer textgeschichtlichen Bedeutung sind bisher nur von sehr wenigen Schriften des Neuen Testaments kritische Editionen der koptischen Überlieferung vorhanden. Die Erforschung der sahidischen Überlieferung des Johannesevangeliums - einem Dialekt des Koptischen - ist bislang noch ein Desiderat sowohl der koptologischen als auch der neutestamentlichen Forschung", erklärt Hans Förster vom Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie. Genau hier setzt er mit seiner forscherischen Arbeit an, deren Ergebnisse in ein umfassendes internationales Editio-Critica-Maior-Projekt des Johannesevangeliums einfließen und damit für weiteste Kreise der Bibelwissenschaft fruchtbar gemacht werden.

"Verlorene" Textvarianten …

Neben der übersichtlichen Aufbereitung aller Varianten ist ein weiteres wesentliches Ziel des Projekts die sprachliche und textkritische Analyse. Diese soll klären, welche griechische(n) Textversion(en) als Vorlage für die sahidische Fassung diente(n). "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die koptische Überlieferung als Zeuge einer ägyptischen Textform auch Varianten des griechischen Textes überliefert, die bisher nicht aus griechischen Handschriften bekannt sind“, meint Hans Förster. Schließlich sei nur ein Bruchteil der antiken Handschriften erhalten.

Um diesen "verlorenen" Varianten auf die Spur zu kommen, werden alle bekannten Handschriften des Evangeliums - sechs vollständige und rund 190 bruchstückhafte - herangezogen und in mühevoller Kleinarbeit kollationiert. Hierfür werden die Texte zunächst gründlich durchgelesen, um eine genaue schriftliche Dokumentation ihrer jeweiligen Inhalte erstellen zu können. In einem nächsten Schritt werden dann die einzelnen Ergebnisse miteinander verglichen und Diskrepanzen gesucht.

… und unterschiedliche Übersetzungen

Das Aufspüren von inhaltlichen Unterschieden sieht Förster allerdings lediglich als einen ersten Schritt seines Forschungsinteresses: "Ich möchte nicht nur zeigen, welche verschiedenen Varianten es innerhalb der koptischen Überlieferung des Johannesevangeliums gibt, sondern versuche zudem auch zu klären, was den betreffenden Übersetzer dazu bewegt hat, eine abweichende Variante des Vorbilds anzufertigen." So gilt es etwa zu untersuchen, ob dem Übersetzer bzw. Kopisten unter Umständen Fehler unterlaufen sind, oder ob er bestimmte Textpassagen bewusst abgeändert haben könnte, um deren Aussage zu manipulieren. Auch kann es schon einmal vorkommen, dass einzelne Stellen komplett weggelassen oder völlig neue hinzugefügt wurden.

Digitale Puzzlestücke

Bevor der Forscher diesen spannenden Fragen nachgehen kann, muss er sich zunächst auf die zumeist sehr zeit- und arbeitsintensive Suche nach den verschiedenen koptischen Handschriften des Johannesevangeliums begeben, deren Einzelblätter über die ganze Welt zerstreut sind. "Es sind eine ganze Reihe vollständiger und fragmentarischer Handschriften überliefert, die von KollegInnen über die Jahre zusammengetragen und digitalisiert worden sind", erläutert Förster. Zwei vollständige Exemplare liegen in Dublin, ein weiteres in Barcelona und ein fast vollständiges im koptischen Museum in Kairo.

In der Praxis ist es allerdings nicht immer einfach, alle digitalen Puzzlestücke einer Handschrift zusammen zu führen. Ein Grundproblem ist das fehlende Wissen darüber, was in den Bibliotheken eigentlich liegt. Die dortigen Inventare sind oft nicht mehr als numerische Listen. Der Forscher weiß dann nur, dass es eine Handschrift gibt, aber nicht, was diese genau enthält und wo sie einzuordnen ist. Hinzu kommt der Umstand, dass die Bibliotheken traditionell sehr vorsichtig sind, was den Umgang mit alten Handschriften betrifft. "Man bekommt meist nur eine bestimmte Anzahl an Objekten an einem Tag ausgehändigt. Ohne Verhandlungsgeschick und Geduld kommt man nicht sehr weit", schildert Förster die Schwierigkeiten seiner Arbeit.

Faszination und Leidenschaft

Der voranschreitende Digitalisierungsprozess hat zwar mittlerweile einige gravierende Verbesserungen für die Arbeitsprozesse der Bibelforschung gebracht - zum Beispiel eine schnellere Verfügbarkeit der Texte, die leichtere Abwicklung internationaler Kooperationen oder eine wesentlich höhere Bildauflösung. Wer sich wirklich ernsthaft auf wissenschaftlicher Ebene mit alten Bibelschriften befassen möchte, muss aber dennoch auch heute noch über eine gehörige Portion Leidenschaft verfügen, um die besonderen damit einhergehenden Hindernisse und Herausforderungen zu meistern.

Im Fall von Hans Förster geht diese Leidenschaft bereits auf die Studienzeit zurück: "Zur Arbeit mit alten handschriftlichen Texten bin ich schon während meines Studiums gekommen als ich verschiedene papyrologische Lehrveranstaltungen besucht habe. Damals habe ich eine besondere Beziehung zu alten Handschriften entwickelt, die mich seitdem nicht mehr losgelassen hat. Wer keine wirkliche Faszination für diese Tätigkeit mitbringt, gibt früher oder später einfach auf“, so der Wissenschafter. (ms)

Das FWF-Projekt "Die sahidische Version des Johannesevangeliums" von Mag. Dr. Hans Förster vom Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät läuft vom 1. Jänner 2010 bis zum 31. Dezember 2012.