Ozean

Eine fast perfekte Beziehung

4. Dezember 2019 von Hanna Möller
In der slowenischen Nordadria leben Wimpertierchen und Schwefelbakterien in harmonischer Wechselbeziehung zusammen. Wie diese fast perfekte Partnerschaft auf veränderte Bedingungen reagiert, untersuchen Monika Bright und ihr Team am Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie der Uni Wien.

Auf Holz und Walskeletten, an Torfwänden von Mangroveninseln oder auf faulenden Seegrasblättern – klingt nicht gerade heimelig, Wimpertierchen (Ciliaten) und Schwefelbakterien leben hier aber besonders gerne zusammen. Was diese Unterwasserlebensräume zur Top Adresse für ihre Wohngemeinschaft macht, ist das hohe Vorkommen an Schwefelwasserstoff – jenes Gas, das nach faulen Eiern riecht und im Abbau von Biomasse entsteht. Die Bakterien nutzen den Schwefelwasserstoff, um Kohlenstoff zu fixieren. Sie ernähren damit nicht nur sich, sondern auch die Wimpertierchen, mit denen sie in Symbiose zusammenleben.

Ciliaten
Ciliaten (Wimpertierchen) leben meist einzellig, aber die Art im Fokus von Monika Bright bildet Kolonien: Eine Ciliatenkolonie besteht aus hunderten bis tausenden der 100 Mikrometer winzigen Ciliatenzellen. "Ihre Anordnung ähnelt einem Christbaum", findet Monika Bright: "An der 'Tannenspitze' sitzt der Schwärmer, der die Kolonie durch Zellteilung gegründet hat." Auch sonst herrscht strikte Rollenverteilung: Neben dem Schwärmer gibt es Fresszellen, die sich nur mit der Nahrungsaufnahme beschäftigen, und Teilzellen, die für die asexuelle Vermehrung zuständig sind. © Monika Bright

Unter welchen chemischen Bedingungen das Miteinander von Ciliaten und Schwefelbakterien besonders gut funktioniert, untersuchen die Meeresbiologin Monika Bright und ihr Team der Universität Wien in der slowenischen Nordadria. Dazu versenken die ForscherInnen geschichtete Holzblöcke ("Biological Recruitment Grids") im Seichtwasser, wo sie für insgesamt drei Jahre bleiben und zu verschiedenen Zeitpunkten für Messungen und Erhebung der Fauna und Flora geborgen werden.

Die Idee dahinter: Die Holzblöcke werden rasch von Mikroorganismen, Tieren und Algen besiedelt. Je nach Zerfallszustand des Holzes (Degradationsphase) setzt sich die mikrobielle Gemeinschaft aus unterschiedlichen Lebewesen zusammen. Im Labor werden die Blöcke in ihre einzelnen Schichten zerlegt, in Alkohol fixiert, sequenziert und die ansässigen Arten bestimmt: "Vor allem im Sommer finden wir auf diese Weise unglaublich viele Beispiele für die Schwefelbakterien-Ciliaten-Symbiose", erklärt Bright.

Forscherin entdeckt Wimperntierchen unter Wasser
Mit bloßem Auge ähneln die Wimpertierchen "kleinen weißen zuckenden Fäden, die nach nichts ausschauen", doch sie bestreiten ihr Leben in einer hochkomplexen Symbiose mit Schwefelbakterien. © Monika Bright

Kalte Schulter in der kalten Jahreszeit

Während viele Lebewesen bei kälteren Temperaturen gerne zusammenrücken, halten es Ciliaten und Schwefelbakterien genau andersherum: Im Winter herrscht in ihrer Beziehung Funkstille. Sie trennen sich, um erst im Frühling erneut zueinander zu finden. Für Monika Bright, die sich bereits seit Jahren mit den Eukaryoten beschäftigt, ist die saisonbedingte Trennung von den Symbionten nach wie vor "ein Mysterium".

Sie will der rätselhaften Symbiose mit High Tech Methoden auf den Grund gehen: "Unsere Schwefelbakterien-Symbiose ist die einzige, die gezüchtet werden kann. In Durchflussaquarien können wir die chemische Zusammensetzung von Schwefelwasserstoff, Sauerstoff und anderen anorganischen und organischen Nährstoffen verändern und schauen, wie Wirt und Symbiont darauf reagieren. Die genaue Auswertung erfolgt über das Genexpressionsmuster, und Untersuchungen am NanoSIMS. Das Gerät schafft nanoskalige Abbildungen der elementaren Zusammensetzung, weltweit gibt es nur wenige dieser Geräte. In Kombination mit unseren In Situ-Experimenten in Slowenien wollen wir so das optimale Mischverhältnis für die Symbiose ausfindig machen."

Wie du mir, so ich dir

Die unromantische Wahrheit: Die Beziehung der Ciliaten und Schwefelbakterien lässt sich mit der Spieltheorie erklären. Die "Kosten" der beiden Parteien, die bei der Versorgung des jeweiligen Partners anfallen, müssen zumindest deckungsgleich zu ihrem persönlichen Nutzen sein. In der Natur ist es oftmals so geregelt, dass die Symbionten etwas austauschen, das sie ohnehin nicht brauchen – unliebsame Nebenprodukte also. Diesen sogenannten "Byproduct Mutualism" vermuten Bright und ihre KollegInnen nun auch im Fall der Ciliaten-Schwefelbakterien-Verbindung.

"Wir konnten im Labor Bedingungen kreieren, unter denen der Symbiont weniger oder mehr Kohlenstoff fixieren kann. Ganz egal, wie viel Futter er produziert, die Menge, die er an den Wirt abgibt, bleibt immer relativ gleich. Weder behält sich der Symbiont mehr, noch nimmt sich der Wirt mehr, wenn weniger Futter vorhanden ist", erklärt die Projektleiterin und vermutet: "Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei der Abgabe von Futter um einen passiven Prozess, den die Schwefelbakterien nicht steuern können – etwa ein Leck in den Membranen. Davon profitiert der Wirt und es entstehen keine extra Kosten für den Symbionten."

Im Gegenzug sind die Bakterien Nutznießer von den Zuckbewegungen ihres Wirts – eine Angewohnheit vieler Ciliaten: Durch die schnelle Bewegung wird das Meerwasser rund um den Ciliaten ausgetauscht und der Pool an Sauerstoff aufgefrischt. Dabei kommt er mit Schwefelwasserstoff in Verbindung und ermöglicht quasi nebenbei, dass die Schwefelbakterien zu ihrer Nahrungsquelle gelangen. Ganz ohne Gegenleistung geht es nun mal auch in der Natur nicht.

Das FWF-Projekt "Auswirkungen der Umwelt auf den Ciliaten Mutualismus" unter der Leitung von Monika Bright vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien läuft von August 2019 bis Juli 2023. 

© Wilke
© Wilke
Monika Bright ist seit 2011 Professorin für Zoologie und Meeresbiologie an der Fakultät für Lebenswissenschaften. Ihre Forschungsschwerpunkte sind chemoautotrophe Symbiosen sowie die Ökologie und Faunistik von chemosynthetischen Tiefseelebensräumen.