Hot-Spots im Tiefenwasser

Thomas Reinthaler ist Meeresbiologe an der Universität Wien: Er erforscht die Aktivität von Bakterien in ganz speziellen Regionen der Tiefsee – den Durchmischungszonen.

Nordatlantik. Irgendwo zwischen 64 und 65 Grad Nord. Für Nicht-Seeleute: Grönland. Thomas Reinthaler ist Teil einer Forschungsexpedition. "Wir fahren innerhalb eines Monats große Strecken ab, nehmen alle 100 Kilometer Proben und holen dabei jede Menge Meerwasser aus der Wassersäule. Dann geht es weiter zur nächsten Station", erzählt der Wissenschafter vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie. Und zur nächsten, und zur nächsten… am Schluss werden es an die 24 sein. Die Wasserproben braucht Reinthaler für sein FWF-Projekt Aktivität von Prokaryoten in Ökotonen der Tiefsee.

Aktive Bakterien


"Heute wissen wir, dass Bakterien viel zur Remineralisation von organischem Material, das in die Tiefsee sinkt, beitragen", sagt der Meeresbiologe. Bis vor etwa 20 Jahren ist man noch davon ausgegangen, dass die Bakterien in der Tiefsee praktisch gar nichts tun. "Da ist nichts zum Leben, das sind leere Hüllen oder sie schlafen, dachte man. Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass die Bakterien in der Tiefsee doch sehr aktiv sind." Und genau diese Aktivität interessiert Reinthaler.



Das Forschungsschiff "Pelagia" fährt große Strecken des Nordatlantiks ab. Mit Hilfe von Röhren holen die WissenschafterInnen alle 100 Kilometer Proben an Bord.



Der Meeresbiologe muss nicht abtauchen, um zu seinen Erkenntnissen zu kommen, sondern arbeitet mit einem speziellen Gerät. "Es handelt sich um einen Metallrahmen, an dem Röhren befestigt werden", sagt er. Das Ding wird einfach im Meer versenkt und bringt Proben aus den gewünschten Tiefen nach oben. Alles zwischen 200 und 5000 Metern interessiert in. Tiefer Ozean eben.

Gebirge der Tiefsee

Wobei: ALLES ist nicht ganz korrekt. Fronten oder Ökotone der Tiefsee sind Reinthalers bevorzugtes Forschungsgebiet. Das sind Gebiete, in denen Wassermassen mit unterschiedlichen Eigenschaften aufeinandertreffen, so z.B. über Gebirgsgraten, in Canyons und Bruchzonen des mittelozeanischen Rückens. Doch warum? Dort vermutet er erhöhte Diversität und Aktivität der mikrobiellen Gemeinschaft.

Reinthaler schildert: "Die Charlie-Gibbs Bruchzone ist eine der größten Wasseraustauschzonen zwischen östlichem und westlichem Atlantik. Zwischen Grönland, Island und Norwegen sinkt ein größerer Teil des Wassers als Nordatlantisches Tiefenwasser auf bis zu 2500 Meter, weil es eine relativ höhere Salinität hat." Dabei nimmt es auch Bakterien und alles mögliche andere von der Meeresoberfläche mit nach unten. Das Labradorseewasser wird in der Labradorsee zwischen Grönland und Kanada gebildet und trifft von Westen kommend in der Charlie-Gibbs Bruchzone auf das Nordatlantische Tiefenwasser.

Beim Aufeinandertreffen der beiden Wassermassen bildet sich eine Durchmischungszone. Die Idee ist, dass sich dort auch das organische Material mitsamt den unterschiedlichen mikrobiellen Gemeinschaften mischt und es dabei zu Hot-Spots der metabolischen Aktivität kommt." In Laborversuchen habe die Bakterienproduktion jedenfalls zugenommen.

Die Analysen

Nachdem Reinthaler bereits einige Expeditionen hinter sich hat, weiß er sehr genau, welche Wassermassen er wo finden wird. Salinität und Temperatur verraten dem Forscher schon auf dem Schiff, wo sich die gesuchten Tiefsee-Wassermassen befinden.

Bis zu 500 Liter werden in 24 Flaschen an Bord gehievt. "Ich alleine brauche nicht so viel Wasser, aber wenn wir auf Expedition gehen, haben wir doch einige Parameter zu messen, etwa den Sauerstoffgehalt des Wassers, Nährstoffe, bakterielle Zellzahl, Enzymaktivität. Zusätzlich machen wir biogeochemische Analysen, z.B. bestimmen wir den gelösten organischen Kohlenstoff. Für Metagenomanalysen brauchen wir sehr viel Wasser – 200 bis 400 Liter. Das heißt, die 500 Liter gehen da schon schnell mal weg." Also achtet Reinthaler darauf, dass er sich die 200 Milliliter für seine Analysen sichert. "Ich nehme die Probe, dann verschwinde ich in meinem Radioaktiv-Container auf dem Schiff."


Im Labor versucht Reinthaler herauszufinden, wie aktiv die Bakterien der Tiefsee tatsächlich sind. Das misst der Wissenschafter mit einer speziellen Methode: "Wir füttern ihnen radioaktiv markiertes Leucin. Anhand der Aufnahme des radioaktiven Materials kann ich dann abschätzen, wieviel Leucin sie aufnehmen, und somit berechnen, wieviel Kohlenstoff die Bakterien einbauen."



Erste Ergebnisse

In seinem FWF-Projektantrag formulierte Reinthaler, dass er "die Aktivität von Prokaryoten unter anderem durch Messungen der heterotrophen Biomasseproduktion, der ektoenzymatischen Aktivität, der Respiration sowie der Genexpression" erforschen wolle. "Die daraus gewonnenen Daten werden einen detaillierten Einblick in den durch Prokaryoten der Tiefsee maßgeblich beeinflussten Kreislauf organischer Stoffe erlauben. Im Kontrast zur herkömmlichen Ansicht soll die Heterogenität in der Umsetzung organischer Stoffe der Tiefsee beleuchtet werden, denn die erhöhte Aktivität der Prokaryoten in den Mischungszonen, zusammen mit der Häufigkeit dieser Zonen, könnte die Stoffkreisläufe in weiten Teilen der Tiefsee beeinflussen."

Und wie sehen die ersten Ergebnisse aus? Er habe tatsächlich erhöhte Raten von Bakterienaktivität in diesen Durchmischungszonen gefunden. "Über den Effekt auf die Biodiversität können wir noch nicht viel sagen. Einige Proben müssen noch aufgearbeitet werden. Speziell die Metagenomanalysen sind langwierig. Und es dauert sicher noch ein paar Monate, bis wir zu einem endgültigen Schluss gekommen sind." Also viel Computerarbeit? "Ja, Kastlaugen", scherzt er.

Das FWF-Projekt "Aktivität von Prokaryoten in Ökotonen der Tiefsee" läuft von 1. Mai 2011 bis 31. Oktober 2014 unter der Leitung von Mag. Dr. Thomas Reinthaler vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie der Universität Wien.