Margarethe Kusenbach: Zur Wirkung öffentlicher Kunst

Margarethe Kusenbach vor einem Graffiti

Im Sommersemester hat Margarethe Kusenbach von der University of South Florida die Fulbright Gastprofessur an der Fakultät für Sozialwissenschaften inne. Im Interview berichtet sie, wie sie als Stadtsoziologin die Universität Wien und die Stadt wahrnimmt.

uni:view: Frau Kusenbach, Sie lehren als Fulbright Gastprofessorin ein Semester lang an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Uni Wien. Bevor wir zu Ihrer wissenschaftlichen Expertise kommen: Wie schwierig war es, in dieser Pandemie-Zeit aus den USA nach Wien zu reisen?
Margarethe Kusenbach: Durch die Pandemie waren die Reise von Florida und die vielen Auflagen, zum Beispiel bezüglich COVID Tests und Quarantäne, in der Tat kompliziert! Da ich bei meiner Einbürgerung in den USA vor 15 Jahren meine deutsche Staatsbürgerschaft beibehalten habe, benötige ich für einen Aufenthalt in Österreich allerdings kein Visum, was für meine Fulbright-Kolleg*innen mit Abstand die größte Hürde war. Hier in Wien werden wir bestens von Fulbright Austria betreut, aber vor und während der Reise haben wir "Fulbrighter" uns untereinander sehr geholfen, und wir verbleiben natürlich in Kontakt. Dies ist mein zweiter Fulbright Grant und daher bin ich mit der Grundstruktur schon vertraut. Zusätzlich erleichtert mir natürlich das Wegfallen der Sprachbarriere den Aufenthalt, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass Österreich für mich ein neues Land ist – und nach über 25 Jahren in Nordamerika in mancher Hinsicht auch ein unbekannter Kulturraum.

Veranstaltungstipp zum Thema: Unterwegs dabei
Der Vortrag von Margarethe Kusenbach am 17. Mai 2021, 15-17 Uhr, untersucht die Merkmale mobiler Forschungsmethoden, insbesondere der sogenannten Go-Alongs, bei denen Forscher*innen z.B. beim gemeinsamen Spazierengehen mobile Interviews führen. Es wird gezeigt, dass – und wie – Go-Alongs aufgrund ihrer lebensweltlichen und phänomenologischen Ausrichtung neue Themen und Herangehensweisen erschließen und so den sozialwissenschaftlichen Methodenkanon gewinnbringend erweitern. Online Veranstaltung: Übertragung via Live-Stream, dieser wird am Tag der Veranstaltung online gestellt. Nähere Informationen

uni:view: Ihre Forschungsschwerpunkte sind Stadtsoziologie, Sozialpsychologie und Umweltsoziologie. Wie werden Sie diese an der Uni Wien einbringen?
Kusenbach: Auf zwei Weisen. Erstens unterrichte ich im Doktorat der Sozialwissenschaftlichen Fakultät im Sommersemester zwei Kurse, einen zum Thema "Space & Place", was alle meine Forschungsschwerpunkte anschneidet, und den anderen zu interpretativen Methoden in der Sozialforschung, was ebenfalls zu meinen Spezialgebieten gehört. Zweitens setze ich in Wien ein Forschungsprojekt fort, das auf urbane Raumproduktion sowie die Wahrnehmung und Wirkung öffentlicher Kunst abzielt. Außerdem freue ich mich darauf, mit Studierenden und Kolleg*innen der Uni Wien an gemeinsamen Ideen auf meinen Gebieten zu arbeiten, so gut es eben geht. 

uni:view: In einem konkreten Projekt an der Uni Wien beschäftigen Sie sich mit Street Art. Welchen Fragestellungen werden Sie dabei nachgehen?
Kusenbach: Das ist eine gute Frage! Zunächst möchte ich allgemein lernen und verstehen, wie Street Art und Graffiti in Wien "funktionieren", also wer die Beteiligten sind und unter welchen strukturellen und situativen Bedingungen sie handeln. Ich interessiere mich insbesondere für zwei Dinge: zum einen die Frage, welche Bedeutung Street Art und Graffiti im lokalen Nachbarschaftskontext haben und wie diese Ausdrucksformen von Anwohner*innen wahrgenommen und verstanden werden.

Zum anderen kann man weltweit eine Professionalisierung und regelrechte Vermarktung von Street Art durch Festivals, Galerien, Agenturen, usw. beobachten. Viele Großstädte haben bemerkt, dass Street Art, und unter Umständen selbst Graffiti, ein positives Image herstellen und den Tourismus fördern, und versuchen daher, diese Kunstform gewinnbringend zu steuern, was zum Teil den Interessen der Künstler*innen und lokalen Quartieren entgegen steht. Ich möchte herausfinden, inwieweit es in der Wiener Szene entsprechende Dynamiken und Konfliktpunkte gibt. 

uni:view: Sie werden am 17. Mai einen Vortrag an der Uni Wien über mobile Forschungsmethoden, insbesondere Go-Alongs, halten. Was sind die wesentlichen Ansätze von Go-alongs?
Kusenbach: Go-alongs sind eine innovative Methode, bei der Sozialforscher*innen andere Menschen auf ihren alltäglichen Wegen oder speziellen Touren begleiten, sie beobachten, und gleichzeitig mit ihnen sprechen, also eine Art mobiles Interview durchführen. Go-alongs ermöglichen Zugang zu Praktiken und Ansichten, die sonst oft im Verborgen bleiben, und das praktische Element des Gehens kann den Kontakt und Austausch mit Anderen erleichtern. Sie sind Teil eines innovativen und interdisziplinären Methodenkanons, der sich verstärkt mit Mobilität im Alltag und in Lebensverläufen auseinandersetzt, inklusive Fragen der Migration, sozialen Grenzziehung, und Globalisierung. 

uni:view: Zum Abschluss: Wie erleben Sie gerade als Stadtsoziologin Wien, und das in doch sehr außergewöhnlichen Zeiten?
Kusenbach: Durch Zufall wohnen mein Mann und ich im 15. Bezirk, weit entfernt von Tourist*innen und schicken Geschäftsstraßen, von Schönbrunn einmal abgesehen. Direkt um die Ecke von uns, am Schwendermarkt, gibt es eine "Wienerwand", auf der junge Menschen legal Graffiti und Street Art anbringen dürfen. Dies ist eine bemerkenswerte, und im Vergleich ungewöhnliche, Initiative der Stadt Wien. Auch sonst gibt es "auf der Straße" und in anderen öffentlichen Räumen trotz der derzeitigen Einschränkungen viel zu sehen und lernen.

Als Floridianer genießen wir das kühle Wetter, die wunderbaren öffentlichen Verkehrsmittel, und das urbane, aber doch irgendwie entspannte Flair. Wir erforschen die umliegenden Viertel fast täglich zu Fuß oder per Citybike, gehen unter der Woche in Wiens viele Museen, oder spielen Tischtennis im Auer-Welsbach Park. Bisher gefällt mir an Wien besonders der vergleichsweise informelle und freundliche Ton in Alltagsumgang. Die Stadt hat ein ähnlich kreatives und kulturelles "Vibe" wie meine (Sommer-)Lieblingsstadt Montreal. Als "craft beer" Fan hoffe ich auf eine baldige Wiedereröffnung der Biergärten. Kurz gesagt, ich finde Wien schon jetzt hochinteressant und bin sicher, dass der Fulbright Aufenthalt meine Arbeit als Stadt- und Raumsoziologin in vieler Hinsicht bereichert.

uni:view: Herzlichen Dank für das Interview! (td)

Margarethe Kusenbach ist Associate Professor of Sociology an der University of South Florida und hat im Sommersemester 2021 die Fulbright – University of Vienna Visiting Professur an der Fakultät für Sozialwissenschaften inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Stadtsoziologie, Sozialpsychologie, Umweltsoziologie und qualitative Methoden.