"Meine Forschung": Diplomatie – eine Institution im Wandel

Wozu benötigt ein Mitgliedsland der EU wie Österreich heute noch Botschaften in anderen Staaten und welchen Mehrwert hat deren Arbeit? In ihrer Dissertation geht Sandra Sonnleitner den Auswirkungen des Europäischen Integrationsprozesses auf österreichische bilaterale Diplomatie nach.

Die Europäische Integration bringt Mitgliedsstaaten näher zusammen, Politik und Wirtschaft greifen stärker ineinander und zentrale Entscheidungen werden in Brüssel getroffen. Wie also profitiert Österreich noch von seinen bilateralen Botschaften, deren Aufgabe es ist, zwischenstaatliche Beziehungen herzustellen und auszubauen? Sandra Sonnleitner beschäftigt sich in ihrer Dissertation am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien mit der Frage, wie sich die Rolle des Außenministeriums und seiner Botschaften durch Österreichs EU-Mitgliedschaft im bilateralen Bereich verändert. Dabei betreffen diese Veränderungen nicht nur Standorte innerhalb der EU. Die Europäische Union hat mittlerweile ihren eigenen diplomatischen Dienst etabliert, der sie nach außen hin vertritt und parallel zu den nationalen Botschaften außerhalb der EU operiert.

Über den speziellen Charakter dieses Prozesses sagt Sandra Sonnleitner: "Zeitgenössische Diplomatie war im Lauf ihrer Geschichte vielen Veränderungen ausgesetzt, aber die Erfahrung der Europäischen Integration ist besonders tiefgreifend, da sie zum Beispiel Konzepte wie staatliche Souveränität oder nationale Identität verändert. Und das sind grundlegende Elemente jener Form von Diplomatie, die sich im System der Nationalstaaten entwickelt hat."

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.

Was ist Diplomatie?

Sonnleitner zufolge wird Diplomatie häufig als Instrument der Außenpolitik verstanden. Für ihre Untersuchung jedoch hat sie eine umfassendere Sichtweise gewählt und ihrer Arbeit die Frage nach dem Wesen von Diplomatie vorangestellt. "Ich habe mich für einen Ansatz entschieden, in dem Diplomatie als Institution verstanden wird", sagt die junge Politikwissenschafterin und erklärt: "Diese Institution umfasst Prinzipien, Regeln und Verhaltensmuster, die internationale Beziehungen strukturieren. Dieses Fundament erleichtert den Austausch zwischen Vertreterinnen und Vertretern von unterschiedlichen Nationalstaaten über kulturelle Grenzen hinweg. Und diese Prinzipien, Regeln und Verhaltensmuster werden im Rahmen von Sozialisationsprozessen in Außenministerien vermittelt."

Davon ausgehend konzentriert sie sich in ihrer Arbeit nicht nur auf die unmittelbaren Auswirkungen des Europäischen Integrationsprozesses auf das österreichische Außenministerium und seine Botschaften, sondern möchte aus den Ergebnissen auch Rückschlüsse auf den Wandel der Institution Diplomatie ableiten.

Das österreichische Außenministerium als diplomatischer Akteur

Zugang zur "Institution Diplomatie" findet man laut Sonnleitner über ihre Organisationsform, das Außenministerium. "Ich habe mich im Rahmen der Untersuchung auf drei Aspekte konzentriert: strukturelle Veränderungen, Aufgaben und Prozesse sowie das Berufsbild von Diplomatinnen und Diplomaten“, erläutert sie.

Zentral in der Untersuchung war demnach die Frage, wie sich das Netzwerk an Botschaften und Vertretungen seit Österreichs EU-Beitritt entwickelt hat oder wie sich die interne Struktur des Ministeriums verändert. Aufgaben und Prozesse von Botschaften entwickeln sich unterschiedlich innerhalb und außerhalb der EU. Die Untersuchung hat gezeigt, dass durch das veränderte Umfeld für bilaterale Diplomatie in der EU manche der traditionellen Aufgaben einer Botschaft an Bedeutung verlieren, während neue Aufgabenfelder entstehen. Außerhalb der EU sind Veränderungen durch die Etablierung des Europäischen Auswärtigen Dienstes noch nicht in dieser Intensität wahrnehmbar. "Aber die Art der Kooperation zwischen den einzelnen Akteuren im diplomatischen Korps beginnt sich zu wandeln und daraus ergeben sich neue Herausforderungen für die diplomatischen Vertreterinnen und Vertreter des Außenministeriums", so Sonnleitner.

Ein weiterer Aspekt ihrer Untersuchung widmete sich deshalb Veränderungsprozessen im Berufsbild österreichischer DiplomatInnen im Kontext der EU-Mitgliedschaft. Sandra Sonnleitner möchte mit der intensiven Auseinandersetzung mit diesen Aspekten am Beispiel des österreichischen Außenministeriums einen Beitrag zur Diskussion um Wandlungsprozesse im Forschungsfeld Diplomatie leisten, der einen Ausgangspunkt für vergleichende und weiterführende Analysen bietet. Erste Ergebnisse wurden im März 2015 in der EUFORPOL Working Paper Series veröffentlicht.

Mag. Sandra Sonnleitner, Bakk. Bakk., absolviert an der Universität Wien das Doktoratsstudium Sozialwissenschaften im Dissertationsgebiet Politikwissenschaft. Ihre Doktorarbeit wird von Univ.-Prof. Dr. Otmar Höll sowie Prof. Dr. Jozef Bátora betreut und war Teil des interdisziplinären Forschungsprojektes EUFORPOL (2011-2014) an der Comenius Universität Bratislava. Literaturtipps zum Thema: Bátora, Jozef/Hynek, Nik (2014): Fringe Players and the Diplomatic Order – The 'New' Heteronomy. Basingstoke, New York. Palgrave Macmillan; Sonnleitner, Sandra (2015): Austrian Bilateral Diplomacy in the Context of EU Membership – Case Study on the Austrian Ministry of Foreign Affairs. EUFORPOL Working Paper Series WP7. Comenius University in Bratislava;