Krebstherapie

Metalle als Feinde des Tumors

9. Oktober 2019 von Jessica Richter
Platinhaltige Therapeutika spielen heute eine große Rolle in der Krebstherapie. Ein gemeinsamer Forschungscluster von Uni Wien und MedUni Wien untersucht weitere Metallverbindungen, um für bisher nicht oder nur schwer therapierbare Tumorarten wirksame und gut verträgliche Therapien zu entwickeln.
Ziel des Forschungsclusters "Translational Cancer Therapy Research" (Uni Wien/MedUni Wien) ist es, neue (first in class) Wirkstoffe zu entwickeln, um das Spektrum der gut zu therapierenden Krebsarten zu erweitern. Im Bild: Albumin Uptakes in Zellkultur oder Tumorgewebe: blau: Nukleus, rot: Zellmembran, grün: Albumin. © Hemma Schüffl

Große Hoffnungsträger

Das Element Ruthenium tummelt sich mit der Ordnungszahl 44 relativ mittig im Periodensystem – dem zentralen Bauplan der Chemie, der heuer das 150-Jahr-Jubliäum seiner Entdeckung feiert. Nicht allzu fern liegen Gallium (Ordnungszahl 31) und Platin (Ordnungszahl 78). Alle drei sind natürlich vorkommende Metalle. Im Gegensatz zu manch anderen Vertretern dieser Familie, etwa Blei oder Quecksilber, sind sie nicht besonders toxisch. Im Gegenteil: "Sie sind unsere großen Hoffnungsträger für effiziente Therapeutika gegen Krebs", sagt Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie der Universität Wien, der gemeinsam mit Walter Berger von der MedUni Wien den Forschungscluster "Translational Cancer Therapy Research" leitet.

Metallhaltige Verbindungen spielen seit vielen Jahren in der Krebstherapie eine zentrale Rolle. Bestes Beispiel: Cisplatin oder Carboplatin. Bei diesen Komplexen steht das Metall als Elektronenakzeptor im Zentrum der Verbindung und lässt andere, sogenannte Donoratome (z.B. Sauerstoff und Stickstoff) andocken. Die bereits etablierten Platinverbindungen können bei manchen Tumoren in Kombination mit anderen Therapeutika relativ niedrig dosiert – und dann auch mit relativ wenigen Nebenwirkungen – eingesetzt werden. Bei anderen Tumorarten wirken sie nicht so gut; bei längerer Behandlung und in höheren Dosierungen rufen sie gravierende Nebenwirkungen hervor. "Unser Ziel ist es, Alternativen zu entwickeln, um das Spektrum der gut zu therapierenden Krebsarten zu erweitern", sagt Chemiker und Arzt Keppler.

Der Cluster "Translational Cancer Therapy Research" beschäftigt sich mit verschiedenen Ansätzen für die Entwicklung neuer Krebstherapeutika. Im Zentrum stehen die Fragen: Wie kann man Therapieresistenzen, die der Tumor entwickelt, überwinden? Wie lassen sich Wirkstoffe zielgerichtet im Tumor anreichern? Und wie kann man gesundes Gewebe vor Schädigungen durch die Krebstherapeutika bestmöglich schützen?

Gallium und Ruthenium-Komplexe

Wie groß das Potenzial der Metalle ist, zeigen die im Rahmen des Clusters entwickelten Gallium- und Ruthenium-Wirkstoffkomplexe. Sie befinden sich bereits in der klinischen Prüfung an PatientInnen, die nun – nach orientierenden Studien in Wien, Essen, Mannheim und anschließend in den USA – in Kanada fortgesetzt wird. So hat die Gallium-Verbindung in den ersten Studien eine Wirksamkeit gegen bösartige Nierentumore (Nierenzellkarzinom) gezeigt: "Unser Gallium-Komplex wirkt auf strukturerhaltende Bausteine in den Krebszellen und insbesondere an Knochentumoren und Knochenmetastasen, die von etwa 50 Prozent aller Tumore gebildet werden", erklärt Bernhard Keppler. Die Verbindung wird nun in einer weiteren klinischen Studie in Kanada an Patientinnen und Patienten mit Knochenmetastasen von Brust-, Lungen- und Prostatakarzinomen untersucht.

"Das bessere molekulare Verständnis von Krebs ermöglicht uns, bessere Krebsmittel zu entwickeln und diese nur spezifisch im Tumorgewebe wirksam werden zu lassen", erklärt Walter Berger vom Institut für Krebsforschung, der den Forschungscluster seitens der MedUni Wien leitet: "Das heißt: bessere Wirkung bei reduzierter Nebenwirkung! Dafür braucht es aber die Zusammenarbeit verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen, wie Chemie und Krebsforschung in unserem Cluster."

Mit Albuplatin zum Start-Up

Der Rutheniumkomplex hingegen wirkte bei neuroendokrinen (hormonproduzierenden) Tumoren, Dickdarmtumoren, Gebärmutterkrebs, Lungenkarzinomen und anderen Krebserkrankungen. "Die Ruthenium-Verbindung verhindert, dass die Krebszelle dem programmierten Zelltod entgeht, der eigentlich eintritt, wenn in einer Zelle zu viele irregulär gefaltete Proteine und andere 'Abfallstoffe' entstehen", erläutert Keppler.

Mit einer neuartigen Platinverbindung, dem Albuplatin, haben ForscherInnen des Clusters einen weiteren Hoffnungsträger entwickelt: ein Therapeutikum, das sowohl eine stark erhöhte Aktivität aufweist, als auch die Nebenwirkungen der Behandlung – auch in Kombination mit einer Immuntherapie – deutlich reduzieren soll. "Tumore sind Vielfraße", so Bernhard Keppler: "Der in die Blutbahn injizierte Wirkstoff Albuplatin bindet an das Eiweiß Albumin im Blut und nutzt dieses als Transportmittel. Besonders Tumorgewebe zieht Albumin an sich, 'verdaut' es und nutzt es für seinen Zellaufbau." Die Albuplatin-Verbindung wird so über den Abbauprozess sehr gezielt im Inneren des Tumors freigesetzt.

Aufbauend auf ihre Entdeckung gründeten Christian Kowol und Bernhard Keppler von der Uni Wien gemeinsam mit Petra Heffeter und Walter Berger von der MedUni Wien sowie CEO Nadine Sommerfeld kürzlich das Spin-Off "P4 Therapeutics". In diesem Unternehmen, das 2019 den "Der Brutkasten"-Media Award erhalten und bereits einen pharmazeutischen Partner gewonnen hat, wollen sie Albuplatin nun gezielt weiterentwickeln.

Translationale Forschung

"ForscherInnen im Labor und jene in der Klinik wissen oft gar nicht, was die jeweils andere Seite braucht", veranschaulicht Bernhard Keppler die Bedeutung enger, interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen MedizinerInnen und ChemikerInnen für derartige Entwicklungen: "Der Cluster stärkt translationale Strukturen und schlägt eine Brücke zwischen präklinischer und klinischer Forschung, wie sie an der Fakultät für Chemie und der Medizinischen Universität Wien in unterschiedlichen Aspekten betrieben wird."

Nachdem die klinischen Studien für die Ruthenium- und Gallium-Verbindungen vor allem in den USA und Kanada durchgeführt wurden, "besteht für die neu entwickelte Verbindung Albuplatin vielleicht die Möglichkeit, die klinische Studie in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien durchzuführen", ist Kepplers Hoffnung. Die klinische Zulassung eines im Cluster (mit-)entwickelten Wirkstoffes ist das nächste Ziel der ForscherInnen.

Die Fakultät für Chemie arbeitete schon in den 1990er Jahren eng mit der damaligen Fakultät für Medizin zusammen; nach der Trennung der beiden Universitäten 2004 gründete Keppler die erste universitätsübergreifende Forschungsplattform "Translational Cancer Therapy Research" der Universität Wien und der MedUni Wien, die von 2008 bis 2016 bestand. 2017 wurde sie in den gleichnamigen Forschungscluster überführt.

© Veronika Knoll
© Veronika Knoll
Bernhard Keppler ist Dekan der Fakultät für Chemie sowie Vorstand des Instituts für Anorganische Chemie der Universität Wien. Er setzt in der Krebsforschung auf "translationale Strukturen", auf die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen MedizinerInnen und ChemikerInnen.

Keppler leitet gemeinsam mit Walter Berger, Medizinische Universität Wien, den interdisziplinären Forschungscluster "Translational Cancer Therapy Research" der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien, der im Jänner 2017 im Anschluss an die gleichnamige Forschungsplattform (Laufzeit: Jänner 2008 bis Dezember 2016) eingerichtet wurde.