Missbrauch in Jugendheimen: Studie erforscht Langzeitfolgen
| 15. Juli 2015Die "Wiener Heimstudie", ein FWF-Projekt an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, untersucht die psychosozialen Langzeitfolgen institutioneller Gewalt in Einrichtungen der Wiener Jugendwohlfahrt. 144 Interviews wurden bereits durchgeführt, weitere folgen.
Untersucht werden die Geschichten von Personen, die sich bereits an die Opferschutzorganisation "Weißer Ring" gewandt und auch Entschädigungszahlungen erhalten haben. Nach Zustimmung der Betroffenen erhalten die WissenschafterInnen der Universität Wien Zugriff auf die Akten, zudem können sich Opfer für Kurz- bzw. Tiefeninterviews zur Verfügung stellen. Insgesamt gibt es rund 2.000 dokumentierte Betroffene, auch wenn Projektleiterin Brigitte Lueger-Schuster vom Institut für Angewandte Psychologie: Gesundheit, Entwicklung und Förderung von einer hohen Dunkelziffer ausgeht.
Langzeitfolgen dokumentieren
Ziel des vom FWF finanzierten und seit 2014 laufenden Projekts ist es, die psychosozialen Langzeitfolgen von emotionaler, sexueller und körperlicher Gewalt und Missbrauch zu dokumentieren. Unter anderem werden psychische Störungen, die Cortisol-Level in den Haaren als Indikator für Langzeitstress und soziale Aspekte wie Brüche in der Lebensgeschichte der Opfer untersucht. "Die Anzahl der traumatischen Ereignisse im Erwachsenenleben hat beispielsweise einen deutlichen Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch im Heim", schilderte Lueger-Schuster.
Zudem hätte die Mehrzahl der Betroffenen auch eine schlechte Ausbildung - was sich etwa mit Verarmung, Beziehungsproblemen, Obdachlosigkeit oder Gefängnisaufenthalten in den Lebensläufen der Opfer niederschlage. "Wir untersuchen damit auch, was Gewalt und Missbrauch zum Beispiel für die Entwicklung von Aggressivität, von Selbstwertgefühl, von Kontrolle oder Umgang mit Scheitern bedeuten. Damit können wir einen großen Input für die Psychotraumatologie als solche liefern", so die Traumaforscherin.
Vergleich mit Gewalt in der Familie
Andererseits soll die Gewalt, die Kinder und Jugendliche in Heimen erleben, auch mit jenen Missbrauchserfahrungen verglichen werden, die in Familien gemacht werden. So könne eine eventuelle "besondere Dynamik" von Gewalt in Heimen und ihre Folgen sichtbar gemacht werden. "Wir fragen, ob es zwischen Gewalt- und Missbrauchserfahrungen im Heim und in der Familie einen Unterschied gibt. Die Annahme ist, dass es in Familien eine andere Vernetzung gibt und daher vielleicht ein bisschen mehr Schutz möglich ist." Damit könnten auch die Langzeitfolgen bzw. die infrage kommenden Behandlungsmethoden variieren.
Ein weiterer Aspekt ist die Analyse von Risikofaktoren. So soll die Studie auch klären, ob Kinder, die aus schwierigen Verhältnissen und bereits mit Gewalterfahrungen in Heime kommen, ein größeres Risiko haben, wieder zum Opfer zu werden, als Kinder und Jugendliche aus stabilen Verhältnisse. Das könnte auch für zukünftige Prävention von Bedeutung sein. Die "Heimstudie" läuft noch bis 2017, dann sollen auch die endgültigen Ergebnisse präsentiert werden. (APA/red)