Statt Autos Züge bauen

Symbolfoto Automobilindustrie

Was haben Gewerkschaften und Beschäftigte mit dem Klimawandel zu tun? Die Politikwissenschafter Ulrich Brand und Danyal Maneka stellen in ihrem aktuellen Projekt an der Uni Wien eine Akteursgruppe in den Vordergrund, die bisher in der Klimadebatte wenig Beachtung fand.

Wenn man von "der Wirtschaft" spricht, sind in der Regel das Management und die Anteilseigner*innen gemeint. Berücksichtigt wird meist auch ihr Verhältnis zu Politiker*innen und Konsument*innen. "In diesem gängigen Verständnis fallen Beschäftigte raus", erklärt Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Am Beispiel der Automobilindustrie geht er – gemeinsam mit Projektmitarbeiter Danyal Maneka und einem Team von Forscher*innen – der Frage nach, welche Rolle Gewerkschaften und Beschäftigte beim Umstieg von einer umweltschädlichen zu einer umweltverträglichen Produktion spielen. 

Das Projekt "Social-Ecological Transformation: Industrial Conversion and the Role of Labour" wird vom Klima- und Energiefonds (KLIEN) gefördert und ist an der Universität Wien, der BOKU und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin angesiedelt. Es soll eine Forschungslücke schließen und zu internationalen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Debatten über die ökologische Krise und ihrer Bearbeitung beitragen.

Ein Dilemma

Zwischen umweltpolitischen Zielen und der Sicherung von Arbeitsplätzen entsteht in der Praxis oft ein Dilemma. Das zeigt sich etwa daran, dass sich Beschäftigte und Gewerkschaften immer wieder gegen klimapolitische Maßnahmen einsetzen, um die eigenen bzw. die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder zu schützen.

Flughafen Wien

"Man braucht aktuell nur auf den Wiener Flughafen zu schauen, wo sich die Gewerkschaft Schulter an Schulter mit Regierung, Management und Unternehmer*innenverbänden für den Bau der dritten Piste eingesetzt hat. Auch wegen dieser Konstellation gelten Gewerkschaften eher als klimapolitische Bremser", erklärt Maneka. (© Tanathip Rattanatum/Pexels

Die zentrale Frage lautet daher: Unter welchen Voraussetzungen können Beschäftigte und Gewerkschaften zu Akteur*innen für einen nachhaltigen Umbau ihrer Industrien werden?

Nachhaltiger produzieren

Als "Entry Points" bezeichnen Brand und Maneka jene Startpunkte, an denen die sozial-ökologische Transformation angesetzt werden kann – konkrete erste Maßnahmen also. In den Betrieben erforschen sie jene Entry Points, die möglich sind und von den Beschäftigten und Gewerkschaften teilweise schon genutzt werden.

Um den Umstieg auf eine umweltverträgliche Produktionsweise sozial und inklusiv zu gestalten und damit auch Arbeitsplätze zu sichern, können Gewerkschaften beispielsweise frühzeitig planen: "Sie können den Umbau vorbereiten, indem sie Zehn-Jahres-Pläne erstellen. So wie auch damals beim Steinkohleausstieg in Westdeutschland gesagt wurde: 'Nicht jetzt, aber in den kommenden Jahren lassen wir die Braunkohle auslaufen'", sagt Brand. Allerdings müssen solche Transformationsprozesse heute aus klimapolitischen Gründen sehr rasch gehen, was Konflikte impliziert.

Ein weiterer Entry Point wäre eine Arbeitszeitverkürzung. Diese wird meist im Kontext von steigender Arbeitsbelastung und Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf gefordert, ist aber auch ökologisch sinnvoll: "Wenn das Arbeitsvolumen sinkt, können auch die Emissionen und der Ressourcenverbrauch sinken. Zudem schafft eine Arbeitszeitverkürzung Freiraum für Tätigkeiten, die ökologisch sinnvoller sind als viele Formen der Lohnarbeit", erklärt Maneka. (© Pixabay/Pexels


Das Gefühl, alles machen zu können

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Produktion müssen Arbeitsplätze umgeschichtet werden, denn die erzeugten Produkte und damit auch die Aufgaben der Arbeitnehmer*innen verändern sich. Die Frage ist, ob Beschäftigte qualifiziert und bereit sind, in einer veränderten oder gar ganz anderen Industrie zu arbeiten. "In den Interviews, die wir mit Beschäftigten geführt haben, haben wir beobachtet, dass viele Leute in den Betrieben gar nicht so sehr an der Autoproduktion hängen – sie können sich auch gut vorstellen, andere Produkte zu erzeugen", sagt Maneka.

Die Automobilindustrie ist in Österreich vor allem Zulieferindustrie – eine Industrie, die einzelne Teile und komplexe Systeme herstellt und oft exportiert. Besonders wichtig ist die Produktion von Verbrennungsmotoren und Getrieben: "Damit sind starke Beharrungskräfte verbunden, weil große Investitionen in entsprechende Anlagen geflossen sind und hier die meisten Kompetenzen liegen", sagt Maneka. (© Skitterphoto/Pexels

Andererseits sind das Qualifikationsniveau und die Anforderungen in der Branche insgesamt sehr hoch: "Damit ist sozusagen ein Produzent*innenstolz verbunden. Die Leute haben das Gefühl, dass sie eigentlich alles produzieren können. Genau da könnten Debatten über einen Umbau ansetzen", erklärt der Nachwuchswissenschafter.

Entscheidungen werden nicht in Österreich getroffen

Aber der starke Fokus auf die Verbrennungstechnologie ist nicht das einzige Hindernis für einen Umbau: "Viele Zulieferer in Österreich sind Teil von transnationalen Konzernen, deren Headquarters im Ausland liegen. Das heißt, da sind ganz wesentliche Entscheidungskompetenzen gar nicht vor Ort. Für viele Betriebsrät*innen ist es schon deshalb schwierig, auf die Unternehmensstrategie Einfluss zu nehmen, weil ihnen ein praktisch machtloses Management vor Ort gegenübersteht", sagt Maneka.

Maneka erzählt von einem Wiener Betrieb, in dem die Beschäftigten versucht haben, ein alternatives Produkt durchzusetzen: Statt Radpanzern haben sie in einer Absatzflaute Feuerlöschfahrzeuge für Waldbrandregionen von der Planung bis zum Bau eines Prototyps umgesetzt. "Letztlich ist das Projekt an einem Konzernentscheid gescheitert, denn das Werk ist Teil eines Unternehmens mit Sitz im Ausland. Das zeigt die Grenzen von einzelbetrieblichen Initiativen." (© Engin Akyurt/Pexels)

Ein nachhaltiger Umbau könne nur dann gelingen, wenn er durch eine transformative Politik unterstützt wird  – auf der lokalen und nationalen Ebene, aber in Zeiten globalisierter Produktion auch darüber hinaus.

Globalisierung im Alltag

Die Globalisierung ist auch der Grund dafür, dass Brand und Maneka, die beide im Bereich Internationale Politik arbeiten, sich mit diesem Thema beschäftigen. Einerseits führt sie zu einem Standortwettbewerb, der Gewerkschaften unter Druck setzt. "Andererseits müssen sich Gewerkschaften einer globalisierten Verantwortung stellen, die heute nicht nur die Arbeitsteilung umfasst, sondern auch ökologische Fragen." Die Globalisierung findet in den einzelnen Betrieben statt und betrifft somit alle. "Das motiviert uns so enorm, Gewerkschaften zu beforschen", sagt Brand abschließend. (abi) 

Danyal Maneka und Ulrich Brand beschäftigen sich mit der sozial-ökologischen Transformation und beforschen insbesondere die Rolle, die Beschäftigte und Gewerkschaften beim Umstieg von einer umweltschädlichen zu einer umweltverträglichen Produktion von Autos spielen: "Denn die ökologische Krise wird auch bearbeitet, indem der Produktionsapparat umgebaut wird – also beispielsweise die Produktion von Autos", sagt Brand. (© Alina Birkel)

Ulrich Brand ist seit 2007 Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Er hat Betriebswirtschaft, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Ravensburg, Frankfurt/M., Berlin und Buenos Aires studiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kritische Analysen der Globalisierung und ihrer politischen Regulierung, die Rolle von Staat und Wirtschaft, Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen, die Ökologische Krise und die sozial-ökologische Transformation mit den Schwerpunkten Ressourcen-, Energie- und Klimapolitik. 

Danyal Maneka ist Masterstudent am Institut für Politikwissenschaft. Seit Juni 2018 ist er wissenschaftlicher und administrativer Mitarbeiter im Projekt "Social-Ecological Transformation: Industrial Conversion and the Role of Labour" (CON-LABOUR) unter der Leitung von Ulrich Brand. Er forscht in den Bereichen Internationale politische Ökonomie, kritische Europaforschung, materialistische Staats- und Gesellschaftstheorie und feministische Theorie.

Das Projekt "Social-Ecological Transformation: Industrial Conversion and the Role of Labour" (CON-LABOUR) unter der Leitung von Ulrich Brand ist am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien angesiedelt. Es läuft von Juni 2018 bis Juni 2020 und wird vom Klima- und Energiefonds (KLIEN) gefördert. CON-LABOUR wird in Kooperation mit dem Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur in Wien und der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin durchgeführt.