Wie Unternehmen funktionieren
| 20. April 2015Markus Reitzig von der Universität Wien stellt Organisationstheorien auf den Prüfstand. In einem aktuellen FWF-Projekt vergleicht der Wirtschaftswissenschafter bewährte Erklärungsansätze mit neuen und untersucht Fragen zu Autorität und Selbstbestimmung.
Neben traditionell geführten Betrieben sind in den vergangenen ca. zwanzig Jahren neue Organisationsformen entstanden, die vor allem durch die Entwicklungen in der Informationstechnologie vorangetrieben wurden. Beispiele sind Open-Source-Projekte wie Wikipedia oder innovative Start-ups. Gleichzeitig wurde eine Vielzahl an neuen Erklärungsansätzen in der Managementliteratur vorgeschlagen, um diese neue Welt der Arbeit zu beschreiben und besser zu verstehen.
Altbewährte und neue Organisation
Ist damit nun alles Gestrige überholt? Ist es beispielsweise wirklich richtig, dass neue Organisationsformen zunehmend ohne Autorität und Hierarchien auskommen und dass MitarbeiterInnen sich ihre Aufgaben entsprechend ihrer Fähigkeiten suchen? Halten also die jüngsten Theorieansätze, was sie versprechen, oder sind es vielleicht doch nur Mythen der schönen neuen Arbeitswelt? Diese Fragen untersucht der Wirtschaftswissenschafter Markus Reitzig von der Universität Wien in einem Forschungsprojekt des FWF. "Ich denke nicht, dass die Phänomene der jüngeren Vergangenheit unser ganzes bisheriges Wissen obsolet machen", ist der Experte für Strategisches Management und Organisationsdesign überzeugt. "Wir gehen daher der Frage nach, wo Altbewährtes nach wie vor seine Geltung hat und wo genau bestehende Theorien zur Erklärung davon, wie Organisationen funktionieren, angepasst werden müssen", erklärt Reitzig.
Empirische Untersuchungen
In einem wichtigen Teil des Projekts greifen Reitzig und sein Team auf das Sourceforge Research Data Archive (SRDA) zurück. Dieses unterstützt Firmen bei der Umsetzung von Projekten mit freier Software. Inzwischen sind über 400.000 Projekte und 3,7 Millionen NutzerInnen registriert. "Dank der Abzüge im Datenarchiv können wir abbilden, was genau in diesen Projekten passiert ist; wer wann welche Aufgabe übernommen hat und welches Ergebnis erzielt wurde", so Reitzig vom Institut für Betriebswirtschaftslehre. Auf Basis mehrerer tausend Beobachtungen evaluieren die ForscherInnen zum einen die Frage, ob Open-Source-Software-Projekte tatsächlich ohne klassische Autorität koordiniert werden. Zum anderen untersuchen sie, wie die Mechanismen der Selbstselektion wirken. "Autorität und Hierarchie sind bis dato extrem relevante Strukturgrößen in Organisationen", betont der Wissenschafter.
Kompetenz und Unternehmergeist
Sogar in bunten und unkonventionellen Teams müsse am Ende einer eine Entscheidung treffen. Was allerdings die Legitimation dieser Autorität betreffe, zeige die Forschung, dass in vielen modernen Organisationsformen Kompetenz und Unternehmergeist diejenigen Eigenschaften sind, die dazu führen, dass andere MitarbeiterInnen einer Person bereitwillig folgen. "Allerdings wissen wir auch, dass starre Hierarchien das mittlere Management geradezu lähmen können", ergänzt der Markus Reitzig und ortet hier noch Forschungsbedarf. IT ist allerdings nur ein Trend, der die Welt von gestern von der von heute unterscheidet. Reitzig nennt andere Phänomene, die neue Organisationsformen entstehen lassen, wie etwa das explodierende Bevölkerungswachstum, grenzübergreifender Waren- und Serviceaustausch oder Ressourcenverknappung: "Wo immer diese Trends dazu führen, dass man Aufgaben anders definiert, andere Personen als die üblichen betraut, beispielsweise beim Crowdsourcing, oder anders entlohnt –, überall da entstehen neue Organisationsformen."
Basisprinzipien von Organisationen
In einem weiteren zentralen Teil des Projekts gehen die WirtschaftswissenschafterInnen der Universität Wien der Frage nach, wie gewisse Basisprinzipien von Organisationen überhaupt erst entstehen, wie zum Beispiel die "Spezialisierung". Dies ist deshalb essentiell, da Unternehmen nur dann einen Mehrwert schaffen, wenn sie Spezialisierungsvorteile erreichen. "Wie genau sich diese Spezialisierung entwickelt, darüber wissen wir erstaunlich wenig", so Reitzig. Durch die Befragung von jungen Unternehmen und ethnographische Studien von Start-ups wollen die WissenschafterInnen auch solche Grundlagenfragen klären. (red)
Das FWF-Projekt "Organisationsdesign für neue Organisationsformen" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dipl.-Chem. Dr. Markus Georg Reitzig, MBR vom Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Wien startete im März 2015 und läuft bis Februar 2018.