Philipp Scheibelreiter: Von antiken Rechtsquellen lernen

Können wir aus der Geschichte lernen? Natürlich, sagt Philipp Scheibelreiter, seit März Professor für Antike Rechtsgeschichte und Römisches Recht an der Universität Wien. Zeitlose, dogmatische Argumente und unterschiedliche juristische Lösungsansätze stehen bei seiner Forschung im Mittelpunkt.

Aus der Vergangenheit lernen nicht nur HistorikerInnen, sondern auch JuristInnen. Zumindest, wenn sie sich wie Philipp Scheibelreiter mit der Antiken Rechtsgeschichte und dem Römischen Recht beschäftigen. Für den gebürtigen Wiener, der seit März 2018 Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien ist, steht dabei das Zeitlose seines Faches im Vordergrund: "Wir können von der funktionierenden und lebendigen Rechtswissenschaft der römischen Antike viel lernen. Natürlich existierte damals noch keine Rechtsordnung, wie wir sie heutzutage kennen, aber mich interessieren die zeitlosen, dogmatischen Argumentationslinien der römischen Juristen: Wie kamen sie zu einer Entscheidungsfindung? Welche Argumente gebrauchten sie zur Problemlösung und warum?"

Was war in Rom anders als in Griechenland?

Sowohl das heutige österreichische als auch das europäische Zivilrecht haben ihre Grundlage im Römischen Recht. Das ermöglicht Philipp Scheibelreiter rechtsvergleichend zu arbeiten. Zugleich führt der Wissenschafter, der sowohl Altgriechisch als auch Latein bereits in der Schule gelernt hat, die große antikrechtshistorische Tradition an der Wiener Fakultät fort und untersucht die Einflüsse des altgriechischen und hellenistischen Privatrechts auf das Römische Recht. "Das Römische Recht ist unbestritten das maßgebliche antike Recht, aber mich interessieren Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Wie wurde ein und dasselbe Problem z.B. des Vertragsrechts in Griechenland gelöst, wie in Rom?", erläutert Scheibelreiter sein Forschungsinteresse.

Bedarf an juristisch geschulten Experten


Der Jurist geht unter anderem auch der Frage nach, aufgrund welcher Faktoren sich in Rom eine Rechtswissenschaft ausgebildet hat, während die Rechtskulturen Griechenlands auf einer rudimentären, praktikablen Ebene ohne vertiefte dogmatische Diskussion verblieben: "Die griechischen Rechtsanwender haben keine lebensnahe Rechtswissenschaft ausgeformt, obwohl sie mit den gleichen Lebenssachverhalten, den gleichen Problemen konfrontiert waren wie ihre römischen Kollegen. Ein wesentlicher Faktor dafür, dass man in Rom begann, Recht dogmatisch zu erfassen und anwendungsnah zu diskutieren, liegt sicher in dem römischen Prozessrecht und den damit verbundenen Anforderungen an den Rechtsanwender: Hier gab es – anders als z.B. im klassischen Athen – bald Bedarf an juristisch geschulten Experten", erklärt der Forscher.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Wintersemester 2018/19 lautet "Was eint Europa?" . Jurist Philipp Scheibelreiter beantwortet sie wie folgt: "Sowohl das römische Recht als auch die Antike überhaupt als eine von mehreren kulturellen und geistigen Grundlagen stellen für Europa ein einendes Moment dar. Hier gilt es, ein größeres Bewusstsein zu schaffen." (© Universität Wien)

Zurück an die Alma Mater

Die Professur bringt Philipp Scheibelreiter nun endgültig zurück an seine Alma Mater, wo er studiert und dissertiert hat und ab Jänner 2014 als assoziierter Professor tätig war. Dazwischen hatte er zwei Lehrstuhlvertretungen für Römisches Recht und Deutsches Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München und war von 2017 bis 2018 Professor für Römisches Recht an der Johannes Kepler Universität Linz. "Ob in München, Linz oder Wien: Überall wird Römisches Recht gelehrt, aber überall gibt es hierbei strukturelle Unterschiede. Diese verschiedenen Zugangsweisen zur Vermittlung des Römischen Privatrechts, unterschiedliche Prüfungsmethoden und Lehrformate kennengelernt zu haben, empfinde ich als sehr bereichernd und prägend", berichtet der Wissenschafter, der in Wien vor allem die freundschaftliche Atmosphäre unter den KollegInnen und den lebendigen fachlichen Austausch an seinem Institut schätzt.

Perspektivenwechsel in der Lehre und Forschung

Interaktion und Austausch sind dem Juristen auch in der Lehre wichtig: "Die Studierenden sollen nicht nur mit mir, sondern auch miteinander reden. Ideal ist es, wenn ich sie motivieren kann, sich im Argumentieren zu üben, sich selbst zu fordern und zu lernen, auf Grundlage des Römischen Rechts eine juristische Diskussion zu führen."

Solche Perspektivenwechsel stehen auch in der Forschung des 42-jährigen im Mittelpunkt. "Wie haben Juristen damals Probleme gelöst, wie lösen wir sie heute? Manchmal beschäftigt mich ein einzelner, vielleicht fragmentarisch überlieferter Satz eines Juristen aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. wochenlang", berichtet Philipp Scheibelreiter, der neben Jus auch Klassische Philologie studiert hat.

Philipp Scheibelreiter ist ein großer Freund klassischer Musik. Er selbst spielt seit vielen Jahren Cello, wie etwa hier auf einem Geburtstagsfest im Jahr 2016. (© privat)

Klassische Musik und rundes Leder

Sein philologisches Interesse ist es, dass den zweifachen Familienvater auch privat gerne antike Literatur lesen lässt. Doch auch in seiner Freizeit bleibt Philipp Scheibelreiter dem Perspektivenwechsel treu: Man trifft den Hobby- Cellisten und großen Mozartopernliebhaber sowohl im Konzert als auch auf dem Fußballplatz, bei seinem favorisierten Verein, dem First Vienna Football-Club 1894. "Ich bin Döblinger und war schon als Student bei den Spielen der Vienna. Ich hoffe sehr, dass sie möglichst bald wieder aus der Zweiten Wiener Liga aufsteigt", lacht der Jurist. (mw)

Philipp Scheibelreiter ist seit März 2018 Professor für Antike Rechtsgeschichte und Römisches Recht an der Universität Wien. Am Freitag, 23. November 2018 hält er um 17 Uhr im Kleinen Festsaal seine Antrittsvorlesung zum Thema "Aristoteles vor dem Prätor. Von der Ethik der Einrede im römischen Zivilprozess".