Philipp Ther: Ostmitteleuropäische Geschichte im Vergleich

Philipp Ther ist seit Oktober 2010 Professor für Geschichte Ostmitteleuropas/"Nation Building". Schwerpunktthema seiner komparativen Forschung ist neben Nationalismus und Gewalt vor allem die Kulturgeschichte Zentraleuropas. Der Historiker, der u.a. fließend tschechisch und polnisch spricht und sich in etlichen weiteren ost- und westeuropäischen Sprachen verständigen kann, genießt Wien als idealen Standort sowohl für seine Forschungsaktivitäten als auch für seine Familie. Am Donnerstag, 7. April 2011, 18 Uhr, hält er seine Antrittsvorlesung "Vom Ostblock zum 'neuen Europa'. Die Transformation aus historischer Sicht."

Philipp Ther kann sich für seine Interessen kaum eine bessere Stadt als Wien vorstellen: "Eine Professur am hiesigen Institut für osteuropäische Geschichte, dem größten und ältesten im deutschsprachigen Raum, ist die beste Position, die man in meinem Fach erreichen kann", schwärmt er. Darüber hinaus liegt Wien rein geografisch im Zentrum seiner Forschungsinteressen – ein idealer Ausgangspunkt für Archivreisen und Kooperationen.

Und auch privat gefällt ihm die Stadt. Als Vater von zwei kleinen Kindern ist er einerseits vom Kinderbetreuungsangebot der Universität Wien und andererseits von der Lebensqualität hier begeistert: "Ich empfinde Wien als sehr kinderfreundlich und schätze es, dass man gleich auf die Donauinsel oder in die nahen Berge kommt", sagt der passionierte Radfahrer und Hobby-Musiker.

Lebendige Geschichte: 1989 in Prag miterlebt

Ther ist in Vorarlberg geboren und verbrachte seine Kindheit in den bayerischen Alpen sowie dreieinhalb Jahre in Istanbul: "Es gibt kaum ein gastfreundlicheres Land als die Türkei, und ich habe damals die Scheu vor schwierigen Sprachen verloren."

Ein Teil seiner Familie stammt aus Böhmen, und es gab trotz des Kalten Krieges sehr regelmäßigen Kontakt nach Prag. Die Reisen nach Osteuropa setzte er als Student der Geschichte an der Universität Regensburg und später auch der Soziologie und Politikwissenschaft an der LMU München fort. "Ich war am 1. Mai 1989 in Prag und habe eine der ersten großen Demonstrationen gegen das Regime miterlebt", erzählt Ther.

Im November 1989, beim Umsturz in Prag, war er ebenfalls vor Ort und beschloss – motiviert durch die überwältigenden Ereignisse – ordentlich Tschechisch zu lernen. 1992 ging er mit einem Fulbright-Stipendium an die Georgetown University in Washington DC und schloss dort mit einem M.A. ab.

Weitere Meilensteine: Dissertation über Zwangsmigration ...

In seiner Dissertation an der FU Berlin verglich Ther die Geschichte der polnischen mit den deutschen Vertriebenen von 1944 bis 1956. "Angesichts der massenhaften Gewalt waren die entsprechenden Quellen alles andere als eine angenehme Lektüre", so Ther, der zum Themenbereich des Nationalismus einige weitere deutsch- und englischsprachige Sammelbände publizierte. Die komparativen Forschungen brachten ihm ein Postdoc-Stipendium in Harvard ein.

... und Habilitation über Operngeschichte Zentraleuropas

Bewusst entschied sich der Historiker nach der Promotion für ein völlig anderes Thema und begann – zurück in Europa – am Zentrum für Vergleichende Geschichte Europas in Berlin mit seinem Habilitationsprojekt aus der Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Ziel der Arbeit war wieder ein Vergleich, diesmal zwischen verschiedenen Operntheatern (u.a. Dresden, Prag und Lemberg). In dem Projekt ging es außerdem um kulturelle Transfers und Austauschprozesse in Europa.

2004/05 schrieb er die Arbeit als Körber Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien fertig. 2006 wurde das daraus resultierende Buch "Operntheater in Zentraleuropa" mit dem Richard G. Plaschka-Preis der ÖAW ausgezeichnet. Dieser Forschungsschwerpunkt fand in zwei internationalen Projekten über die Musikkulturen europäischer Metropolen im modernen Europa seine Fortsetzung. Dazu erscheint beim Böhlau-Verlag auch eine Schriftenreihe.

Studierende für osteuropäische Sprachen begeistern

Während des Fellowships in Wien war Philipp Ther bereits Juniorprofessur und lehrte osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Anschließend wurde er an das Europäische Hochschulinstitut in Florenz (EUI) berufen und hatte dort eine Professur für Europäische Geschichte inne.

Während er am EUI nur DoktorandInnen unterrichtete und betreute, bietet er in Wien wieder Lehre auf allen Stufen an. Er freut sich, dass die Studierenden hier sozial stärker durchmischt sind als in Berlin. Seinen StudentInnen empfiehlt Ther, neben den Fachkenntnissen möglichst Sprachen zu lernen und verweist auf die einmaligen Angebote der Slawistik. Den Grund, warum diese Lehrofferte aber nur begrenzt genutzt werden, sieht Ther u.a. in den herrschenden Studienbedingungen: "Der Bachelor-Studienplan ist sehr verschult, da bleibt wenig Zeit, eine osteuropäische Sprache zu lernen."

Antrittsvorlesung über Nation Building

Den Zusammenbruch des Kommunismus und die jüngste Geschichte der Nachfolgestaaten hat Ther zwar nicht unmittelbar nach seinen Erlebnissen in Prag beforscht. Sie haben ihn aber nachhaltig geprägt und nach einer großen Konferenz am EUI über den Umbruch von 1989 greift er jetzt in Wien das Thema wieder auf: Er beschäftigt sich in seiner Antrittsvorlesung mit der Transformation Osteuropas nach 1989, ein bislang von Historikern kaum bearbeitetes Thema. Philipp Ther geht – wie bisher – komparativ an dieses Forschungsgebiet heran und beschäftigt sich auch mit der "Co-Transformation" der Länder westlich des früheren eisernen Vorhangs. (vs)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Philipp Ther, MA vom Institut für Osteuropäische Geschichte zum Thema "Vom Ostblock zum 'neuen Europa'. Die Transformation aus historischer Sicht" findet am Donnerstag, 7. April 2011, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.