"Schmetterlinge halten deutlich mehr aus als Menschen"

Veränderung ist es, für die sich Biodiversitätsforscherin Andrea Grill besonders interessiert. Ihr Forschungsobjekt: Schmetterlinge. Im Interview zur Semesterfrage erklärt sie, wieso Schmetterlinge schneller auf Klimaveränderungen reagieren und wieso wir alle weniger Rasenmähen sollten.

uni:view: Frau Grill, in einem Elise-Richter-Projekt (2011-2016) haben Sie die Auswirkungen anhaltender Sommerbedingungen auf eine Sardische Schmetterlingsart experimentell untersucht. Was macht diese Schmetterlingsart so interessant?
Andrea Grill:
Viele Insekten überdauern die Wintermonate in Kältestarre – die Weibchen der Sardischen Ochsenaugen hingegen verschlafen den Hochsommer. Wird es zu heiß, verstecken sie sich unter Büschen und halten einen Sommerschlaf, Diapause genannt, aus dem sie an kühleren Tagen ab und zu erwachen können, um Nektar zu saugen. Doch grundsätzlich sind sie unauffindbar. Sie verstecken sich im Gebüsch und kommen erst nach den ersten Regenfällen im Herbst wieder hervor, um ihre Eier abzulegen.

Werden unsere Sommer immer länger und heißer, stellt sich die Frage, wie lange können Tiere die Ruhephase, in der sie den für sie unangenehmen Hochsommer überdauern, verlängern? Ich konnte im Labor nachweisen, dass die Tageslänge, also wie viele Stunden es hell ist, die sommerliche Diapause der Schmetterlinge steuert. Wurden die Falter kontinuierlich unter Tageslängen wie im Sommer gehalten, verlängerten sie ihren Sommerschlaf und damit ihr Leben. Und zwar auf das Dreifache der in der Natur üblichen Länge. Das ist so, als würden Menschen plötzlich dreihundert Jahre alt werden. Die später geschlüpften Raupen waren dann allerdings nicht nur weniger an der Zahl, sondern auch von geringerer Körpergröße.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen die Semesterfrage. Im Sommersemester 2018 lautet sie "Wie retten wir unser Klima?" Zum Dossier (© Universität Wien)

uni:view: Heißt das, bei fortschreitender Erwärmung des Klimas könnten die Falter ihre Eier nicht mehr ablegen und würden irgendwann aussterben?
Grill:
Die Gefahr für diese spezifische mediterrane Art ist, dass sich die Weibchen nicht nach der Temperatur richten, sondern nach der Tageslänge. D.h. es könnte sein, dass sie ihre Eier zu früh ablegen, zu einem Zeitpunkt, wo noch kein frisches Gras nachgewachsen ist. Dann würden die jungen Raupen verhungern.

Insgesamt wissen wir von Tagfaltern, dass sie bei Erwärmung des Klimas in höhere Lagen wandern (siehe Video) oder weiter nach Norden. In einer Studie in einem Nationalpark in Nord-Griechenland, die ich zusammen mit griechischen Kollegen durchgeführt habe, haben wir gezeigt, dass sich die Schmetterlingsgemeinschaft innerhalb der letzten anderthalb Jahrzehnte in Richtung wärmeliebender Arten verschoben hat.

Wenn die Raupen zu früh oder zu spät schlüpfen und kein Futter mehr finden und sich das in allen Populationen wiederholt, stirbt die Art aus. Allerdings vermute ich, dass Schmetterlinge sich mit der Klimaerwärmung eher arrangieren können als andere Organismen.

"Der Klimawandel hat oft überraschende Auswirkungen" – welchen Einfluss er auf Schmetterlinge hat, untersucht Biodiversitätsforscherin Andrea Grill.

uni:view: Warum reagieren Schmetterlinge schneller auf Klimaveränderungen als Säugetiere?
Grill:
Ein Faktor ist die kürzere Generationszeit. Sie haben in Mitteleuropa mindestens eine Generation pro Jahr, manche Arten sogar mehrere innerhalb eines Jahres. Jede Generation hat die Möglichkeit, sich an die Umwelt anzupassen. Säugetiere leben länger und können das daher nicht so schnell. Zudem sind Säugetiere gleichwarme Lebewesen, sie halten ihre Körpertemperatur durch ihren Blutkreislauf konstant, d.h. sie sind unabhängiger von ihrer Außentemperatur. Schmetterlinge sind immer so warm wie ihre Umgebung – die Temperatur spielt also eine wichtige Rolle in ihrem Leben.

uni:view: Wie sehen Sie als Biodiversitätsforscherin den Klimawandel – sorgen Sie sich?

Grill:
Als Evolutionsbiologin weiß ich, dass Arten sich ändern und es immer irgendwie weitergeht. Gerade Insekten haben so viele Klimaszenarien überlebt, da mache ich mir – in geologischen Zeiträumen gesehen – keine Sorgen. Auch Schmetterlinge können sich schnell anpassen – und sie halten, was Temperatur betrifft, viel mehr aus als wir Menschen. Wir können nicht einfach mal zwei Jahre in einen Sommer- oder Winterschlaf fallen.

Wenn wir Menschen uns entscheiden, etwas gegen den menschengemachten Klimawandel zu unternehmen, werden wir das am wahrscheinlichsten mittels neuer Technologien tun können. Das Bewusstsein für Natur- und Klimaschutz ist ja schon bei vielen Leuten gestiegen: Als ich noch ein Teenager war, war es üblich, den Müll einfach aus den Autofenstern zu werfen. Ich bin überzeugt, dass jede und jeder etwas machen kann.

"Im Sommer Schmetterlingen zu begegnen, ist für mich fast ein bisschen wie alte Freunde zu treffen", lacht Andrea Grill. In Wien ist vor allem der Hauhechel-Bläuling (im Bild) auf kurzgeschorenen Rasenflächen aktiv. "Auch Zitronenfalter und Kohlweißlinge sieht man eigentlich immer. In naturnahen Gebieten gibt es insbesondere den Admiral; auf dem Döblinger Leopoldsberg dagegen Segelfalter und Schwalbenschwänze." (© Friedrich Böhringer/Wikimedia CC BY-SA 3.0 AT)

uni:view: Haben Sie einen Lieblingsschmetterling?
Grill:
Sich für einen zu entscheiden, ist schwer. Ich mag z.B. Mohrenfalter, die sind zwar eher unscheinbar, aber ich finde toll, wie sie so bescheiden von ein bisschen Gras leben und in Höhen über 2000 Meter so lange unter dem Schnee ausharren können. Vom Aussehen gefällt mir dagegen der blauäugige Waldportier, der sich durch Augen auf den Flügeln vor Fressfeinden schützt. Beim Zürgelbaum-Schnauzenfalter gefällt mir der Name. Und nicht zu vergessen das Europäische Ochsenauge, zu dem ich seit meiner Dissertation forsche. Er ist quasi mein "Lieblingsarbeitgeber".

Buchtipp: Was fühlt ein Schmetterling? Was denkt er? Diese und andere Fragen beantwortet Andrea Grill in ihrem 2016 erschienenen Buch "Schmetterlinge. Ein Portrait", das die Forscherin in einem uni:view-Buchtipp vorstellte.

uni:view: Wie könnte jede/r von uns den Schmetterlingen einen Gefallen tun?
Grill:
Weniger Rasenmähen. Da viele Schmetterlingsarten ihre Eier auf Gräser legen, von denen die Raupen sich ernähren, und andere wiederum Pflanzen fressen, die in Wiesen wachsen, tun ihnen alle, die ihre Wiesen möglichst ungeschoren davonkommen lassen, einen großen Gefallen. Auch Brennnessel stehen lassen hilft schon. Eine Reihe von wunderschönen Tagfaltern legt ihre Eier an Brennnesseln ab. Häufig wird direkt neben sogenannten Schmetterlingssträuchern gemäht, an denen zwar die erwachsenen Schmetterlinge Nektar saugen können, aber die Raupen gehen leer aus. Gerade das Raupenstadium ist dasjenige, in dem ein Schmetterling am empfindlichsten ist.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(mw)

Andrea Grill ist Evolutionsbiologin und Schriftstellerin und lehrt an der Universität Wien. Sie ist der österreichische Ansprechpartner für Butterfly Conservation Europe (BCE). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Verhaltensbiologie von Schmetterlingen in hochalpinen Lebensräumen sowie deren Winter- und Sommerschlafstrategien. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt erschien der Band "Schmetterlinge" in der Reihe Naturkunden bei Matthes und Seitz.

Die Foto- und Videoaufnahmen für die Interviews zur Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima?" sind im Glashaus des UZA I in der Althanstraße entstanden. In den Glashäusern des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien werden mehr als 480 verschiedene Spezies kultiviert, um auf eine ausreichende Auswahl an Pflanzenmaterial aus den verschiedenen Klimazonen für Unterrichtszwecke sowie für wissenschaftliche Experimente im größeren Umfang zurückgreifen zu können.