Exkursion: Flucht und Asyl in Österreich

Geographie-Studierende der Uni Wien und der Uni Graz lernten vom 13. bis 15. Mai die Situation geflüchteter Menschen und Asylsuchender in Österreich kennen und berichten in einem Gastbeitrag über ihre Erfahrungen.

Am 13. Mai, dem ersten Tag unserer Exkursion "Flucht und Asyl in Österreich", setzten wir uns am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien theoretisch mit dem Thema Migration auseinander. Es gibt unterschiedliche Gründe für Migration, unter anderem ökonomische, politische, soziale und ökologische, die jedoch meist gebündelt und abhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Status und der Wanderungsdistanz auftreten.


Unsere Kolleginnen Yasemin Özdemir (im Bild) und Helin Yilmaz präsentierten im Anschluss ein Poster über das Asylverfahren in Österreich. Nach einer Erstbefragung bei der Polizei und einer Prüfung der Zuständigkeit Österreichs wird entweder Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt oder aber das Asylansuchen abgelehnt.

Flüchtlingsverein Ute Bock
 
Am Nachmittag führte uns Ariane Baron, Mitarbeiterin bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Flüchtlingsprojekts Ute Bock, durch das Ute Bock Haus in der Zohmanngasse in Wien. Das Projekt wurde vor 15 Jahren von der mittlerweile verstorbenen Ute Bock gegründet und wird nach wie vor von 22 Angestellten und über 200 Ehrenamtlichen weitergeführt. Der Verein soll AsylwerberInnen, die beispielsweise einen negativen Asylbescheid erhalten haben oder keine Grundversorgung bekommen, menschenwürdige Versorgung (Wohnungen, Nahrungsmittel, Kleidung etc.) bieten, bis sie mit einem positiven Asylbescheid auf eigenen Beinen stehen können. In den drei Ute Bock Häusern und 47 Wohnungen leben ungefähr 360 Menschen. Das Projekt wird großteils mittels Spenden finanziert.


Ibrahim Ari leitet die Sozialberatung, die sich in der ehemaligen Wohnung von Frau Bock befindet.

Ein wichtiger Teil der Arbeit des Flüchtlingsvereins Ute Bock stellt die Sozialberatung für Menschen mit Fluchterfahrung dar. Dabei werden Alltagsfragen bezüglich Anträgen, Fristen, Bewerbungen o.Ä. bearbeitet. Ein weiterer Service, der von Ute Bock gegründet wurde, ist der Post- und Meldeservice, der für Menschen ohne Meldeadresse im Asylverfahren notwendig ist. Das Ute Bock Bildungszentrum, das von ehrenamtlichen LehrerInnen betreut wird, bietet Deutschkurse (von Alphabetisierung bis B2), Farsikurse, IT-Kurse und Kurse zur Allgemeinbildung an. Außerdem können ÖSD Prüfungen günstig abgelegt werden.

magdas Hotel

Am Ende des ersten Tages besuchten wir das magdas Hotel, in dem die Grazer Gruppe auch übernachtete. Es wurde als Social Business Unternehmen im Februar 2015 gegründet. Der soziale Aspekt dabei ist die Anstellung und Ausbildung von 20 Menschen mit Fluchterfahrung (von insgesamt 37 MitarbeiterInnen). Das Projekt soll für die Menschen der erste Schritt zur Integration sein und bietet Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Hotelbranche. Ein weiterer Schwerpunkt des magdas Hotels liegt auf dem Upcycling-Konzept, das ursprünglich aufgrund finanzieller Notstände herangezogen wurde. Kaum ein Möbelstück ist neuwertig und keines gleicht dem anderen. Türen wurden zu Spiegeln und Spinde zu Frühstückstheken umfunktioniert. Auch ehemalige Gepäckablagen aus Zügen werden wiederverwendet.

20 der 37 MitarbeiterInnen von magdas Hotel sind selbst von Fluchterfahrungen betroffen.

Beratungs- und Kulturzentrum Café "PROSA"

Am zweiten Tag unserer Exkursion besuchten wir zu Beginn das Beratungs- und Kulturzentrum Café "PROSA" im 15. Wiener Gemeindebezirk. PROSA (Projekt Schule für Alle!) wird vom Verein "Vielmehr für alle – Verein für Bildung, Wohnen und Teilhabe" betrieben und bietet Basisbildungs- und Pflichtschulabschlusskurse für junge Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung an. In unserem Gespräch mit dem Obmann Sina Farahmandnia haben wir erfahren, dass es dieses Projekt bereits seit 2012 gibt. Seit 2017 wird es alleinig durch Spenden finanziert. Derzeit besuchen 68 Jugendliche den Vormittagskurs und 20 Jugendliche den Abendkurs am Standort einer Abendschule im 21. Bezirk. Als weitere Säulen der Vereinsarbeit bestehen die Programme "[HOME]" im Gesundheitsbereich, "Flüchtlinge Willkommen" – Wohnraumberatung und -vermittlung – sowie "work:in" – Arbeitsberatung und -vermittlung. Unterstützt werden die Programme hauptsächlich von ehrenamtlichen MentorInnen und einigen SozialarbeiterInnen.

Mit dem Bus ging es weiter in Richtung Grenze nach Nickelsdorf. Dort angekommen, bekamen wir von unseren Kollegen Lorenz Petutschnig und Richard Nickl eine Einführung zum Thema "Grenzziehung als soziale Praxis". Anhand der Vorstellung des Push-und-Pull-Modells öffneten die beiden uns die Augen, dass jeder Mensch das Potenzial zur Migration hat. In der anschließenden Diskussion haben wir die Unterschiede und Zusammenhänge zwischen politischen, symbolischen und sozialen Grenzen besprochen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Grenzziehung als soziale Praxis historisch und von Aushandlungsprozessen geprägt ist und durch Narrative vermittelt wird.

Im Polizeikooperationszentrum Nickelsdorf

Anschließend von der Landespolizeidirektion Burgenland abgeholt und zum Polizeikooperationszentrum Nickelsdorf gebracht, wo uns Rainer Erhard in die Thematik des Grenzmanagements einführte. In den Monaten September und Oktober 2015 kam es zu einem massiven Anstieg der Flucht nach und durch Österreich.


Die Schilder auf dem Foto verdeutlichen den entsprechend notwendigen Ausbau der Infrastruktur in Nickeldorf nach 2015.

Überraschend für uns war, dass sich trotz der enormen Zunahme der flüchtenden Menschen von 4.526 (2014) auf 294.462 (2015) die Verhaftung von Schleppern lediglich von 167 (2014) auf 267 (2015) erhöhte. Stolz berichteten die GrenzpolizistInnen von der erfolgreichen Kooperation zwischen Polizei, Rotem Kreuz, Bundesheer und Freiwilligen HelferInnen, ohne die die enorme humanitäre und logistische Herausforderung des Anstiegs der nach und durch Österreich Flüchtenden im Jahr 2015 nicht hätte bewältigt werden können.


Am Abend hatten wir im Gasthof "Schwarzer Adler" in Vordernberg ein sehr informatives Gespräch mit dem Bürgermeister der Gemeinde Walter Hubner.

Vordernberg ist stark von Abwanderung betroffen. Die Zahl der EinwohnerInnen hat sich mittlerweile auf rund 1.000 Personen reduziert. Ende des 19. Jahrhundert waren es rund 3.000 Menschen, die hier aufgrund der Montanindustrie lebten. Um für den Programmpunkt am nächsten Tag gut vorbereitet zu sein, berichtete Herr Huber über den Prozess des Baus des 2014 eröffneten Anhaltezentrums (ehemals Schubhaftzentrum) in Vordernberg.

Überraschend war, dass 70 Prozent der ansässigen Bevölkerung in einer BürgerInnenbefragung für das Zentrum gestimmt haben. Der Hintergrund der Entscheidung, das Anhaltezentrum in Vordernberg anzusiedeln, war die Idee, auf diese Weise bestehende Leerstände der Gemeinde nutzen zu können. Letztlich wurde es jedoch neugebaut. Für Vordernberg lohnt sich das Anhaltezentrum aus wirtschaftlicher Sicht, da die Gemeinde durch kommunale Abgaben Mehreinnahmen generiert und Arbeitsplätze geschaffen wurden.

Anhaltezentrum Vordernberg

Der dritte Tag begann mit der Besichtigung des Anhaltezentrum Vordernberg. Wir wurden von Herwig Rath empfangen und erhielten von Georg Wakonig einen Überblick und Eckdaten zum Anhaltezentrum.


Die 4.000 m2 große Anlage wurde 2013 für 28 Millionen Euro errichtet. Sie bietet Platz für 193 InsassInnen und ist momentan mit 160 Häftlingen belegt.

In ganz Österreich befinden sich zum jetzigen Zeitpunkt ca. 400 Personen in Schubhaft. Diese wird für Personen angeordnet, die letztinstanzlich keinen Schutztitel erhalten haben und verdächtigt werden, sich einer bevorstehenden Abschiebung zu entziehen. Zwar gilt das Anhaltezentrum in Bezug auf Wohn- und Unterbringungsstandards weltweit als vorbildhaft. Die hohe psychologische Belastung, die Schubhaft für Menschen bedeutet, sowie die enorm hohen Kosten des Anhaltezentrums von monatlich einer Million Euro verdeutlichen jedoch die Notwendigkeit der Debatte über die Sinnhaftigkeit dieser Art von Einrichtungen.
 
Verein Menschenrechte Österreich

Anschließend ging es mit einem kurzen Vortrag von Lisa Hoffener und Alen Ascaric vom VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) weiter. Der Verein unterstützt Menschen im Anhaltezentrum mit Rechts-und Rückkehrberatung. Er übernimmt weiters einen Teil der Schubhaftbetreuung, zum Beispiel unterstützt er bei der Herstellung von Kontakt zur Außenwelt, beim Asylverfahren selbst oder bei etwaigen Rückfragen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Freiwillige RückkehrerInnen unterstützt der Verein bei der Beschaffung von Reisedokumenten, Flugbuchungen, zahlt Reintegrationshilfen aus und hält den Kontakt nach erfolgter Rückkehr.

"Plattform Asylwerber Leoben"

Nach einem entspannten Mittagessen im Café Mittendrin der Lebenshilfe in Leoben stellten uns Erika Augustin und Gertraud Rossmann ihren Verein "Plattform Asylwerber Leoben" näher vor.


Die Plattform Asylwerber Leoben veranstaltet Deutschkurse und regelmäßige Freizeittreffen und bemüht sich um den Austausch zwischen der Bevölkerung und den AsylwerberInnen.

Anschließend präsentierten unsere Kollegen Ozon Gül und Mücahit Cetinel ein Poster zu Migrationsbewegungen in der Donaumonarchie. Anhand verschiedener historischer Migrationsbewegungen verdeutlichten die Studierenden, dass Österreich seit Jahrhunderten sehr stark von Emigration und Immigration geprägt wird.


Den Abschluss bildete das Zusammentreffen mit Menschen mit Fluchterfahrung.

Organisiert von KollegInnen der Universität Graz absolvierten wir zum Ende der Exkursion einige Workshops mit Geflüchteten, die von der "Plattform Asylwerber Leoben" unterstützt werden. So lernten uns näher kennen und erhielten einen Eindruck von ihren persönlichen Erfahrungen. Diese überwältigend positiven Interaktionen bildeten einen würdigen Abschluss dieser gelungenen Exkursion. (Fotos: © 1-4: Greta Dobetsberger & Eva Krobath, 5-7: Christina Jakober; Lisa- Maria Zach, 8-11: Julian Jahr & Andreas Schneeweiss)

Die Fachexkursion "Flucht und Asyl in Österreich" fand vom 13. bis 15. Mai 2019 unter der Leitung von Gunnar Stange vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien und Ulrich Ermann vom Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz statt. Konzipiert und geplant wurde die Exkursion von Sabine Kraushaar, Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien, und Petra Wlasak, Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz.