Jean-Robert Tyran: "Die ganze Uni im Blickfeld haben"

Jean-Robert Tyran ist seit 1. Februar 2018 Vizerektor der Universität Wien, zuständig für Forschung und Internationales. Welche Ziele er sich gesteckt hat und wie es nach fast zwei Monaten im neuen Amt um seine "Happiness-Bilanz" steht, erzählt er im Gespräch mit uni:view.

uni:view: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Rektor Engl Sie fragte, ob Sie für die Aufgabe des Vizerektors für Forschung und Internationales zur Verfügung stehen?
Jean-Robert Tyran:
Auf Wienerisch würde man wohl sagen: "Des a no!" (lacht) Ich habe eine aktive Forschungsagenda und bin in mehrere Drittmittelprojekte involviert. Das Amt des Vizerektors ist aber ein Vollzeitjob und lässt kaum tiefergehende Forschung zu. Nach nur einem Tag Bedenkzeit habe ich dennoch zugesagt, weil es sich um eine sehr spannende und verantwortungsvolle Aufgabe handelt.

uni:view: Was erwarten Sie sich von Ihrer neuen Aufgabe?
Tyran:
Unsere Universität ist sehr vielfältig: Hier wird unter anderem der Zusammenhang von Darmbakterien und Depressionen, die Entstehung der Sterne, die moralischen Grundlagen unseres Zusammenlebens, kleinste Molekülteilchen oder Poesie erforscht – Bereiche, mit denen ich als Volkswirt bisher wenig zu tun hatte. Als Vizerektor gilt es, die ganze Uni im Blickfeld zu haben, die unterschiedlichen Fächer und ihre unterschiedlichen "Kulturen" zu kennen, um passende Entscheidungen zu treffen. Mit diesem Kennenlernen bin ich gerade beschäftigt.

uni:view: Sie ziehen also von Fakultät zu Fakultät?

Tyran:
Ja, genau. (lacht) Ich war auch schon am Vienna Bio Center, wo Weltspitzenforschung passiert und die Universität Wien mit den Max F. Perutz Laboratories beteiligt ist, habe mich mit unserem Wassercluster in Lunz befasst und den Haidlhof besucht, wo wir die Kognition und Kommunikation von Raben und anderen Tieren studieren. Ich spreche mit vielen Leuten, versuche herauszufinden, wo "der Schuh drückt", welche Pläne und Visionen sie haben.

uni:view: Als Vizerektor für Forschung und Internationales steht Nachwuchsförderung auf Ihrer Agenda. Was haben Sie sich diesbezüglich vorgenommen?
Tyran:
Der Begriff Nachwuchsförderung bezieht sich auf Promovierte, die noch keine ProfessorInnen sind. Diese jungen Leute befinden sich im schwierigsten Abschnitt ihrer akademischen Karriere: Man muss hart arbeiten und akademisch selbständig werden, während die Karriereaussichten noch sehr unsicher sind. Die eingereichten Beiträge werden von Fachzeitschriften oft abgelehnt, die Drittmittelanträge von Forschungsinstitutionen nicht genehmigt. Da braucht es ein "dickes Fell". Unsere Aufgabe ist es, den jungen Menschen zu helfen, diese schwierige Phase ihrer Karriere zu meistern, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen können. Was wir ihnen bieten können: Zugang zu hervorragender Forschungsinfrastruktur, Mitwirkung an innovativen Forschungsprojekten, Einbindung in internationale Forschungsnetzwerke sowie Entlastung von administrativen Aufgaben.

uni:view: Auch das Thema Wissen- und Technologietransfer wird Sie in der nächsten Zeit beschäftigen. Warum ist das Zusammenrücken von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft wichtig?
Tyran:
Neben Forschung und Lehre hat sich die Universität Wien den Wissens- und Technologietransfer als "Third Mission" vorgenommen. Wir sind aufgerufen, Impulse für Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft zu liefern. Aber auch die angewandte Forschung kann von dieser Interaktion profitieren: Aus Projekten mit PartnerInnen aus der Praxis entsteht oft wertvoller Input für die Forschung. Es geht also nicht nur um einen Wissenstransfer, sondern auch um den Wissensaustausch.

Genauso wichtig ist der Dialog mit der Gesellschaft. In diesem Bereich habe ich als Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften einige Erfahrung gesammelt, z. B. mit der Organisation des "Vienna Behavioral Economics Network" (VBEN) sowie Veranstaltungen in der Reihe "Wissenschaft & Praxis".

uni:view: Internationalität wird im Wissenschaftsbereich immer wichtiger. Welche Ziele haben Sie sich diesbezüglich für Ihre Amtsperiode gesteckt?
Tyran:
Wir sind nicht nur die größte, sondern in vielen Bereichen auch die beste Universität Österreichs und darauf können wir stolz sein. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass wir uns nicht nur mit Universitäten in Österreich oder im deutschsprachigen Raum, sondern auch mit internationalen Universitäten messen müssen. Wir stehen mit diesen Universitäten in einem Wettbewerb der (Forschungs-)Ideen, aber angesichts der ständig steigenden Mobilität der Menschen auch in einem Wettbewerb um die besten Köpfe.

Ich bin ex officio Mitglied in den Boards verschiedener europäischen Organisationen, die Universitäten miteinander vernetzen, z.B. die European University Association oder The Guild. Als Universität müssen wir europäisch denken – und noch weiter: Auch Asien ist ein zukunftsträchtiger Raum, dem wir uns mehr öffnen sollten. In diesem Sinne fliege ich Anfang Mai zu einem Netzwerktreffen nach China. Weiters planen wir eine strategische Partnerschaft mit der Universität Kyoto, Japan.

uni:view: Sie sind in Ihrer Forscherkarriere schon viel herumgekommen. Inwiefern hilft Ihnen das für Ihre neue Aufgabe?
Tyran:
Mein internationaler Hintergrund erlaubt es mir, einen anderen Blick auf die Dinge zu haben. Ich habe in der Schweiz studiert und promoviert. Zu dieser Zeit war ich an vielen Universitäten zu Gast und habe verschiedene Universitätskulturen kennenglernt – u.a. in England, Frankreich und den USA. Außerdem war ich sieben Jahre lang Professor an der Universität Kopenhagen.

uni:view: Wie sieht ein "typischer" Arbeitstag als Vizerektor aus?
Tyran: Sehr abwechslungsreich. Inhaltlich reicht das von Afrikaforschung bis zur Zoologie, von der Ausarbeitung einer Strategie zur Steigerung der Drittmitteleinwerbung bis zur Sicherung der Qualität in Berufungsverfahren, von der Bewilligung neuer Forschungsplattformen bis zur Begrüßung internationaler Delegationen. Oft sind die Tage gefüllt mit Gesprächsterminen und Sitzungen, abends beantworte ich E-Mails und ordne meine Gedanken.

uni:view: Als Vizerektor bleibt Ihnen weniger Zeit für Ihre eigene Forschung. Werden Sie diese vermissen?
Tyran:
Ich habe einen "Forschungstag", an dem ich mich meiner eigenen Forschung widme. Das ist natürlich zu wenig, um größere neue Projekte anstoßen zu können, aber ich hoffe, meine zahlreichen Projekte und DoktorandInnen weiter betreuen zu können. Ich finde es wichtig, dass der Vizerektor für Forschung den praktischen Kontakt zur Forschung nicht völlig verliert.

uni:view: Sie haben kürzlich einen Vortrag des britischen Ökonomen Andrew Oswald eingeleitet, in dem es um die Verschränkung von Arbeit und Glück ging. Nach fast zwei Monaten in Ihrem neuen Amt: Wie steht es um Ihre "Happinessbilanz"?
Tyran:
Die Happiness-Forschung zeigt, dass wir glücklich sind, wenn wir einen produktiven Teil zu einer sinnstiftenden Arbeit leisten. Außerdem sind Freiräume, Wertschätzung und ein "guter Boss" ausschlaggebend. Andersherum gilt: Wenn wir sinnlose Arbeit machen, uns inkompetent fühlen, kaum Entscheidungsspielräume und einen "furchtbaren Boss" haben, sind wir unglücklich. Meine Bilanz bisher: Unsere Universität voranzubringen ist eine sinnvolle Aufgabe. Es ist eine fantastische Organisation mit vielen Wissensgebieten und vielen unglaublich kreativen und klugen Leuten. Ich glaube auch, dass ich als Vizerektor produktiv sein kann, da ich aus meinem Erfahrungshintergrund Wertvolles mitbringe und bereit bin, mehr zu lernen. Und ich bin auch sehr happy mit meinen MitarbeiterInnen, meinen Kolleginnen Hitzenberger und Schnabl und natürlich mit meinem "Boss". Rektor Heinz W. Engl ist ein sehr kompetenter Chef mit enormer Sachkenntnis, hoher Motivation und sehr integer. So macht es auch Spaß, viel zu arbeiten.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (hm)

Jean-Robert Tyran ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Direktor des Zentrums für Experimentelle Wirtschaftsforschung der Universität Wien. Er befasst sich in seiner Forschung mit Verhaltensökonomie, Finanzwissenschaft und politischer Ökonomie. Er war seit 2014 Vizedekan für Forschung und seit 2016 Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Seit dem 1.Februar 2018 ist er Vizerektor für Forschung und Internationales.