Jubiläumssymposium der Entwicklungspsychologie

Ende November fand ein Jubiläumssymposium statt, auf dem Forschungsthemen der Entwicklungspsychologie der Fakultät für Psychologie präsentiert wurden: u.a. ging es um kindliche Stressverarbeitung, Entwicklungsbesonderheiten im Kontext von Frühgeburtlichkeit und außerfamiliäre Betreuung von Kleinkindern.

Vize-Rektor Jean-Robert Tyran eröffnete das Symposium mit dem Titel "Along the Traces of Charlotte Buehler: 1Oth Anniversary of Vienna Developmental Psychology". Nach herzlichen Begrüßungsworten betonte er, dass das Symposium zwar ganz im Kontext der Wiener Forschungstradition der Kinderpsychologie und deren Gründerin Charlotte Bühler stünde, die Forschungsleistungen der Gruppe um Lieselotte Ahnert jedoch weit darüber hinausgegangen seien. Diese Forschung habe zielführende Beiträge zu zentralen Fragen über das Aufwachsen von Kindern in unserer heutigen Zeit erarbeitet. Diese hätten sich in der internationalen Arena hervorragend etablieren können und damit das Ansehen der Universität Wien im In- und Ausland weiter gestärkt.


Jean-Robert Tyran

Dekanin Barbara Schober und Institutsvorstand Urs Nater hoben das hohe Engagement der Forschungsgruppe um Ahnert hervor, das zu sozial-politisch relevanten Implikationen geführt habe. Insbesondere sei es aber auch die offene Diskussionskultur der Forschungsgruppe gewesen, die sich an der Fakultät und im Institut als nutzbringend und beispielgebend auch für den allgemeinen Diskurs erwiesen habe.  


Barbara Schober und Urs Nater

Dann ergriff Lieselotte Ahnert das Wort und führte durch die Wiener entwicklungspsychologische Forschung zwischen 2008 und 2018 mit einem faktenbasierten Rückblick. Danach hätten fünf Stiftungen insgesamt zehn Forschungsprojekte gefördert, unter denen wohl CENOF (Central European Network on Fatherhood mit Headquarters in Wien) zu den aufwändigsten Projekten gehört habe. Es seien 163 Auftritte auf 54 Konferenzen nachgewiesen, 79 Publikationen schon vorzeigbar und acht von zehn Dissertationen bereits abgeschlossen worden. Ein bunter Mix engagierter NachwuchswissenschafterInnen habe die verschiedensten individuellen Potenziale optimal genutzt. Man habe eine Forschungskultur von ausgeprägter Teamfähigkeit für die Untersuchung komplexer Forschungsthemen vorgehalten, aber auch ein fröhliches Miteinander jenseits von Forschung praktiziert.  


Lieselotte Ahnert

Den ersten Forschungsschwerpunkt der Wiener Entwicklungspsychologie führte Brenda Volling (Direktorin des Center for Human Growth and Development an der University of Michigan/USA) ein. Als eine der PionierInnen der Väterforschung gründete Volling gemeinsam mit weiteren internationalen ForscherInnen (darunter auch Ahnert aus Wien) das Forschungsnetzwerk iDads. Sie sprach über die veränderte Rolle heutiger Väter und wie wichtig es sei, die Erkenntnisse aus der jahrzehntelanger Mutterforschung beiseite zu lassen, um Vaterschaft in seiner hochkomplizierten Spezifik zu untersuchen. Dabei seien neue innovative methodische Zugänge notwendig, für die die Wiener Entwicklungspsychologie bereits wichtige Beiträge geliefert habe.

Die sich anschließenden Beiträge der Wiener NachwuchswissenschafterInnen wurden allesamt durch vorproduzierte Sketche eingeführt, in denen die Grundidee des jeweiligen Beitrags filmisch dargestellt wurde. Der hohe wissenschaftliche Anspruch der Beiträge wurde so mit der künstlerischen Ausdrucksform des Sketches verbunden; der festliche Charakter des Symposiums erhielt gleichsam eine unterhaltend-humoristische Note.


Bernhard Piskernik, Lukas Teufl und Andrea Witting (von links nach rechts)

Drei NachwuchswissenschafterInnen, die ihre Dissertationen erst jüngst abgeschlossen hatten – Bernhard Piskernik, Lukas Teufl und Andrea Witting (von links nach rechts) –, erörterten in ihren wissenschaftlichen Beiträgen die Fragen, was es für Kinder bedeuten könnte, wenn sich ihre Väter bei ihrer Betreuung engagieren (Father Involvement im Beitrag von Piskernik), wenn Mütter und Väter eine gleichwertige berufliche Laufbahn anstreben (Dual Career im Beitrag von Teufl), oder Mütter gar der väterlichen Betreuungsbeteiligung skeptisch gegenüberstehen (Gatekeeping im Beitrag von Witting).

In den Pausen wurde das Symposium durch Saxophon-Einspiele der Musikstudenten Alen Pavcic und Danijel Zivojinovic untermalt. Die flotte bis nachdenklich anmutende Musik-Kulisse hat nicht nur das erhabene Ambiente des Billrothhauses unterstrichen, sondern selbst den Pausen-Gesprächen ein akademisches Flair verliehen.


Alen Pavcic und Danijel Zivojinovic


Michael Lamb

Abgerundet wurde der erste Symposiumstag mit einem Vortrag von Michael Lamb (Direktor für Studien in den psychologischen Wissenschaften an der Cambridge University/UK). Lamb gilt weltweit als einer der ersten Väterforscher; er hat an großen internationalen Studien zu Familie und Elternschaft gearbeitet und untersucht derzeit die Einflüsse nicht-traditioneller Familienformen auf die Entwicklung von Kindern. Die Frage, wie sich Kinder und ob sie sich anders entwickeln, wenn sie zwei Mütter oder gar zwei Väter haben, hat eine intensive Debatte im Publikum ausgelöst.


Ruth Grunau

Der zweite Symposiumstag begann mit einem Vortrag von Ruth Grunau (Forschungsprofessorin in der Neonatologie der Kinderklinik der Medical University of British Columbia, Vancouver/Kanada). Grunau nahm gleich zwei Schwerpunkte der Wiener entwicklungspsychologischen Forschung in den Blick. Sie beschrieb die nachhaltigen Folgen von Frühgeburtlichkeit und Stress für die kindliche Entwicklung, die sie in eigener Forschung während der Stress- und Schmerzverarbeitung des Kindes aufsucht, aber auch im Kontext von anderen behavioralen und kognitiven Prozessen untersucht.   


Nina Ruiz und Felix Deichmann

Zwei NachwuchswissenschafterInnen Nina Ruiz und Felix Deichmann haben in ihren wissenschaftlichen Beiträgen untersucht, welche Faktoren die Beziehung frühgeborener Kinder zu ihren Eltern beeinflussen (Parent-Child Attachment im Beitrag von Ruiz) und in welcher Weise dies – wie einige andere wichtige Faktoren aus der Lebenswirklichkeit des Kindes – die kindliche Stressverarbeitung bestimmt (Cortisol Profiles im Beitrag von Deichmann).

In den Pausen wurde angeregt über all diese Fragen gesprochen, darunter befanden sich ProfessorInnen, MitarbeiterInnen, Studierende wie auch Alumnis (rechts oben) der Fakultät für Psychologie wie auch angrenzender Fakultäten sowie der Medizinischen Universität Wien. Es mischten sich jedoch auch hervorragende Senior Researchers aus Deutschland und der Schweiz sowie Konsultations- und KooperationspartnerInnen aus Österreich in die Gespräche (rechts unten).


Paul Lesemann

Paul Lesemann (Professor für Frühe Bildung an der Universität Utrecht, Niederlande) leitete schließlich den vierten Schwerpunkt des Jubiläumssymposiums ein, der die Einflüsse einer frühen außerfamiliären Betreuung auf die kindliche Entwicklung in den Blick nahm. Seine Expertise basiert auf großen nationalen Studien zur Außerfamiliären Betreuung von Kindern und Initiativen zur Qualitätsverbesserung öffentlicher Kindereinrichtungen, die Lesemann in den Niederlanden anführt. Danach ist eine detaillierte Analyse der Gruppenprozesse in Kindereinrichtungen dringend angezeigt, um Qualität und Betreuungsverhalten zu professionalisieren. 


Nicole Zaviska und Tina Eckstein-Madry (von links nach rechts)

In den Beiträgen der NachwuchswissenschafterInnen Nicole Zaviska und Tina Eckstein-Madry (von links nach rechts) untersucht Zaviska zunächst die Frage, welches Erzieherinnen-Verhalten (individuums- oder gruppenorientiert) zu einer Erzieherinnen-Kind-Beziehung führt, die das Kind nachhaltig positiv beeinflusst. Danach stellt Eckstein-Madry dar, wie sich für ein Kind bereits in der ersten Betreuungswochen eine positive Erzieherinnen-Kind-Beziehung herausbilden kann, die entwicklungsförderlich ist.


Stefanie Höhl und Herbert Scheithauer

Der Vortrag von Stefanie Höhl (zum Porträt in uni:view) erlaubte nach der letzten Pause des Symposiums auch Einblicke in die zukünftige entwicklungspsychologische Forschung an der Wiener Fakultät für Psychologie. Der Fokus wird hierbei auf den sozial-kognitiven Basiskompetenzen von Kleinkindern und deren neurowissenschaftlichen Untersuchung liegen. Herbert Scheithauer (Professor für Entwicklungspsychologie der Freien Universität Berlin) ließ dagegen wissen, dass die Freie Universität die neue Heimat von Lieselotte Ahnert und ihren Forschungsarbeiten sein wird. Ahnert sei bereits Anfang diesen Jahres auf der Grundlage eines Universitätsratsbeschluss die Fakultätsmitgliedschaft angetragen worden.  


Forschungsgruppe um Lieselotte Ahnert

Studierende der Fakultät für Psychologie überreichten Blumen und verabschiedeten sich schließlich, da sich die Wiener Forschungsgruppe um Lieselotte Ahnert zum Jahresende auflöst. (Text: Bernhard Piskernik und Lukas Teufl/ Fotos: © Felix Deichmann und Camilla Hermann)