100 Jahre Bauhaus

Die Werkstatt der Moderne wird im April 2019 100 Jahre alt. Sandra Guinand und Walter Matznetter vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien erklären, wie das Bauhaus Kunst, Architektur und Stadtplanung revolutionierte.

uni:view: 2019 feiern wir das Bauhaus-Jubiläum – was ist Bauhaus eigentlich?
Sandra Guinand: Bauhaus ist eine Schule, die erstmals Handwerk und Kunst miteinander verband und internationale Stile, insbesondere den Funktionalismus, beeinflusste. Man kann Bauhaus aber nur verstehen, wenn man den sozialen und ökonomischen Kontext der damaligen Zeit mitberücksichtigt: In der zweiten Phase der Industrialisierung standen neue bauliche Materialien zur Verfügung, Taylorismus und Fordismus prägten die Wirtschaft, das Aufkommen von Maschinen und Transportmitteln brachten rasante Veränderungen mit sich. Bauhaus war ein Projekt für die Gesellschaft; im Mittelpunkt stand die Verbesserung der Lebensbedingungen. Im Zuge dessen wurde das Kollektive vor das Individuelle gestellt.

uni:view: Welche waren diese neuen Materialien – woraus war Bauhaus "gemacht"?
Guinand: Viel Beton, Metallstrukturen und Glas. Paul Claval, ein wichtiger französischer Geograf, erklärte die Grundprinzipien mit einem Beispiel: Die Wand war nicht mehr nur Objekt der Begrenzung, sondern konnte durch Metallgitter und Glas transparent und spielerisch eingesetzt werden. Die neue Bauweise sollte etwas für die Menschen verbessern.

BU: Walter Gropius hat 1922 die Grundprinzipien der Bauhaus-Schule schematisch dargestellt (© Wikipedia/SuperManu, CC BY-SA 3.0)

uni:view: Das Staatliche Bauhaus wurde 1919 vom deutschen Architekten Walter Gropius ins Leben gerufen. Wie sahen die Anfänge aus?
Walter Matznetter: Das Bauhaus wurde von Walter Gropius in den Gebäuden der Kunstgewerbeschule in Weimar gegründet, mit dem Programm einer Vereinigung von Architektur, Handwerk und Kunst. Im Jahrzehnt davor war er vor allem als Industriedesigner und Architekt von Industriebauten tätig gewesen. Erst nach der Übersiedlung nach Dessau 1926, ins eigene, selbst entworfene Bauhausgebäude, rückte der Wohnungsbau, seine Innen- und Außenarchitektur, ins Zentrum der Aktivitäten des Bauhauses.

Guinand: Ideen entstehen niemals in einem Vakuum: Funktionalismus beschäftigte schon den Architekten Adolf Loos – vor der Bauhausbewegung. Er hat 1913 den Essay "Ornament and Crime" veröffentlicht und eine kontroverse Debatte über die Grenzen Österreichs hinaus ausgelöst. Er fordert darin den Verzicht auf Schmuck oder Ornamente, wichtig sei allein die Funktion des Objekts. Diesen Gedanke hat auch der Architekt Louis Sullivan (er prägte den berühmten Leitsatz "Form follows functions" mit) aufgegriffen – die AnhängerInnen des Bauhaus taten es ihm einige Jahre später gleich.

uni:view: Welchen Einfluss hatte Bauhaus auf die Stadtplanung?

Guinand: Bauhaus hat viele ArchitektInnen berührt, allen voran Le Corbusier. Auf dem ersten Congrès Internationaux d'Architecture Moderne in 1933, im Rahmen dessen auch die Charte d'Athène zum Thema "Die funktionale Stadt" entstand, hat Le Corbusier Walter Gropius kennengelernt. Ein konkretes Bauwerk, das daraus hervorgegangen ist, ist die Cité Radieuse in Marseille: Heute gentrifiziert und Pilgerstätte für TouristInnen, schuf Le Corbusier damit kollektive Infrastrukturen für das soziale Zusammenleben. In verschiedenen Wohneinheiten gab es zum Beispiel Kinderbetreuung, Freizeitangebot und Möglichkeiten des Austauschs.

Die Cité Radieuse steht unter Denkmalschutz und wurde im Juli 2016 zusammen mit 16 weiteren Kulturdenkmälern von Le Corbusier in die Liste des UNESCO Welterbes aufgenommen. (© Wikipedia/Michel-georges bernard, CC BY-SA 3.0)

uni:view: Wo lassen sich in Wien Spuren vom Bauhaus finden?
Matznetter: Die Wiener Beziehungen zum Weimarer/Dessauer Bauhaus waren selten direkt, liefen eher über parallele Reformbewegungen wie den 1907 gegründeten Deutschen Werkbund, dem die Verbindung von Architektur, Kunst und Industrieprodukten am Herzen lag. Peter Behrens, in dessen Büro Walter Gropius seine Berufslaufbahn begonnen hatte, zählte ebenso zu dessen Gründungsmitgliedern wie Josef Hoffmann von der Wiener Werkstätte und Joseph Olbrich, der Architekt der Wiener Secession. Das Rote Wien der 1920er Jahre war in architektonischer Hinsicht konservativer als die Bauhaus-Moderne. Erst in der Werkbund-Siedlung 1932 konnten sich führende Vertreter des Neuen Bauens wie Josef Frank in Wien verwirklichen. Nur wenige hatten einen direkten Bezug zum Bauhaus, wie etwa der Wiener Architekt Anton Brenner, der dort unterrichtet hatte.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (hm)

Sandra Guinand ist Postdoc am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. In ihrem aktuellen Projekt untersucht sie, wie durch public private partnership urbane Qualität produziert wird. Guinand ist im französischsprachigen Teil der Schweiz aufgewachsen, genau wie Architekt und Theoretiker Le Corbusier, der bei der Charte d'Athènes federführend war und die funktionale Stadt miterdacht hat. (© Universität Wien)

Walter Matznetter forscht und lehrt seit 1989 am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Seine Schwerpunkte sind u.a. Stadtgeographie, Stadtplanung und Wohnforschung. Matznetter lehrt im Joint-Master-Studium "Urban Studies", das an sechs Universitäten in vier europäischen Städten abgehalten wird: Universität Wien, Université Libre de Bruxelles, Vrije Universiteit Brussel, Københavns Universitet, Universidad Autónoma de Madrid und Universidad Complutense de Madrid. (© Universität Wien)