Wirtschaft und Klimakrise

"Wir brauchen langfristige Klimapolitik für eine grüne Welt"

12. Mai 2021 von Lisa Kiesenhofer
Die Menschheit hat es mit der schwersten Krise des 21. Jahrhunderts zu tun. Wirtschaftswissenschafterin Alexandra Brausmann von der Universität Wien erklärt, wie sich die Klimakrise auf die Volkswirtschaft auswirkt und warum ein anderes Emissionshandelssystem nötig ist.

Rudolphina: In Ihrer Forschung sprechen Sie von "Umweltschocks". Was bedeutet das?

Alexandra Brausmann: In der Umweltökonomik unterscheiden wir klassischerweise zwischen drei Arten von Umweltschocks. Die Unvorhersagbarkeit und Unsicherheit, die mit diesen Schocks einhergeht, ist ein großes Problem. Die erste Art von Umweltschocks sind die sogenannten Mikroschocks oder kurzfristige Schwankungen, die am wenigsten schlimm sind: Das können beispielsweise kleine Änderungen von Wettermustern, ein zeitlich verschobener Einsatz der Regenperiode oder kurzfristige Temperaturschwankungen sein. Diese Ereignisse verursachen keine großen Schäden für die Volkswirtschaft, aber sie sind unerwünscht, solange wir sie nicht mit Sicherheit vorhersagen können. Die andere Art von Schock – und das können Naturkatastrophen, wie Erdrutsche, Überschwemmungen oder Krankheiten sein – schaden der Volkswirtschaft und der Infrastruktur erheblich: Menschenleben sind in Gefahr, aber auch Produktionskapazitäten. Straßen oder Geräte können zerstört werden und so weiter und so fort. Diese Katastrophen schädigen das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 5 Prozent, so etwa in dem Bereich. Es wurde dokumentiert, beispielsweise vom IPCC (2014), dass die Häufigkeit und Stärke dieser Katastrophen über die vergangenen drei Jahrzehnte drastisch, um nicht zu sagen exponentiell, zugenommen hat. Noch schlimmer ist allerdings, dass ärmere Weltregionen häufiger von diesen Katastrophen betroffen sind. Daher können wir davon ausgehen, dass sich Ungleichheiten künftig noch weiter verstärken könnten, wenn wir so weitermachen.

Schaubild Übersicht von Typen von ökologischen Schocks
Umweltökonom*innen unterscheiden zwischen drei Typen von ökologischen Schocks. Während leichte Wetteränderungen kaum sichtbar sind, zeigen Kipppunkte das verheerende Ausmaß der Klimakrise deutlich: Alle Lebensräume sind gefährdet – auch jener der Menschen. © Uni Wien/M. Bauer

Rudolphina: Und gibt es noch eine Art von Katastrophen mit langfristigeren Konsequenzen?

Brausmann: Ja, Katastrophen von Ausmaßen, derer sich nicht alle bewusst sind. In der Volkswirtschaft und den Naturwissenschaften werden diese Katastrophen als Kipppunkte bezeichnet. Sobald ein System einen bestimmten Schwellenwert erreicht hat, bricht es entweder zusammen oder seine Funktionsweise ändert sich gänzlich. Fakt ist, dass wir jetzt gerade mit diesem Risiko, einen Kipppunkt zu überschreiten, konfrontiert sind. Der Verlust des Grönländischen Eisschildes oder die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes sind nur zwei Beispiele. Das ist besonders besorgniserregend, denn sobald einer dieser Kipppunkte überschritten ist, ist die Situation unumkehrbar. Wenn der Eisschild geschmolzen ist, kann man ihn nicht wieder herstellen. Diese schweren Katastrophen sind nicht nur an sich schädigend, sondern können auch eine ganze Kette an Katastrophen auslösen, da alles miteinander in Verbindung steht.

Rudolphina: Welche politischen Maßnahmen sind nötig, um der Klimakrise entgegenzuwirken?

Brausmann: Um eine Umweltkrise zu vermeiden, müssen wir eine stringente Klimapolitik umsetzen, die zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen führt. Theoretisch gibt es zwei Modelle, die zu einer derartigen Reduktion führen können: eine CO2-Steuer oder der Emissionshandel. Wenn man die Menge der Emissionen beschränken möchte, fährt man besser mit einem Emissionshandel, weil es dann ein von den Behörden bestimmtes Maximum gibt. Die Menge ist fix, der Preis ist variabel. Wenn wir über die CO2-Steuer reden, ist das genau umgekehrt: Der Preis ist fix und die wirtschaftlichen Akteur*innen entscheiden, wie viel sie verschmutzen werden. In diesem Zusammenhang sollten wir nicht vergessen, dass sich unsere politischen Minderungsmaßnahmen auf Wirtschaftswachstum beziehen und vice versa. Dieser Punkt wurde bis heute gewissermaßen von Ökonom*innen vernachlässigt. Und sogar heute betrachten viele Ökonom*innen diese beiden Entwicklungen als gänzlich getrennt, was irreführend ist. Unser Wachstum hängt davon ab, wie wir uns verhalten, welche Ressourcen wir nutzen, wie wir innovieren, wie viele Treibhausgase wir einsparen, aber auch unsere Klimapolitik hängt von all diesen Aspekten und besonders von der Wachstumsrate ab. Alles ist miteinander verbunden. Aber das sind gute Neuigkeiten, weil wir bis zu einem gewissen Maß unsere Klimapolitik steuern können, indem wir uns den Weg des Wachstums aussuchen.

Rudolphina: Sie haben erwähnt, dass Emissionshandel eine mögliche Strategie ist. Aber wieso sinken die Treibhausgasemissionen nicht, obwohl es so ein Modell bereits gibt?

Brausmann: Der Emissionshandel der EU deckt nicht jeden Sektor ab. Die größten Emittenten, wie das Flugwesen und die Zement- oder Transportindustrie erhalten die Zertifikate kostenlos. Das liegt an der Verlagerung von CO2-Emissionsquellen. Wenn die europäische Zementindustrie für die von ihr verursachten Emissionen zahlen muss, werden ihre Produkte teurer. Das bedeutet einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und Käufer*innen würden zu billigeren Produzent*innen wechseln, die in einem Land ohne Emissionsregulierung ansässig sind. Idealerweise würde es eine globale Regierung geben, die die Politik für CO2-Emissionen bestimmt. Der wesentliche Grund, warum es so schwer ist, das Klimaproblem zu lösen, ist, dass Klima ein öffentliches Gut ist. Das bringt leider auch Trittbrettfahrer*innen hervor.

Rudolphina: Wie verhält es sich mit dem CO2-Preis?

Brausmann: Das Problem mit CO2-Steuern ist, dass die sozialen CO2-Kosten derzeit viel zu gering sind: zwischen 20 und 40 US-Dollar pro Tonne CO2. Sobald dieser Aspekt mit Wachstum in Verbindung steht und mit der Möglichkeit, einen Kipppunkt zu überschreiten, muss man die sozialen CO2-Kosten mit 50 oder 100 multiplizieren. Eine Tonne CO2 kann gut 400 bis 800 US-Dollar kosten. Aus politischer Sicht ist es einfacher, eine CO2-Steuer von 20 Dollar zu rechtfertigen. Das ist auch ein Grund, warum politische Akteur*innen diese Diskussion vermeiden, weil es schwer ist, den Menschen die wahren Kosten der globalen Erwärmung beizubringen. Menschen vergessen oft die andere Seite der Medaille. Eine Kohlenstoff-Politik mit gerechten Preisen ist für die Volkswirtschaft nicht teuer, da sie zu einer sogenannten doppelten Dividende führt. Das CO2-Steuergeld kann für andere Zwecke verwendet werden: zum Beispiel, um andere Steuersätze zu verringern, um Ungleichheiten auszugleichen und die Umverteilung von Reichtum zu erreichen. Der Bedarf nach einem funktionierenden CO2-Steuersystem muss der Öffentlichkeit kommuniziert werden und wird sich langfristig auszahlen.

Rudolphina: Welche Maßnahmen könnten noch gesetzt werden, um das Erreichen der Kipppunkte zu verhindern?

Brausmann: Das Trittbrettfahrer*innenproblem wird nicht einfach verschwinden. Als Bürger*innen können wir etwas bewirken. Wir brauchen eine kritische Masse an Menschen bzw. Ländern, die die richtigen Maßnahmen setzt. Wenn ausreichend Menschen tätig werden, wird ein nachhaltiger Lebensstil für alle leistbar und das muss unser Ziel sein. Allerdings kann durch die Rolle der Konsument*innen und Produzent*innen mit kleinen, einzelnen Beiträgen die Krise überhaupt nicht bewältigt werden.

Um den globalen Ausstoß der Treibhausgase maßgeblich zu senken, gibt es aus ökonomischer Sicht zwei Möglichkeiten: Emissionshandel oder eine CO2-Bepreisung. Lesen Sie auf derStandard.at, welche Maßnahme Ihrer Meinung nach die sinnvollere ist. 

Bildung ist eine andere Möglichkeit, die Krise zu überwinden. Viele Menschen kennen die Ernsthaftigkeit der Situation nicht, in der wir uns befinden oder sie können es sich einfach nicht leisten, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen. Letzteres betrifft nicht nur arme Entwicklungsländer, sondern auch arme Menschen in reichen Ländern. Denken Sie nur an die Gelbwesten-Proteste. Eine mutige Möglichkeit, Bewusstsein für das Klima zu schaffen, ist zu demonstrieren und auf die Straße zu gehen, um Klimagerechtigkeitsrechte zu fordern. Das passiert bereits, man denke nur an Greta Thunberg. Aber wir müssen diesbezüglich vorsichtig sein, weil diese Aktionen auch als zu aufdringlich gesehen werden könnten.

Rudolphina: Was ist Ihre persönliche Vision einer grünen Wirtschaft?

Brausmann: Wenn wir in einer grünen Welt leben wollen, müssen beide Seiten grüner werden: Konsum und Produktion. Regierungen können die Vorlieben von Konsument*innen lenken, indem sie nachhaltig produzierte Güter zugänglicher machen. In der Produktion muss die Verwendung von fossilen Brennstoffen aufgegeben werden. Kohle muss verboten werden: In einer perfekten Welt würden alle Kohleminen morgen stillgelegt werden. Diese Technologien sollten durch erneuerbare Energiequellen ersetzt werden und wir brauchen mehr grüne Innovationen. Ich glaube, dass eine Green Economy nicht nur saubere Technologien umfasst, sondern in erster Linie einen „sauberen“ Lebensstil. Ich würde mir wünschen, dass alle Zugang zu gesunden Lebensmitteln und sauberem Wasser haben, sich an der frischen Luft bewegen können und eine gesunde Work-Life-Balance erzielen können.

Rudolphina: Danke für das Interview. (lk)

© Alexandra Bausmann
© Alexandra Bausmann
Alexandra Brausmann ist Assistenzprofessorin am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Umweltökonomie, insbesondere mit CO2-Preisen und dem Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft.

Aktuell unterrichtet sie die Lehrveranstaltung Growth and Climate Change an der Universität Wien.