"Artenrückgang in unseren Flüssen und Seen stoppen"

Foto: Carina Zittra und Christian Griebler

In der Bundeshymne wird Österreich als "Land am Strome" besungen. Der Großteil der heimischen Fluten ist allerdings in einem schlechten ökologischen Zustand. An der Uni Wien beschäftigen sich Ökolog*innen intensiv mit der Frage, wie der Artenrückgang in unseren Gewässern gestoppt werden kann.

Österreich ist ein Wasserland. Sein Landschaftsbild ist geprägt durch Gletscher, Quellen und Gebirgsbäche, von blauen tiefen Seen und großen Flüssen wie der Donau. Unser größter Wasserschatz liegt zudem verborgen in der Tiefe, speist als Karst- und Grundwasser unsere Oberflächengewässer und verhindert somit, dass diese in den heißen Sommermonaten austrocknen.

In all diesen aquatischen Lebensräumen verschwinden Tier- und Pflanzenarten. Amphibien, Fische und Reptilien gehören zu den gefährdetsten Tiergruppen. Sie finden keine geeigneten Laichplätze mehr oder können sie aufgrund von Barrieren nicht mehr erreichen. Während viele einheimische Fischarten bereits verschwunden oder hochgradig gefährdet sind, wandern gebietsfremde Arten (Neozoa) in unsere Gewässer ein. Aber auch der Schwund an wasserbewohnenden Insektenarten ist alarmierend, umso mehr als diese die Nahrungsgrundlage für viele andere Tiergruppen sind. Gleichermaßen betroffen sind Wasserpflanzen und mikroskopische Algenarten, die als Kohlendioxid-Fixierer eine wesentliche Rolle im Kohlenstoffkreislauf spielen.

Faktenbox:
Geschätzt 15.000 Insektenarten, davon zahlreiche aquatische, sind in Österreich von Bestandsverlust betroffen.
40 Prozent der Amphibienarten (z.B. Lurche und Frösche) sind global vom Aussterben bedroht. In Österreich stehen alle 20 Arten auf der Roten Liste.
60 Prozent der Fließgewässer und zwölf Prozent der Seen in Österreich sind in einem schlechten ökologischen Zustand.
Alle großen österreichischen Flüsse, aber auch viele kleinere Fließgewässer, sind verbaut, etwa durch Staustufen und Regulierungen.
In Österreichs Gewässern gibt es mehr als 100 eingewanderte Tierarten (Neozoa; z.B. Fische, Muscheln, Krebse) und ebensoviele gebietsfremde Pflanzenarten (Neophyta).
75 Prozent der in Österreich noch geplanten Wasserkraftprojekte betreffen höchst sensible Gewässerabschnitte (z.B. alpiner Bereich), teilweise (35 Prozent) sogar Schutzgebiete.

Der Mensch zuerst

Zu erklären ist der dramatische Rückgang der Artenvielfalt in unseren Gewässern insbesondere mit dem Verlust der aquatischen Lebensräume selbst – verursacht durch den strukturellen Eingriff in ihre Beschaffenheit. Quellen wurden gefasst, um Trinkwasser zu gewinnen, Flüsse gestaut, um Wasserkraft in Energie zu verwandeln, Bäche begradigt, um Siedlungen vor Hochwässern zu schützen. Dazu kommt die zunehmende Belastung durch Schadstoffe: Einträge aus der Landwirtschaft, Industrie und den kommunalen Abwässern – die z.B. Pharmazeutika und weitere Stoffe mit toxischer und/oder hormonähnlicher Wirkung enthalten – vergiften unsere Gewässer.

Das Wachstum der Wirtschaft und das ökonomische Wohl der Menschen steht im alleinigen Fokus ihres Handelns. Durch die weitere Zerstörung der Natur und den Artenverlust ist aber gerade dieses Wohl plötzlich akut gefährdet. Naturkatastrophen der jüngsten Vergangenheit (Überschwemmungen, Murenabgänge, extreme Hitze- und Dürreperioden) führen uns vor Augen, dass die Natur durch technische Lösungen nicht beherrschbar ist. Gerade für unsere Gewässer ist klar, dass die übermäßige Regulierung, die Fragmentierung und die massive Wasserentnahme zur Bewässerung, neben den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels, Teil des übergeordneten Problems sind.


Österreichs einzige Schildkrötenart, die Europäische Sumpfschildkröte, ist sowohl durch Lebensraumverlust als auch durch das unbedachte Aussetzen von exotischen Arten wie der Schmuckschildkröte stark bedroht. Im Nationalpark Donau-Auen findet sich die letzte stabile Population. (© Wolfgang Simlinger/Wikimedia)


Auch einige Insektengruppen wie beispielsweise Libellen, Stein-, Köcher- und Eintagsfliegen, verzeichnen einen erheblichen Artenverlust. Vor allem sensible Arten sind bereits vor einiger Zeit verschwunden, etwa die Eintagsfliege Prosopistoma pennigerum (im Bild), die einst in der Donau vorkam. Ihr letzter Rückzugsraum in Europa sind einzelne, noch unverbaute Flüsse am Balkan, wie etwa die Vjosa in Albanien (© Simon Vitecek).


Die Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus) sorgte wegen ihrer explosionsartigen Ausbreitung als Neozoon für Aufsehen. Ursprünglich in den südosteuropäischen Brackwassergebieten (Schwarzes Meer) heimisch, verbreitete sie sich als blinder Passagier in den Ballasttanks großer Frachtschiffe in die Brackwasserbereiche von Nord- und Ostsee bis hin zu den nordamerikanischen Großen Seen. In die Flusssysteme von Donau, Elbe, Rhein ist sie teilweise aktiv eingewandert (© Hubert Keckeis).

Was müsste getan werden

Es steht außer Diskussion, dass der Beitrag jedes und jeder Einzelnen wichtig ist. Dem Paretoprinzip folgend (benannt nach Vilfredo Pareto [1848-1923]; es besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden), ist ein rascher und signifikanter Effekt jedoch nur durch "große" politische Entscheidungen zu erzielen. Einige der notwenigen Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt in unseren Gewässern sind im Folgenden zusammengefasst:

Nationale und internationale Gesetze einhalten und durchsetzen: Unsere Gewässer und andere aquatische Habitate sind eigentlich schon sehr gut geschützt – diese Gesetze und Regelwerke werden allerdings umgangen, sobald ihre Umsetzung Einschränkungen wirtschaftlicher Interessen bedeutet.

Aus Agrar- und Handelsabkommen aussteigen: Sie nehmen den Landwirt*innen jegliche Möglichkeit, für gute, umweltverträgliche Produkte ordentliche Preise zu lukrieren.

Einträge in Gewässer aus der Landwirtschaft minimieren:
Dazu zählen ein sofortiges Verbot von Giftstoffen, wie etwa Glyphosat und anderen Pestiziden, die Förderung bodenschonender Bearbeitungstechniken fördern sowie das Zulassen von Gewässerrandstreifen und Hecken zur Reduktion des Eintrags von kolmatierenden Feinpartikeln.

Verbau von naturnahen Gewässerabschnitten stoppen: Es dürfen keine weiteren Kleinkraftwerke in sensiblen Bereichen genehmigt werden, gleichzeitig muss es an ökologisch kritischen Standorten einen massiven Rückbau geben.

Hydrologische Anbindung von Gewässern sicherstellen: Nur hydrologisch gut vernetzte und ans Grundwasser angebundene Gewässer haben das Potenzial, zukünftigen Hitze- und Dürreperioden zu trotzen und als Rückzugsraum für Fauna und Flora zu dienen.

Einsatz von Kunstschnee limitieren: Nur so können hochsensible alpine Gewässer (Quellen, Bäche) als Speziallebensräume bewahrt werden.

Artenschutz im Alltag: Tipps von Christian Griebler und Carina Zitta

Verzichten Sie im privaten Bereich auf den Einsatz von Unkrautvernichtern und Schädlingsbekämpfungsmitteln, bewahren Sie Kleinstgewässer für Amphibien und Reptilien als Verbindungsstücke zwischen größeren Lebensräumen und gestalten Sie Ihren Gartenteich naturnah: möglichst ohne Fischbesatz, um Amphibien, Reptilien und Insekten einen Lebensraum zu bieten.


Christian Griebler hat an der Uni Wien Biologie studiert und ist nach zwei Jahrzehnten Forschungsaufenthalt in Deutschland (Tübingen und München) nach Österreich zurückgekehrt. Er ist seit Jänner 2019 Professor für Limnologie am Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Fakultät für Lebenswissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die biologische Vielfalt in Grundwasserökosystemen, die Rolle von Mikroorganismen und Metazoen im Kohlenstoffkreislauf unterirdisch-aquatischer Lebensräume sowie die Funktion von Ökotonen (z.B. das Schotterbett von Flüssen) als Schutzschild gegen Verunreinigung des Grundwassers und somit unserer Trinkwasserreserven.

Carina Zittra ist Postdoc-Mitarbeiterin am Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie. Ihre Forschung fokussiert durchwegs auf Wasserinsekten: Als Expertin für Stechmücken hat sie Verbreitung und Populationsdynamik der einheimischen und eingewanderten Arten erforscht und ihre ökologischen Ansprüche festgestellt. Seit Oktober 2018 ist sie Mitarbeiterin in dem vom FWF geförderten Projekt "Form und Funktion komplexer Körper in der Strömung" (zur Projektwebsite www.univie.ac.at/drusus/), in dem die komplexen Zusammenhänge zwischen der Form eines Wasserinsekts, seiner Anatomie und den optimalen Strömungsverhältnissen erforscht werden.

Die immer schneller werdende Zerstörung von Lebensräumen durch Landnahme, Umweltverschmutzung und die Auswirkungen des Klimawandels werden in den kommenden Jahren mindestens eine Million Arten in ihrer Existenz bedrohen und viele davon auslöschen. Ein Semester lang haben Expert*innen der Uni Wien diskutiert, wie wir die weitere Zerstörung der Natur aufhalten und damit unsere Grundlagen von Einkommen, Ernährungssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität sichern können.