Buchtipp des Monats von Meropi Tzanetakis

Politikwissenschafterin Meropi Tzanetakis mit einem Buch in der Hand im Arkadenhof der Universität Wien.

Drogenhandel, Darknet und Organisierte Kriminalität – das sind die Themen, mit denen sich die Politikwissenschafterin Meropi Tzanetakis in ihrer jüngsten Publikation beschäftigt. Ihr persönlicher Buchtipp führt uns hingegen ins Wien der Jahrhundertwende.

uni:view: In Ihrer jüngsten Publikation – "Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität" – beschäftigen Sie sich mit dem Thema Drogenhandel und -konsum im Darknet. Nicht allen ist das Darknet bekannt – können Sie kurz erklären, was es genau ist und wer es wie nutzt?
Meropi Tzanetakis: Der Begriff Darknet suggeriert zunächst etwas Mystisches, Kriminelles und Bedrohliches. Tatsächlich sagt das Darknet nichts über den rechtlichen Status der Inhalte aus, sondern lediglich darüber, wie gewisse Dienste im Internet aufgerufen werden können. Beim Darknet handelt es sich um einen kleinen Teil des Internets, der versteckte Dienste enthält, welche erst mit spezieller Software zugänglich sind. Das Besondere ist, dass im Darknet NutzerInnen unter Zuhilfenahme digitaler Technologien anonymisiert kommunizieren können. Im Gegensatz zum klassischen Internet werden dabei keine Daten preisgegeben, die Rückschlüsse auf Identität und Aufenthaltsort der UserInnen erlauben.

Anders ausgedrückt: Das Darknet ist ein virtuelles Feld für kriminalisierte Aktivitäten und gleichzeitig freie Meinungsäußerung, welches sich – bislang – der totalen staatlichen wie privaten Kontrolle entzieht. In diesem Feld findet sowohl der Handel mit Drogen, Waffen, Falschgeld, Kreditkartendaten, gefälschten Ausweisen, Schadsoftware und Pornographie als auch sichere Kommunikation zur Umgehung von staatlicher Zensur und Massenüberwachung statt.

uni:view: Es ist also nicht nur "dark"?
Tzanetakis: Es wird auch von MenschenrechtsaktivistInnen, JournalistInnen und DissidentInnen genutzt, um auf Korruption, Unterdrückung und andere Missstände hinzuweisen. Während des Arabischen Frühlings etwa nutzten regierungskritische AktivistInnen Anonymisierungsdienste, um sich auszutauschen, zu informieren und sich zu koordinieren. Dabei war es wichtig, nicht identifizierbar zu sein, denn nur so konnten sie strafrechtlicher Verfolgung entgehen.

uni:view: Welche Aspekte interessieren Sie als Politikwissenschafterin dabei besonders?
Tzanetakis: Der vorliegende Sammelband ist der Versuch, erstmals unterschiedliche sozialwissenschaftliche Perspektiven sowie Zugänge von Strafermittlungsbehörden, Drogenhilfe und Journalismus zusammenzubringen. Um zu einem integrativen und interdisziplinären Verständnis des Phänomens globaler Drogenmarktplattformen im Darknet beizutragen, kommen in der Publikation WissenschafterInnen und PraktikerInnen zu Wort. Dabei werden gesellschaftliche, wirtschaftliche sowie politische Implikationen dieser neuartigen Erscheinung beleuchtet und kritisch analysiert. Abschließend geht es um die Frage nach einer möglichen Regulierung von Online-Drogenmärkten.

uni:view: Für Ihre Forschung bzw. Publikation haben Sie DrogenkonsumentInnen und -händlerInnen im Darknet befragt. Waren die Menschen nicht skeptisch, überhaupt Auskunft zu geben, da sie ja das Darknet eigentlich nutzen, um anonym zu bleiben?
Tzanetakis: Zum einen erlaubt der Einsatz spezieller Verschlüsselungssoftware HändlerInnen und KonsumentInnen von ihren Erfahrungen zu berichten, ohne dass persönliche Treffen stattfinden. Solche Computerprogramme gewährleisten den GesprächsparterInnen größtmögliche Anonymität und Vertraulichkeit, indem beispielsweise kein Dritter Interviewinhalte mitlesen kann. Diese technologischen Lösungen tragen dazu bei, dass die InterviewpartnerInnen Vertrauen gewinnen, das zusammen mit Reflexivität ja die Basis jedes gelungenen Interviews ist. Diesbezüglich unterscheiden sich Interviews mit Menschen, die für ihre Handlungen bestraft werden können, nicht von solchen mit Führungsspitzen aus Politik, Wirtschaft und Justiz.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:
 
1 x "Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität: Herausforderungen für Politik, Justiz und Drogenhilfe" herausgegeben von Meropi Tzanetakis und Heino Stöver
1 x "Wiener Passion" von Lilian Faschinger

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Tzanetakis: Den Roman "Wiener Passion" von der zeitgenössischen Schriftstellerin Lilian Faschinger.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?

Tzanetakis: Es geht darin um eine junge Frau von bikultureller Herkunft, die sich auf eine Entdeckungsreise in das Wien der Jahrhundertwende begibt. In der Wohnung ihrer Tante entdeckt sie alte Tagebücher, welche Aufzeichnungen über eine unehelich in Böhmen geborene Dienstbotin enthalten, die 1900 in Wien wegen Mordes an ihrem Gatten zum Tode verurteilt wurde. Mit unterschwelligem Humor und Ironie wird die von Ausbeutung und dem Kampf der Geschlechter geprägte Lebensgeschichte geschildert, welche der Hausangestellten Anfang des 20. Jahrhunderts widerfahren sind. Allerdings ist dies nur einer von drei Erzählsträngen, die sich im Laufe des Romans miteinander verbinden. Alles in allem: Eine sozialkritische Auseinandersetzung mit Geschlecht, Ethnizität, Klasse, Nationalität, Sexualität und Alter.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Tzanetakis: Das Buch regt zum Nachdenken über das Verhältnis von Fremde und Heimat, Nähe und Distanz jenseits von Dichotomien an. (td)

Mag. Dr. Meropi Tzanetakis ist Erwin-Schrödinger-Stipendiatin des FWF an der University of Essex und wird an das Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien zurückkehren. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Internationale Politische Ökonomie, Gesundheitspolitik und Governance von Innovation und Technologie.