Buchtipp des Monats von Raimund Haindorfer

Soziologe Raimund Haindorfer

In seiner Publikation untersucht der Soziologe Raimund Haindorfer von der Uni Wien das Leben von PendlerInnen aus Tschechien, Slowakei und Ungarn nach Österreich. Mit seinem persönlichen Buchtipp hingegen begibt er sich in alpinere Regionen.

uni:view: In Ihrer jüngsten Publikation beschäftigen Sie sich mit PendlerInnen aus Tschechien, Slowakei und Ungarn nach Österreich. Können Sie kurz das Leben der PendlerInnen skizzieren?
Raimund Haindorfer: Der Fokus meiner Studie liegt auf dem grenzübergreifenden Ost-West-Pendeln in der Central European Region (Centrope). Auf österreichischer Seite zählen zu dieser Europaregion das Burgenland, Niederösterreich und Wien, die PendlerInnen wohnen in den nordöstlichen Grenzregionen von Tschechien, der Slowakei und Ungarn.

Das alltägliche Leben der PendlerInnen spannt sich zwischen ihrem Herkunftsland und Österreich, somit ist ihr Alltag von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Unterschieden geprägt. Das Pendeln an sich, also die Dauer, welche die PendlerInnen damit verbringen, ihren Arbeitsplatz in Österreich und dann wieder ihren Wohnort zu erreichen, ist nicht das wichtigste Thema im Leben der nahe an der Grenze wohnenden PendlerInnen: Im Durchschnitt beträgt die Pendeldauer rund eine Stunde pro Weg.

uni:view: Was sehen die PendlerInnen als positiv und was als negativ an?
Haindorfer: In meinem Buch zeige ich, dass die Lebenszufriedenheit vor allem von ökonomischen Einflussfaktoren beeinflusst wird. Dazu zählen beispielsweise das Einkommen oder auch der Gesundheitszustand der Befragten. Dieser Befund unterstreicht die starke ökonomische Orientierung der PendlerInnen, wie sie auf Grundlage der bisherigen Forschung zum grenzübergreifenden Ost-West-Pendeln in Centrope sowie der internationalen Migrationsliteratur zu erwarten war.

Für den subjektiven Pendelerfolg, also die Frage, ob sich in Bezug auf das allgemeine Leben das Arbeiten in Österreich für den/die Betroffene persönlich alles in allem gelohnt hat, sind hingegen die nicht-ökonomischen Lebensbedingungen entscheidend. Eine herausragende Rolle besitzt hier das Merkmal Work-Family-Balance. Jene PendlerInnen, die über eine gute Work-Family-Balance verfügen, bewerten das Pendeln hinsichtlich des allgemeinen Lebens deutlich erfolgreicher als PendlerInnen mit einer schlechteren Balance.

uni:view: In Ihrem Buch setzen Sie sich auch mit nachteiligen Arbeitsmarkterfahrungen der grenzübergreifenden PendlerInnen auseinander. Was ist damit gemeint?
Haindorfer: Konkret beschäftige ich mich mit der Frage, wie nachteilige Arbeitsmarkterfahrungen – z.B. überqualifizierte Beschäftigung oder ethnische Diskriminierungserfahrungen – vor dem Hintergrund von hohen ökonomischen Anreizen zum Pendeln aus Sicht der PendlerInnen beurteilt werden. Vor allem die Aussagen in den qualitativen Interviews demonstrieren, dass die Ost-West-PendlerInnen in Österreich trotz nachteiliger Arbeitsmarkterfahrungen und damit verbundenen Momenten der Unzufriedenheit, Verzweiflung etc. eine insgesamt sehr positive Bewertung ihres Pendelns vornehmen.

Trotz aller negativen Erfahrungen nehmen die PendlerInnen das Ost-West-Pendeln nach Österreich als Chance zu einem besseren Leben wahr – z.B. als einen Weg zur Familiengründung. Insofern zeichnet mein Buch ein neues, positives Bild der Ost-West-Migration in Europa aus Sicht der MigrantInnen. Doch durch die große Bereitschaft der Ost-West-PendlerInnen, nachteilige Arbeitsmarkterfahrungen zu akzeptieren, können Arbeitsstandards wie  Arbeitsbedingungen oder Entlohnung relativ leicht von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen unterwandert werden. Die Gleichbehandlungsbestimmungen der Europäischen Union zum gemeinsamen Arbeitsmarkt werden damit einer harten Prüfung unterzogen.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung: 

1 x "Lebenszufriedenheit und Pendelerfolg. Ost-West-Pendelnde aus Tschechien, Slowakei und Ungarn in Österreich" von Raimund Haindorfer
1 x "Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen? 
Haindorfer: Ein Roman, der mir sehr gut gefällt, ist "Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler. 

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Haindorfer: Dieses Buch ist sehr kurzweilig zu lesen. Es beschreibt das Leben eines Mannes in einer österreichischen Bergregion, seine schwierige Kindheit, seine große Liebe, seine Rolle im Krieg, den Einzug der Tourismusindustrie und das Dorfleben. Es gibt Passagen im Buch, wie etwa das Lawinenunglück, die einem fast das Herz zerreißen: Das Leben kann schrecklich sein.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Haindorfer: Es ist die schöne, aber auch traurige Geschichte eines Mannes in den Bergen, der tüchtig ist, keine hohen Ansprüche hat und immer wieder vom Leben gezeichnet wird. (td)

Raimund Haindorfer lehrt und forscht am Institut für Soziologie der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität Wien.