Buchtipp des Monats von Ulrich Brand

In seiner Publikation "Imperiale Lebensweise" macht der Politologe Ulrich Brand darauf aufmerksam, dass der westliche Wohlstand auf der Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen an anderen Orten basiert. Historisch ist sein Buchtipp für unsere LeserInnen.

uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Imperiale Lebensweise" erschienen, in der Sie sich mit der Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus beschäftigen. Können Sie kurz skizzieren, wie sich die aktuelle Lage in punkto Ausbeutung zeigt?
Ulrich Brand: Als Globalisierungsforscher interessiert mich zunehmend, wie sich die Dynamiken der Globalisierung nicht nur in politische und wirtschaftliche Institutionen und öffentliche Diskurse einschreiben, sondern auch in den Alltag der Menschen. Wir wollen mit dem Buch darauf aufmerksam machen, dass die Voraussetzungen unseres Wohlstands hierzulande auf der Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen an anderen Orten basiert. Das ist nicht umwerfend neu, doch wir systematisieren das und weisen auf das Normale und oft Unsichtbare hin.

Die "aktuelle Lage" ist insofern dramatisch als allen Nachhaltigkeits-Postulaten zum Trotz der Ressourcen- und Materialverbrauch im Globalen Norden weiterhin zunimmt – und seit den 1990er Jahren auch in einigen Ländern des Globalen Südens. Stichwort China. Mit dem Begriff der "imperialen Lebensweise" kommen wir zu einer Interpretation der nationalistischen Abschottungspolitik von US-Präsident Trump: Er verspricht, diese Produktions- und Lebensweise im Interesse der Bevölkerung des Nordens aufrecht zu erhalten. Ganz grundlegend unterscheidet er sich da nicht von Christian Kern, Angela Merkel oder Jean-Claude Junker.

uni:view: In einem Kapitel beschäftigen Sie sich mit der sogenannten falschen Alternative: von der grünen Ökonomie zum grünen Kapitalismus. Wie ist das zu verstehen?
Brand: In der Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte wird derzeit viel über die Grüne Ökonomie diskutiert. Die österreichische Regierung setzt sehr auf eine noch unscharf definierte "Bioökonomie". Seit September 2015 gibt es die Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO. Wir schätzen das als falsche Alternative ein, weil die Orientierung an Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und privaten Investitionen mit Gewinnabsichten nicht hinterfragt wird. Es geht darum, aus dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Natur ein Geschäft zu machen, ohne aber die grundlegenden Produktions- und Lebensweisen zu verändern. Nach dem Motto: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."

uni:view: Welche "richtigen" Auswege oder Alternativen gibt es aus dem aktuellen weltpolitischen Gefälle?
Brand: Vor allem wollen wir mit dem Buch die Geschichte und aktuellen Dynamiken der imperialen Lebensweise genauer begreifbar machen. Wir skizzieren im letzten Kapitel die "Konturen einer solidarischen Lebensweise", aber weniger als "richtige" Alternative, sondern als Ansatzpunkte für den notwendigen sozial-ökologischen Umbau der (Welt-)Gesellschaft. Zunächst gilt es die aktuellen Dynamiken wie Freihandel, wachsende Macht des Finanzkapitals, steigende Vermögenskonzentration, Destabilisierung von Gesellschaften und politische Rechtsentwicklung zu stoppen.

Aktuell in Wien wäre die dritte Flughafenpiste zu verhindern, weil das weiteren Flugverkehr nach sich ziehen würde. Zweitens gilt es anzuerkennen, dass es ja ganz viele Alternativen gibt: Ökologische Landwirtschaft, erneuerbare Energien, Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Radwege. Im Wissenschaftsbetrieb nicht immer mehr vom Gleichen in der Wirtschafts- oder Politikwissenschaft, wo es angeblich nur um Konkurrenz und Nutzenmaximierung geht. Zum Glück haben wir an der Uni Wien eine sehr plurale Politikwissenschaft; in der Wirtschaftswissenschaft wäre Pluralität zu stärken. Andere Alternativen entstehen oft in Nischen wie Urban Gardening oder Repair Cafes, aber das ist nicht zu unterschätzen. Dann argumentieren wir: Es gibt in Teilen der Bevölkerung durchaus Unmut und ein Bewusstsein für notwendige Veränderungen, doch die Politik müsste das viel mutiger aufnehmen, eben über eine andere Agrar-, Energie- oder Mobilitätspolitik.

uni:view: Sie sind seit Jahren in der globalisierungskritischen Bewegung aktiv. Wie sehen Sie persönlich der Zukunft entgegen?
Brand: Globalisierungskritik ist nicht nur eine soziale Bewegung im engeren Sinne wie Attac oder Greenpeace, sondern eine breite gesellschaftspolitische Strömung, zu der auch Teile der Wissenschaft gehören, die etwa Dynamiken und Probleme der Globalisierung erforschen. Dazu gehören auch viele Intellektuelle wie Nancy Fraser, Jürgen Habermas oder Robert Misik. Meine eigenen Erfahrungen mit so vielen klugen und aktiven Menschen, vor allem in Europa und Lateinamerika, und der transdisziplinären Forschung ist weitgehend beglückend. Die Inhalte sind das weniger, wenn ich an die Ressourcenpolitik in Lateinamerika oder die politischen Probleme dort denke. Dazu kommt, dass mit Trump und den europäischen Rechtsextremen aktuell auch eine Globalisierungskritik "von rechts" formuliert wird, die auf Ausschluss, Menschenverachtung und eben eine Stabilisierung der imperialen Lebensweise setzt.

Ich halte es mit den italienischen Theoretiker und Politiker Antonio Gramsci, der vom "Pessimismus des Verstands und Optimismus des Willens" sprach. Insofern hoffe ich, ganz persönlich und auf mein eigenes Lebensumfeld bezogen, dass sich unsere Universität noch stärker den drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen öffnet und dennoch das große Privileg der Wissenschaft erhält: nämlich das unabhängige Forschen und Denken.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:

1 x  "Imperiale Lebensweise" von Ulrich Brand und Markus Wissen, oekom verlag (München, 2017)
1 x "Q" von Luther Blissett, Assoziation A, (Hamburg, 2016)

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Brand: Ich las zum Reformationsjahr 2017 das Buch "Q" vom italienischen Autorenkollektiv Luther Blissett, das vor 15 Jahren auf Deutsch erschienen ist. Wirklich beeindruckend.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Brand: Es geht, beginnend mit den Bauernkriegen, um den Kampf in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwischen Papst, Hochadel, dem aufkommenden Bürgertum etwa in Gestalt der Fugger, der von Luther angestoßenen Bewegung und den Wiedertäufern in der Tradition von Thomas Müntzer. Der Roman wird aus der Sicht eines Müntzer-Schülers erzählt. Sein Gegner ist ein Spitzel im Dienste eines erzkonservativen Kardinals – eben Q; der analysiert mit strategischer Weitsicht, was die neuen Kräfte machen und wie sie gespalten werden können. Dazu gefallen mir die Szenen, in denen der Alltag im 16. Jahrhundert beschrieben werden. Oder das kulturell rückständige Deutschland im Vergleich zu Italien oder den liberalen Niederlanden.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Brand: Neben einer wirklich unglaublichen Sprache – ich konnte manchmal, obwohl schon völlig übermüdet um zwei Uhr morgens – einfach nicht aufhören zu lesen. Was bleibt nach dem letzten Satz: In der Geschichte gibt es immer wieder Umschlagpunkte und damals wurden ja viele Grundlagen unserer heutigen Zeit gelegt. Die Mächtigen verteidigen ihre Positionen, nutzen dazu auch Lügen, Intrigen, notfalls Mord und spalten die Beherrschten. Doch dagegen wird aufbegehrt, auch wenn die Strategien der Schwächeren oft ungeplant sind und sie über viel weniger Ressourcen verfügen. Ich dachte dann an die notwendigen Auseinandersetzungen mit den mächtigen Finanzmarktakteuren, der Automobilindustrie, den Energie- oder Lebensmittelkonzernen – und ihren politischen Unterstützern. (td)

Ulrich Brand hat seit September 2007 die Professur für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien inne.