Eine virtuelle Weihnachtsfeier ist besser als keine

Die Arbeit im Homeoffice funktioniert – teilweise sogar effizienter als im Büro. Was uns in Zeiten von COVID-19 fehlt, ist die soziale Einbindung, so Arbeitspsychologe Christian Korunka von der Uni Wien. Im Interview erklärt er, warum die virtuelle Weihnachtsfeier seltsam anmutet, aber wichtig ist.

uni:view: Arbeiten in Zeiten von COVID-19 – worin sehen Sie als Arbeitspsychologe die großen Herausforderungen?
Christian Korunka:
Im Schnitt verbringen wir knapp die Hälfte unseres Lebens mit Arbeit, dieser große Lebensbereich ist von COVID-19 besonders beeinträchtigt. Es gibt Berufsgruppen, die momentan besondere Belastungen ausstehen müssen, beispielsweise im Gesundheits- und Pflegebereich. Aber auch alle Menschen, die von Berufswegen her intensiven Kund*innenkontakt haben, sind einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Unternehmer*innen haben Angst vor dem Scheitern und von der steigenden Arbeitslosigkeit hören wir tagtäglich in den Medien. Dazu kommen Unsicherheiten, die es vor der Krise in dieser Form nicht gab: Was erwartet uns nach der Kurzarbeit? Welche Folgen hat die Wirtschaftskrise?

uni:view: Gibt es auch positive Veränderungen in der Arbeitswelt?
Korunka:
COVID-19 hat positive Effekte auf das flexible Arbeiten. Vor dem Lockdown im Frühjahr sahen die meisten Homeoffice-Regelungen einen fixen Tag pro Woche vor, an dem von daheim aus gearbeitet werden konnte. Flexibilität war also nur begrenzt gegeben. Wir erwarten uns, dass langfristig die Gestaltungsmöglichkeiten durch COVID-19 steigen: Abhängig von Aufgaben und Lebensphasen wird es möglich sein, mal zwei Tage pro Woche von daheim zu arbeiten, mal drei Tage und in der nächsten Woche vielleicht gar keinen Homeoffice-Tag einzulegen.

Zudem gehen wir davon aus, dass wir Resilienz entwickeln und lernen, besser auf Krisen zu reagieren. Wenn wir den Expert*innen Glauben schenken, ist es nicht unsere letzte Krise – in der nächsten Krise werden wir insgesamt widerstandsfähiger sein.

uni:view: Wir befinden uns im zweiten Lockdown – gibt es Dinge, die uns besser gelingen?
Korunka:
Der erste Lockdown hat vielen gelehrt, dass mehr von daheim aus möglich ist, als vielleicht zuvor vermutet wurde. Führungskräfte haben die Erfahrung gemacht, dass sie ihren Mitarbeiter*innen vertrauen können – Studien zeigen, dass die meisten Menschen im Homeoffice sogar konzentrierter und damit effizienter arbeiten. Die technischen Grundlagen beherrschen wir besser und auch an die Videokommunikation haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Begannen die meistens Calls im März noch mit "Siehst du mich? Hörst du mich?", funktioniert die digitale Kommunikation nun meist reibungslos. Was uns vielleicht noch fehlt, ist die Netiquette für Videokommunikation.

uni:view: Welche Empfehlungen haben Sie für all jene, die ihre Arbeit aktuell im Homeoffice erledigen?
Korunka:
Es sollten die üblichen Gepflogenheiten eingehalten werden und zum Beispiel darauf verzichtet werden, im Pyjama zum Videocall zu erscheinen. Wir müssen auch darüber nachdenken, welche Einblicke wir in unseren Privatraum gewähren möchten. Ebenso sind die zeitlichen Verbindlichkeiten in der Videokommunikation wichtiger. Beim Online-Meeting zu spät zu kommen, wird als sehr unangenehm erlebt.

Die Gestaltung des Arbeitsplatzes liegt in der eigenen Verantwortung – der Abstand zum Bildschirm, die ergonomische Ausstattung etc. Auch beim Thema Pausengestaltung fehlen die sozialen Anreize – es kommt kein Kollege vorbei, der nach einem Kaffee fragt oder sich in die Mittagspause verabschiedet. Im Homeoffice ist man diesbezüglich auf sich alleine gestellt. Studien zeigen, dass wir dann dazu tendieren, Pausen eher hintenanzustellen.  

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uni:view: Die ersten Einladungen für virtuelle Weihnachstfeiern trudeln ein – wie wichtig ist es, dass ritualisierte Events auch in Zeiten wie diesen aufrecht erhalten werden?

Korunka:
Die Vorstellung, mit einem Prosecco am Bildschirm zu sitzen, ist schon seltsam. Doch soziale Events sind in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen – wir brauchen auch im Arbeitsbereich das informelle Gespräch und Ausdrucksmöglichkeiten. Ich habe einen psychotherapeutischen Hintergrund und mich in meiner Forschung mit der Frage beschäftigt, was eine Begegnung ausmacht und ob sie virtualisiert werden könne. Im kommunikativen Bereich haben wir keine Probleme. Wenn es nur um Informationen geht, sind wir im digitalen Raum häufig sogar mit mehr Konzentration dabei. Das Bedürfnis nach sozialer Einbindung ist aber umfassender und verlangt Präsenz. Versuchen Sie, in einer Gruppe von 20 Personen am Bildschirm Smalltalk zu machen – es fühlt sich komisch an. Dennoch ist eine virtuelle Weihnachtsfeier für das Erleben von sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz wohl besser als keine Weihnachtsfeier.

uni:view: Sie haben bereits im März eine Langzeitstudie zur Arbeitsweise im Lockdown gestartet. Was passiert mit Ihren Ergebnissen?

Korunka:
Die Studie nehmen wir in wenigen Wochen wieder auf, die Ergebnisse sollen uns Hinweise auf die Auswirkungen der Krise geben. Unsere Ergebnisse fließen unter anderem in die COVID-19 Future Operations Plattform ein: Ein Kreis von Wissenschafter*innen berät hier evidenzbasiert die Politik und liefert die wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen und Maßnahmen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(hm)

Christian Korunka hat eine Professur für Arbeits- und Organisationspsychologe an der Fakultät für Psychologie. Er leitet den postgraduellen Universitätslehrgang "Psychotherapeutisches Propädeutikum". Seine These für die Post-Coronazeit: Wir haben die Möglichkeit, Arbeitsweisen bewusster zu hinterfragen und – nach Corona - eine Mischform aus Büro und Homeoffice zu leben.