Europäisches Recht aktiv gestalten

Die Universität Wien hat die Kooperation mit dem European Law Institute (ELI) verlängert. Im Interview erzählt ELI Präsidentin und Uni Wien Professorin Christiane Wendehorst, was das ELI macht und – passend zur Semesterfrage – ob es zu einer einheitlichen europäischen Rechtskultur beitragen kann.

uni:view: Seit 2011 setzt sich das European Law Institute (ELI) als europaweit agierende Einrichtung für eine Verbesserung des Rechts in Europa ein. Was sind die konkreten Aufgaben und Ziele?
Christiane Wendehorst: Das ELI will eine europäische juristische Öffentlichkeit schaffen, die sich aktiv an der Gestaltung des Rechts in Europa beteiligt. Kernpunkt unserer Arbeit ist die Durchführung von Projekten, die sich durch Exzellenz, Praxisrelevanz und Internationalität sowie durch die Zusammenarbeit von WissenschafterInnen und PraktikerInnen auszeichnen und beispielsweise Gesetzgebungsvorschläge, Modellregeln oder Best Practice Guidelines erarbeiten. Das ELI zeichnet sich dadurch aus, dass alle Mitglieder aktiv in die Projektarbeit eingebunden werden und am Ende über die Projektergebnisse abstimmen. Das ELI steht insofern an der Schnittstelle von internationaler Netzwerkforschung, Open Science und unabhängigem Think Tank für die Politik.

Zu den Mitgliedern des European Law Institute (ELI) zählen derzeit ca. 1.500 exzellente JuristInnen aller Fachrichtungen und Berufe aus ganz Europa und über 60 Ländern. Institutionelle Mitglieder sind EU-Institutionen (z.B. Gerichtshof, Europäisches Parlament) und internationale Organisationen (z.B. UNCITRAL, UNIDROIT, OSCE), Verbände (z.B. CCBE, CNUE, ENCJ) oder nationale Höchstgerichte (u.a. auch OGH und VwGH) und Forschungseinrichtungen. (© Universität Wien/derknopfdruecker.com)

uni:view: Wie beeinflusst das ELI die europäische Gesetzgebung bzw. trägt es zu einer einheitlichen europäischen Rechtskultur bei? 
Wendehorst: Das ELI ist in seiner Arbeit vollkommen unabhängig, hat sich aber gerade deswegen zu einem wichtigen Gesprächspartner politischer Institutionen auf Augenhöhe entwickelt. Innerhalb des ELI ist es bereits gelungen, den Gedanken einer genuin europäischen Rechtskultur zu verwirklichen, was mich sehr freut und auch ein wenig mit Stolz erfüllt. Wer an ELI-Projekten mitwirkt oder an Veranstaltungen des ELI teilnimmt, wird nicht mehr als RepräsentantIn einer bestimmten Nation oder nationalen Rechtskultur betrachtet, sondern als EuropäerIn. Wir sprechen sozusagen eine Sprache, und das durchaus auch im übertragenen Sinn.

uni:view: Was hat das ELI in den letzten Jahren erreicht? In welchen europäischen Rechtsbereichen kam es aufgrund der Arbeit des ELI zu Änderungen bzw. Verbesserungen?
Wendehorst: Man darf angesichts der Struktur des Gesetzgebungsprozesses nicht erwarten, dass der europäische Gesetzgeber ein ELI-Projekt en bloc nehmen und verabschieden würde. Vielmehr geht es darum, Entwicklungen anzustoßen und den Inhalt in wesentlichen Teilen zu beeinflussen. Oft nehmen europäische Institutionen an unseren Treffen als Beobachter teil und ziehen unsere Entwürfe als Inspirationsquelle heran, warten aber dann den Ausgang nicht mehr ab, sondern treten schon vor Abschluss unseres Projekts mit einem Legislativvorschlag in die Öffentlichkeit. Das ist manchmal ärgerlich für uns, aber den Gesetzmäßigkeiten des politischen Alltags geschuldet.


uni:view: Was sind konkrete Bespiele für ELI-Vorschläge, die von den zuständigen Institutionen bereits aufgegriffen wurden?
Wendehorst: Vorschläge zu Organisationsänderungen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zum Europäischen Kaufrecht, zur Unternehmensrettung in der Insolvenz, zu Online-Plattformen oder zu europäischen Modellregeln des Zivilprozessrechts (gemeinsam mit UNIDROIT). Aktuell haben wir uns in Brüssel mit einem Projekt durchgesetzt, das sich mit Verträgen zu digitalen Inhalten beschäftigt. Das heißt, wir finden unsere Forschungsergebnisse in Gesetzgebungsentwürfen und Maßnahmen konkret wieder bzw. unsere Projekte werden in offiziellen Dokumenten ausdrücklich erwähnt.

Der Impact anderer ELI-Arbeiten äußert sich etwa in zahlreichen Einladungen zu ExpertInnen-Hearings und informellen Treffen mit EntscheidungsträgerInnen in Brüssel, ganz Europa und weit darüber hinaus. Zuletzt kündigte die britische Regierung eine neue Gesetzesvorlage an, um die Rettung von finanziell angeschlagene Unternehmen zu verbessern und nahm dabei explizit auf das ELI-Instrument zum Insolvenzrecht Bezug. 

"Europa eint – trotz aller Verschiedenheiten und aktuellen Spannungen – ein doch im Wesentlichen gemeinsamer Wertekanon. Dieser Wertekanon ist ein starkes Fundament, auf dem wir auch bei der Arbeit des ELI aufbauen können, um das wir aber auch täglich ringen und das wir bewahren müssen", so Christiane Wendehorst zur aktuellen Semesterfrage "Was eint Europa?".

uni:view: In welchen Bereichen hat das europäische Recht besonderen Verbesserungs- bzw. Reformbedarf?
Wendehorst: Ganz generell gilt es in Europa, Barrieren abzubauen, die durch die vielen Rechtsunterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen entstehen. Ein Beispiel: Es gibt 16 Millionen internationale Familien in der EU, d.h. Familien und Paare, bei denen einer der Partner nicht in dem Land lebt, dessen Staatsangehörigkeit er oder sie besitzt. Allerdings gilt in jedem Staat ein ganz eigenes Familien- und Erbrecht. Dadurch wird jeder grenzüberschreitende Umzug zum juristischen Blindflug.

Mit unserem Projekt "Empowering European Families" setzen wir genau hier an und haben eine Reihe von praktischen Hilfestellungen entwickelt, die bei der Europäischen Kommission und bei Berufsorganisationen bereits auf ein sehr positives Echo stoßen.

uni:view: In welchen Rechtsbereichen liegen die derzeitigen Schwerpunkte des ELI?
Wendehorst: Angesichts des Tempos der technologischen Entwicklung liegt der Fokus der ELI-Projekte zunehmend auf der Digitalisierung. Europa muss aufpassen, im internationalen Vergleich etwa zu den USA oder China nicht den Anschluss zu verlieren.

Ein aktuelles ELI-Projekt beschäftigt sich daher mit der Regulierung von Online-Vermittler-Plattformen wie Airbnb, Uber oder Amazon. Ein anderes Projekt, das wir gemeinsam mit dem American Law Institute (ALI) durchführen, erarbeitet transnationale Prinzipien für die Datenwirtschaft. Neue Projekte betreffen auch Blockchain und Smart Contracts, digitale Vermögenswerte (u.a. Problem des sog. digitalen Nachlasses) oder die Haftung bei neuen Technologien.

uni:view: Der Kooperationsvertrag zwischen der Uni Wien und dem ELI wurde nun das zweite Mal verlängert. Warum ist es wichtig, dass das ELI mit der Universität Wien verbunden bleibt?
Wendehorst: Wer im Ausland an Europa und Recht denkt, der denkt nicht mehr nur an Brüssel, Straßburg und Luxemburg, sondern eben auch an Wien. Dadurch ist die internationale Sichtbarkeit der Universität Wien als Standort für europabezogene Forschung und Lehre im Bereich der Rechtswissenschaften deutlich gesteigert worden. Im internationalen Wettbewerb um Exzellenz- und Alleinstellungsmerkmale hat die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien mit dem ELI ein beachtliches Asset, das sich hervorragend in bestehende und derzeit im Ausbau begriffene Profilbildungen einpasst und das von anderen Universitäten nicht dupliziert werden kann.

Angesichts des neuen Stellenwerts von Open Science in der internationalen Forschungspolitik bietet das ELI ein zusätzliches Profilierungspotenzial. Hinzu kommen der Vernetzungseffekt und deutlich verbesserte Chancen für WissenschafterInnen, ihre Arbeitsergebnisse und Erfahrungen der europäischen Politik zur Kenntnis zu bringen. Zahlreiche MitarbeiterInnen der Universität Wien waren und sind bereits aktiv an ELI-Projekten beteiligt. Die Studierenden geraten ebenfalls zunehmend in den Fokus.

Ein Beispiel für eine speziell auf Studierende zugeschnittene Veranstaltung des ELI war die Diskussion #ask mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments und über 500 TeilnehmerInnen im Juni 2018 im Audimax. (© Universität Wien/Elia Zilberberg)

uni:view: Wie verbinden Sie Ihre Position als ELI-Präsidentin mit der Forschung und Lehre an der Universität Wien?
Wendehorst: Von dem Gedanken einer 40-Stunden-Woche muss man sich natürlich freimachen – aber das gilt für die meisten WissenschafterInnen. Glücklicherweise konnte ich als Wissenschafterin viele ELI-Projekte selbst anstoßen und – gemeinsam mit Anderen – durchführen. Zum Beispiel Projekte zum Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht und zur Bereitstellung digitaler Inhalte, aber auch die genannten Projekte "Empowering European Families" sowie jenes zur Datenwirtschaft.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (ps)