Femizide: Mordkriminalität an Frauen ist systemisch

Beispielbild Polizei

Bereits elf Frauen wurden 2021 von Männern getötet. Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminologie erklärt, wieso Femizide ein Problem patriarchaler Strukturen sind. Die Lösung liegt für die Expertin in geschlechtersensibler Strafverfolgung und Prävention.

uni:view: In den letzten Tagen liest man den Begriff „Femizid“ oft in den Medien. Können Sie das Konzept genauer erklären?
Isabel Haider: Unter dem Femizid-Konzept – also der Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind – werden gesamtgesellschaftliche Einflüsse von Genderaspekten auf mehreren Ebenen diskutiert: Einerseits, inwiefern das gesellschaftliche Rollenbild von Frauen und andererseits wie patriarchale Hierarchien in der Gesellschaft auf die Täter wirken. Oft treiben den Täter frauenverachtende/-herabwürdigende Motive an.

Isabel Haider ist Universitätsassistentin am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien. Sie forscht zu den Themen Vorurteilsmotivierte Kriminalität, Hate Crime und Hate Speech sowie Femizide und geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen in Zusammenhang mit Polizeiarbeit. ©Theresa Wey/Interfoto

uni:view: Sie forschen am Institut für Strafrecht und Kriminologie zum Thema Behandlung von Femiziden im Strafverfolgungssystem. Welche Themen rücken dabei immer wieder in den Fokus?
Haider:
In meiner Forschung stelle ich mir die Frage, wie diese Einflüsse auf die Behandlung von Femiziden durch die Polizei und das Strafverfolgungssystem wirken. Wird der Geschlechtsbezug bewusst beachtet oder fließt er unbewusst negativ in die Ermittlungen ein? Werden Frauenmorde als eigenes gefährliches Kriminalitätsphänomen in Statistiken und Analysen behandelt oder als voneinander unabhängige Einzelfälle? Werden der Geschlechtsbezug und der Gender-Aspekt ernst genommen oder vermeintliche Ursachen bei den individuellen Tätern als Probleme in den jeweiligen Beziehungen oder als kulturell/ausländisch bedingt abgetan?

Eine weitere wichtige Frage muss gestellt werden: Wie wird Frauenhass des Täters in der Strafverfolgung überhaupt konzeptualisiert? Aufgrund meiner überschneidenden Forschungsgebiete im Bereich Femizide und vorurteilsmotivierter Kriminalität ist erkennbar, dass etwa Gewalt gegenüber Frauen in Intimbeziehungen gar nicht in Richtung geschlechtsbezogener Motive untersucht wird. Und das obwohl in diesen Fällen typischerweise eine bewusste Opferauswahl anhand des Merkmals Geschlecht erfolgt.

uni:view: Femizide sind keine Einzelfälle. Worin liegt für Sie das strukturelle Problem?
Haider:
Ein strukturelles Problem sehe ich darin, dass keine Bereitschaft besteht, geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen als eigenständiges Kriminalitätsphänomen, das spezielle Expertise erfordert, anzuerkennen. Im Grunde war genau das einer der Gründe für die Konzipierung des Begriffs "Femizid". Dieser sollte zum Ausdruck bringen, dass allgemeine Kriminalitätstheorien, die von männlichen, weißen Kriminologen ausschließlich für männliche Opfer entwickelt wurden, bei Femiziden zu kurz greifen.

Das ALES-Austrian Center for Law Enforcement Sciences ist die interdisziplinäre Forschungsstelle für modernes Law Enforcement (Forschungsstelle für Polizei- und Justizwissenschaften).
Isabel Haider und Hanna Rumpold untersuchten, gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres, Morde und Mordversuche an Frauen von 2018-2019, insbesondere im Hinblick auf einen Beziehungs-, häuslichen und geschlechtsspezifischen Kontext.

Die danach ausgerichtete Polizeiarbeit übersieht somit oft die speziellen systematischen Zusammenhänge, die sich bei der Mordkriminalität an Frauen finden lassen. Betrachtet man Mordkriminalität ohne ausreichende Expertise zu Genderthemen (Ergebnisse internationaler Forschung), kann dies dazu führen, dass Aufklärung und Prävention nicht optimal zugeschnitten sind.

uni:view: Kann Polizeiarbeit auch präventiv beim Thema sexualisierte, strukturelle Gewalt eingesetzt werden?
Haider:
Ja. Derzeit haben wir das große Problem von Konzeptlosigkeit und mangelnder Gesamtstrategie. Bei den meisten Femiziden steht eine Intimbeziehung zwischen Täter und Opfer im Hintergrund. Jene mit Gewaltvorgeschichte bieten darüber hinaus natürlich ein großes Präventionspotenzial, indem die Risikoeinschätzung etwa zum Zeitpunkt von Wegweisungen verbessert wird. Deshalb könnten Präventionsmaßnahmen für verschiedene Fallgruppen konkreter zugeschnitten werden.

uni:view: Was braucht es noch, damit strukturelle, sexualisierte Gewalt irgendwann obsolet wird?
Haider:
Derzeit wird bei der Problembehandlung oft punktuell vorgegangen. Wenn ein Mord passiert, reagieren Politik und Polizei ad hoc. Langfristige Planung mit strategischen Maßnahmen und vorhandener Expertise wäre hier jedoch vielversprechender. Insbesondere bräuchte es die Implementierung einer dauerhaften Datenerfassung und -analyse zu geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen, da ohne diese relevanten Daten auch keine Evaluierung von gesetzten Maßnahmen möglich ist.

Zivilgesellschaft und Forschung werden für die Informationsgewinnung auf die Berichterstattung in den Medien verwiesen. Studien in diesem Bereich sind extrem ressourcenaufwändig, da beispielsweise bei Aktenuntersuchungen zur Mordkriminalität überhaupt erst die Fälle mit weiblichen Opfern herausgefiltert werden müssen, da es noch keine Erfassung des Opfergeschlechts gibt. Hier gibt es eindeutig Nachholbedarf!

uni:view: Danke für das Gespräch! (pg/lk)