"Die Chance, die Umwelt besser verstehen zu lernen"

Wald

Einige der Corona-Maßnahmen, wie etwa der ausgesetzte Flugverkehr oder die heruntergefahrene Produktion, haben unmittelbare Auswirkungen auf die Umwelt. Umweltgeowissenschafter Thilo Hofmann plädiert im Interview dafür, den Moment zu nutzen, um genau hinzusehen und wichtige Daten zu sammeln.

Viele sprechen davon, dass die teils rigorosen Maßnahmen letztendlich nicht nur dazu beitragen würden, die Verbreitung des Virus unter Kontrolle zu bekommen, sondern auch, sozusagen als "guter Nebeneffekt", der Umwelt zugute kämen. Auf Social Media gehen einige sogar so weit zu behaupten, die Erde würde "heilen". Bilder von saubererem Wasser oder smogfreien Städten machen die Runde. Wie ist das aus Sicht der Wissenschaft? Tut die Corona-Krise der Umwelt gut?
Thilo Hofmann: Ich fände es zynisch zu sagen, dass die Corona-Krise auch etwas Gutes in sich trägt und dass sie einen positiven Effekt auf die Erde und die Umwelt hat. Was stimmt, ist, dass die massiven Einschränkungen der Wirtschaft und Industrie Auswirkungen haben, die man sofort beobachten kann. Beispielsweise gibt es durch den fast stillgelegten Flugverkehr und die reduzierte Industrieproduktion plötzlich viel weniger Emissionen in der Luft. Das ist natürlich messbar – und sollte genau beobachtet werden. Aus Sicht der Wissenschaft gibt es jetzt viel zu lernen.

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Noch nie gab es weltweit gleichzeitig so massive Veränderungen an Umweltfaktoren. Sie forschen unter anderem zum Thema Trinkwasserversorgung – was lernen Sie aus dieser Extremsituation?
Hofmann: Die Umwelt ist ein so komplexes System, dass es oft unmöglich ist, Zusammenhänge vollständig zu verstehen. Manchmal tappen wir gewaltig im Dunkeln. Wenn, wie jetzt, einige der Faktoren schlagartig aus dem System herausgenommen werden, haben wir die Chance, Zusammenhänge besser zu verstehen. Wir können lernen, wo wichtige Stellschrauben sind. Das ist vor allem wichtig für die Zeit danach.

In meiner Gruppe beschäftigen wir uns beispielsweise mit der Trinkwasserversorgung – jetzt haben wir die Gelegenheit, Daten in einer außergewöhnlichen Situation, die es so noch nie gab und in dieser Form auch hoffentlich nicht mehr geben wird, aufzunehmen. Wir untersuchen zum Beispiel Xenobiotika im Wasser. Das sind vom Menschen gemachte Stoffe, die ins Wasser gelangen und im natürlichen System nicht vorkommen. Ein Beispiel dafür ist Gadolinium, das als Kontrastmittel bei MRT-Untersuchungen verwendet wird. Gadolinium wird vom Menschen durch den Harn vollständig wieder ausgeschieden und landet so im Wasser. Aufgrund seiner Beschaffenheit kann das im MRT als Kontrastmittel gebundene Gadolinium von Kläranlagen nicht aufgefangen werden und gelangt ungefiltert ins Flusswasser. In den meisten Ländern besteht das Trinkwasser aus aufbereitetem Flusswasser, auch kleinere Teile Wiens werden so versorgt. Wenn wir nun Gadolinium im Trinkwasser messen, ist das für uns ein Marker dafür, wieviel Abwasser im Trinkwasser vorhanden ist.

Aber was passiert jetzt in dieser Extremsituation? Es werden deutlich weniger MRT-Untersuchungen durchgeführt, also gibt es signifikant weniger Gadolinium im Abwasser. Das können wir messen und daraus können wir lernen, wie Grundwassersysteme tatsächlich funktionieren, zum Beispiel wie schnell das Grundwasser fließt. Das war vorher nicht möglich, denn wir konnten ja nicht sagen "Moment, stellt mal für ein paar Wochen die MRT-Untersuchungen ein, wir müssen hier mal was ausprobieren".

Können so kurzfristige Ereignisse, wie das Aussetzen des Flugverkehrs, für die Umwelt überhaupt nachhaltig etwas bewirken? Was passiert danach?
Hofmann: Ich gehe davon aus, dass die gesetzten Maßnahmen sukzessive wieder rückgängig gemacht werden, sobald die Ausbreitung des Corona-Virus eingedämmt ist und hoffentlich Impfstoffe entwickelt wurden. Kein Staat kann über viele Monate hinweg auf lebensnotwenige Wirtschaftssysteme und eine stabile Industrie verzichten. So schnell es in die eine Richtung eine Veränderung etwa der Luft und des Wassers gegeben hat, so schnell wird sich das nach dem Hochfahren der Industrie auch wieder ändern. Ein paar Monate sind für globale Umweltsysteme wie ein Wimpernschlag und nicht nachhaltig. 

Ein paar Monate sind für globale Umweltsysteme wie ein Wimpernschlag und nicht nachhaltig


Also ist unsere Freude darüber, dass wir zumindest der Umwelt etwas Gutes dabei tun, zwar menschlicher Natur, aber wissenschaftlich betrachtet eher Unsinn?

Hofmann: Wie gesagt, ich fände diese Betrachtung eher zynisch. Wir sollten aber die Zeit nützen, um wichtige Daten zu sammeln, um besser verstehen zu können, wie Umweltsysteme funktionieren. So können wir nachhaltige Verbesserungen ermöglichen.

Gibt es andere große Chancen für die Umwelt?
Hofmann: Wir werden in den kommenden Wochen weltweit staatliche Maßnahmen zur Überbrückung der Krise und Stützung der Wirtschaft in einem vermutlich vorher noch nicht bekannten Ausmaß sehen. Wir Umweltwissenschafter*innen plädieren hier ganz stark dafür, auch an die Zukunft unseres Planeten zu denken und auf eine ökologische Marktwirtschaft zu setzen. Jetzt die richtigen Entscheidungen für nachhaltige Technologien zu treffen, kann positive Auswirkungen auf die kommenden Jahrzehnte haben. Hier können wirklich Weichen gestellt werden. Es besteht jetzt die große Chance, Förderprogramme für die Zukunft unseres Planten an einem nachhaltigeren, ökologischeren Wirtschaften auszurichten. Und vielleicht merken wir auch im Kleinen, dass nicht jede Flugreise notwendig ist.

Vielen Dank für das Interview! (jp)

Thilo Hofmann

Thilo Hofmann ist Professor für Umweltgeowissenschaften am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. Er lehrt und forscht in den Arbeitsgebieten Hydrogeologie, Schadstoffverhalten, Biokohle, Umweltverhalten von natürlichen und technischen Nanopartikeln und Mikroplastik. (© Universität Wien)