Marienthal 2.0. – Dekonstruktion der Lohnarbeit

"Die Arbeitslosen von Marienthal" ist ein Klassiker der Sozialforschung. Die Geschichte hat sich wiederholt: 2017 schloss der letzte Industriebetrieb am Gelände der ehemaligen Textilfabrik. Dies wurde von Soziologie-Studierenden der Uni Wien aufgearbeitet und in einer Ausstellung dokumentiert.

Im Jahr 1929 wurde im Marienthal in Niederösterreich eine einst florierende Textilfabrik geschlossen, und fast 1.300 ArbeiterInnen entlassen. Daraus folgte ein enormer Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Region um Gramatneusiedl. Die von Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel verfasste Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" wurde zum Klassiker der empirischen Sozialforschung.

Ende 2017 wurde mit der Werksanlage der Firma EVONIK Para-Chemie der letzte Industriebetrieb, der sich auf dem Gelände der ehemaligen Textilfabrik befand, geschlossen. Im Rahmen eines Forschungspraktikums haben Studierende des Instituts für Soziologie der Universität Wien die Auswirkungen der Schließung auf die Gemeinde und ihre BewohnerInnen untersucht; ihre Ergebnisse sind ab Freitag, 17. Mai 2019, im Rahmen einer Ausstellung in Gramatneusiedl zu sehen.

Beobachtungen, Gespräche und Interviews

Ein Jahr lang haben die Soziologie-StudentInnen unter der Anleitung von Christina Liebhart, Andreas Kranebitter und Christoph Reinprecht in Gramatneusiedl geforscht. Ihre Beobachtungen und informelle Gespräche bzw. Interviews mit Beschäftigten, der Betriebsleitung, BewohnerInnen und FunktionsträgerInnen zeichnen ein dichtes, vielschichtiges Bild der Realität: Eine kleine Gemeinde, die in Folge der De-Industrialisierung mit dem Wandel von der Industriegemeinde zur "SchlafpendlerInnen"-Gemeinde konfrontiert ist.

"Ausgehend von einer Relektüre der 'Marienthal-Studie' stellen wir im Forschungspraktikum 'Marienthal 2.0.' die Frage, welche Forschungsansätze und welche Themen der klassischen Marienthal-Studie – z.B. das Wahlverhalten, die politische Mobilisierung oder den sozialen Zusammenhalt betreffend – auf den heutigen Kontext übertragbar sind", erklärt Christoph Reinprecht, einer der drei LehrveranstaltungsleiterInnen vom Institut für Soziologie: "Im zwei Semester umfassenden Praktikum wird die drohende Schließung zur Realität. Die Studierenden gehen der Frage nach, welche wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen die Schließung der Evonik Para Chemie GmbH auf die Gemeinde hat."

Aktuelle Lage und historische Bezüge

Ihre Ergebnisse dokumentieren die Studierenden im Rahmen der Ausstellung "MARIENTHAL 2.0. Zur Dekonstruktion der Lohnarbeit am Beispiel einer kleinen Industriegemeinde", die vom 15. bis 17. Mai im Gemeindezentrum in Gramatneusiedl zu sehen ist. In drei Blöcken zu jeweils vier Stationen werden die BesucherInnen mit den unterschiedlichen Perspektiven von Geschäftsführung, Betriebsrat, Beschäftigten sowie Lokalpolitik konfrontiert.

Der erste Block widmet sich der Frage, wie die Schließung der Para-Chemie von den verschiedenen AkteurInnen thematisiert wurde, zudem werden auch Bezüge zur historischen Marienthal-Studie erörtert. Der zweite Teil zeigt die Transformation des Ortes, wie sie sich sowohl in neuen Grenzziehungen als auch Lebensgeschichten und Identitätsbezügen widerspiegelt. Der dritte Teil rückt die Schließung der Firma selbst in den Mittelpunkt. Im Rahmen der Ausstellungseröffnung am Freitag, 17. Mai 2019, wird auch die Studie durch die Studierenden vorgestellt. (red)

Studienpräsentation und Ausstellung: "Marienthal 2.0. Zur Dekonstruktion der Lohnarbeit am Beispiel einer kleinen Industriegemeinde"
Freitag 17. Mai 2019, 19 Uhr: Vernissage Marienthal 2.0, Vorstellung der Studie
Samstag, 18. Mai, 17 Uhr: Erläuterung mit den StudienautorInnen
Sonntag, 19. Mai, 14-16 Uhr: Rundgang und Erläuterungen
Gemeindezentrum Gramatneusiedl, Marie Jahoda Platz 1
Programm und nähere Informationen (PDF)