Mexikos Protest gegen den "Anschluss"

Mexikos Protest gegen den "Anschluss" und neue Perspektiven auf die österreichisch-mexikanische Geschichte standen im Fokus einer Konferenz vom 28. Februar in Mexiko Stadt. Von der Universität Wien war u.a. Historiker Oliver Rathkolb mit dabei, der die Tagung mit einer Keynote eröffnete.

Ausgehend vom Protest gegen den "Anschluss", den Mexiko im März 1938 vor dem Völkerbund erhob, widmete sich ein internationales Symposium drei Dimensionen einer wechselhaften transatlantischen Geschichte: der kurzen Episode Maximilians von Habsburg als Kaiser von Mexiko; dem österreichischen Exil in Mexiko während der NS-Zeit; und dem Beitrag, den ÖsterreicherInnen zur mexikanischen Kulturlandschaft leisteten. Organisiert wurde die Tagung, die am 28. Februar und 1. März im Instituto Matías Romero des mexikanischen Außenministeriums stattfand, von Berthold Molden, Historiker an der Universität Wien, und der Direktorin des Geschichteinstituts am Colegio de México, Erika Paní.

Gekreuzte Geschichten/Historias Cruzadas

Eingangs erklärte Molden die histoire croisée als konzeptuelle Basis der Tagung, die denn auch im Rahmen eines von ihm initiierten Projekts unter dem Titel "Gekreuzte Geschichten/Historias Cruzadas" stattfand. Innerhalb dieses Projekts, zu der auch das Österreichische Kulturforum in Mexiko einige Einzelveranstaltungen beitrug, kam der Tagung die Rolle zu, aktuelle Forschungen vor allem mexikanischer HistorikerInnen zur Geschichte österreichisch-mexikanischer Beziehungen miteinander zu verknüpfen.

Aktuelle Fragestellungen der Geschichtsforschung

Eröffnet wurde die Tagung mit zwei Keynotes, die aktuelle Fragestellungen der mexikanischen und österreichischen Geschichtsforschung präsentierten. Die Grande Dame der mexikanischen Oral History, Eugenia Meyer, legte ausgehend vom Werk des einflussreichen österreichischen Mexikanisten Friedrich Katz einen Entwurf für eine aktualisierte, sozialhistorisch fundierte Historiographie in Mexiko vor. Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, erklärte den März 1938 in einem dreifachen Kontext: den innenpolitischen Kräfteverhältnissen, den Auseinandersetzungen mit Deutschland und den europäischen Nachbarn und zuletzt den weltpolitischen Implikationen der mexikanischen Protestnote. Interessant war auch Rathkolbs Versuch, zentrale Strukturbedingungen politischen Handelns in Österreich und Mexiko einander gegenüberzustellen.

VERANSTALTUNGSHINWEIS:
Am Dienstag, den 20. März, findet am Juridicum von 13.30 bis 20.30 Uhr das Symposium "In the Spirit of Isidro Fabela: Mexican and Austrian Approaches to the Challenges of International Law" statt.
Weitere Informationen im Veranstaltungskalender der Universität Wien

Wahrnehmungen "von unten"

Beide Keynotes schufen eine anregende Ausgangsbasis für die drei Panels des folgenden Tages. Das Panel unter der Leitung von Erika Paní über das sogenannte "zweite Kaiserreich" in Mexiko formulierte drei Ansätze. Zunächst zeigte Mílada Bazant die schon von Meyer angesprochene Bedeutung einer "Geschichte von unten" anhand der biographischen Analyse peripherer Zeitgenossen auf: des mährischen Soldaten Josef Mucha, der mit Maximilian nach Mexiko gekommen war, sowie eines mexikanischen Provinzlehrers, der mit dem Kaiser aus Österreich eine Korrespondenz anknüpfte. Diesen Wahrnehmungen "von unten" fügte Daniela Marino eine Erklärung des komplizierten Verhältnisses zwischen den indigenen Völkern Mexikos und der maximilianischen Verwaltung hinzu. Zuletzt erweiterte Víctor Villavicencio den Blick in Richtung des europäischen Imperialismus als bestimmenden Handlungsrahmen für die mexikanischen Ereignisse der 1860er Jahre.

Mexiko: Ein Land mit paradoxer Migrationsgeschichte

Das zweite Panel sprach direkt die Ereignisse und Folgen von 1938 an. Der führende mexikanische Migrationshistoriker Pablo Yankelevich lieferte eine umfassende Einführung in die oft paradoxe Migrationsgeschichte Mexikos seit Beginn des 20. Jahrhunderts: Mexikos Ruf als Asylland vs. seine oft extrem restriktiven Immigrationspraxen. Das Land wurde zwar zum Zentrum strahlkräftiger Exilkulturen aus Amerika und Europa und entwickelte aus einer anfangs exklusiven Einwanderungsdoktrin eines der modernsten Asylgesetze der Welt, während die Zulassungspraxis der Behörden eine andere Sprache spricht.

Daniela Gleizer, deren Studien zum jüdischen Exil der 1930er und 1940er Jahre zur Neueinschätzung eines nationalen Mythos führten, zeigte am österreichischen Beispiel die gesetzlichen Einschränkungen, bürokratischen Hürden und rassistischen Vorbehalte gegenüber jüdischen Flüchtenden. Dass dennoch ÖsterreicherInnen in Mexiko Zuflucht fanden und dort ein außerordentlich aktives antifaschistisches Kulturleben zu schaffen vermochten, berichtete der – in Abwesenheit verlesene – Vortrag des österreichischen Exilhistorikers Christian Kloyber.

Genese eines spezifischen Blicks

Zum Abschluss zeigten die Vorträge der Kuratorin Marta Turok und der Historikerin Martina Kaller die Beiträge von aus Österreich stammenden Akteuren zum Geistes- und Kulturlebenmexikos auf. In beiden Fällen – der ethnographischen Sammlerin Ruth Deutsch de Lechuga und dem penseur provocateur Ivan Illich – ging es um die Genese eines spezifischen Blicks, der sich aus dem biographischen Hintergrund und der eigenen Abhebung von eben diesem in der ihrerseits historisch spezifischen mexikanischen Realität entwickelte.

So gelang es dem Symposium, über den Spiegel des "Österreichischen" verschiedene, ansonsten voneinander getrennt agierende Felder mexikanischer Geschichtsforschung in Austausch zu bringen.

Am 19. März selbst geht es auf der österreichischen Seite weiter: Auf dem Mexikoplatz in der Wiener Leopoldstadt eröffnet das interdisziplinäre Gedenkprojekt "Gekreuzte Geschichten. Mexikoplatz 1938 – 2018", das die historische Erfahrung von Unterdrückung und Exil mit aktuellen politischen Fragen in Verbindung bringt.