Mikroorganismen: Artenvielfalt im Boden

Porträtfoto von Dagmar Woebken vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung am Zentrum für Mikrobiologieforschung und Umweltsystemwissenschaft, die im Gastbeitrag über Artenvielfalt im Boden spricht.

Die wohl größte Artenvielfalt von Mikroorganismen liegt uns zu Füßen. Pro Gramm Boden lassen sich mehrere 1.000 Arten finden. Welche Strategien die kleinen Überlebenskünstler anwenden und warum die mikrobielle Vielfalt bedroht ist, erklärt Dagmar Woebken im Rahmen der Semesterfrage.

Böden beherbergen die größte Artenvielfalt an Mikroorganismen weltweit: Bakterien und Archaea, Pilze und Protisten. Diese Vielfalt stellt sicher, dass mikrobielle Prozesse in den verschiedenen Stoffkreisläufen bei unterschiedlichen Umweltbedingungen stattfinden können – unter verschiedenen Bedingungen springen jeweils andere Mikroorganismen ein, so dass der Prozess selbst kontinuierlich abläuft.

Epifluoreszenzmikroskopische Aufnahme von Mikroorganismen, die auf Bodenoberflächen zu finden sind. (© Stefanie Imminger)

Warum ist diese Vielfalt wichtig für uns?

Vielfältige Bodenmikroorganismen sind für uns Menschen in vielerlei Hinsicht wichtig. Sie tragen zur Aufnahme oder Abgabe von Treibhausgasen bei, die bei der Klimaerwärmung eine Rolle spielen, wie Kohlenstoffdioxid (CO2), Distickstoffmonoxid (N2O) und Methan (CH4). Sie bauen Schadstoffe und Pestizide ab. Und sie unterstützen Pflanzen bei der Aufnahme von Nährstoffen und der Abwehr von Krankheitserregern – damit kann die mikrobielle Artenvielfalt auch für die Landwirtschaft von großem Nutzen sein.

Bedrohungen der Artenvielfalt im Boden

Doch die Landwirtschaft stellt auch eine Gefahr für die Bodenmikroben dar. Der exzessive Einsatz von Stickstoffdünger kann die Artenzusammensetzung im Boden verändern und die Artenvielfalt verringern. Monokulturen beeinflussen ebenfalls die Artenvielfalt unter der Erde, da Pflanzen und Mikroorganismen in Gemeinschaft leben (dieses "Gesamtlebewesen" wird auch Holobiont genannt). Leider ist unser Wissen über Mikroorganismen in der Umwelt noch immer sehr eingeschränkt: So ist es schwierig, genau vorherzusagen, wie sie auf Umweltveränderungen zum Beispiel durch den Klimawandel reagieren werden.

Bodenbakterien und Pilze besiedeln eine Wurzeloberfläche, Pilzhyphen sind im Bildvordergrund zu erkennen. (© Raphael Gabriel, CIUS / Cell Imaging & Ultrastructure Research, Core Facility).

Wie kommt nun diese große Artenvielfalt in Böden zustande?

Um zu verstehen, warum es überhaupt so viele verschiedene Bodenmikroorganismen gibt, muss man sich ihre Lebensumstände etwas genauer anschauen. Denn "der" Boden ist tatsächlich ein sehr heterogener Lebensraum: Die Bedingungen, die ein Bakterium an einer bestimmten Stelle vorfindet, können nur weniger als einen Millimeter entfernt komplett anders aussehen! Dies gilt für Umweltfaktoren wie Sauerstoff und Wasserverfügbarkeit ebenso wie für Nährstoffe – und wo viele verschiedene Lebensbedingungen, da auch "Platz" für zahlreiche Lebensformen.

Boden setzt sich aus sogenannten Bodenaggregaten verschiedener Größen zusammen. Zum Beispiel ist die Konzentration von Sauerstoff (für viele Mikroorganismen ebenso wie für uns Menschen ganz essenziell zum Leben) im Inneren eines solchen Aggregats viel geringer als außen. Auch Nährstoffe und Energiequellen sind sehr ungleichmäßig im Boden verteilt. Im Bild: Aufnahme eines Acidobakteriums, isoliert aus einer Bodenprobe. (© Stephanie Eichorst)

Ein weiterer Faktor ist die Fähigkeit von Mikroorganismen, "Durststrecken" zu überdauern: Gerade die Bodenbewohner unter ihnen erleben oft lange Engpässe von Wasser und Nährstoffen. In solchen Zeiten versetzen sie sich in einen reversiblen Zustand geringer Stoffwechselaktivität, also eine Art Ruhezustand, und garantieren als "mikrobielle Samenbank" – ähnlich wie Pflanzen mit ihren Samen – den Fortbestand ihrer Artenvielfalt.

Wussten Sie, dass nur maximal 30 Prozent der Mikroorganismen im Boden aktiv sind? Der Rest befindet sich im Ruhezustand. Das bekannteste Beispiel dafür sind Sporen. In der Welt der Mikroorganismen sind bisher hauptsächlich die Ruhezustände von Krankheitserregern wie Cholera- oder Tuberkulose-Bakterien ausreichend erforscht, darum kennen wir wahrscheinlich nur einen kleinen Teil ihrer möglichen Überlebens-Tricks.

Auf der Suche nach den Überlebensstrategien von Bodenmikroorganismen

Herauszufinden, mit welchen Strategien die Mikroorganismen im teilweise recht lebensfeindlichen Ökosystem Boden überleben, ist ein Forschungsschwerpunkt in meiner Arbeitsgruppe. Aktuell interessiert uns besonders ihre Fähigkeit, Energie aus der Oxidation von atmosphärischem, molekularem Wasserstoff zu gewinnen. Das untersuchen wir bei einer der häufigsten Gruppe von Bodenbakterien, den Acidobakterien. Zusätzlich fokussieren wir uns auf Proben aus der Negev-Wüste in Israel. Um dort überleben zu können, müssen die Mikroorganismen den Großteil des Jahres ohne Wasser überdauern. In Experimenten untersuchen wir, ob und wie sich die Mikroorganismen auf die Trockenzeit vorbereiten und mit welchen Strategien sie diese überbrücken.

Wir haben herausgefunden, dass Wüsten-Bodenmikroben ganz verschiedene Mechanismen entwickelt haben, um sich vor Austrocknung und Nährstoffmangel zu schützen: z.B. die Anhäufung von Zuckern und Ionen in der Zelle, die bei Austrocknung Proteine und DNA schützen. Außerdem haben sie spezielle Enzyme und zusätzliche Genomkopien, um Schaden an der DNA zu reparieren, sobald Wasser wieder verfügbar ist. (© Dagmar Woebken)

Unsere Untersuchungen zeigen, mittels welcher vielfältigen Strategien Mikroorganismen in Böden überleben können. Diese Fähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die große Artenvielfalt in Böden erhält. Diese wiederum ist essenziell für die Stabilität der Stoffkreisläufe unserer Ökosysteme.

Dagmar Woebken forschte an der Stanford University (USA), bevor sie 2012 als Gruppenleiterin an das Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien kam. Für ihr Forschungsprojekt "Revealing the function of dormant soil microorganisms and the cues for their awakening" erhielt Dagmar Woebken 2014 einen ERC Starting Grant. Zum Video-Beitrag "Mikrobiologin Dagmar Wöbken auf Spurensuche".