Nescafé in der Türkei: ein (fast) unlösliches Problem

Werbung für Nescafé

Yavuz Köse vom Institut für Orientalistik der Uni Wien erklärt in seinem Gastbeitrag, wie Nescafé in die Türkei kam, dort zum begehrten Luxusprodukt wurde und wie das Instantgetränk die Kaffeekultur nachhaltig veränderte.

Den "Türken" – wie die Osmanen in westlichen Quellen oftmals (fälschlicherweise) bezeichnet wurden – verdankt die Welt den Kaffee und die Kaffeehauskultur. Die ersten Kaffeehäuser wurden bereits Mitte des 16. Jahrhunderts im Osmanischen Reich gegründet und verbreiteten sich gemeinsam mit dem Kaffee rasch um die ganze Welt. Der 1640 in Konstantinopel geborene osmanische Armenier Johannes Deodat (Diodato) erhielt Anfang 1685 vom Wiener Hof die Erlaubnis, das "türkische Getränk, als Caffe, The und Scherbet, zu praeparieren" und eröffnete das erste Wiener Kaffeehaus.

"Türkischer Kaffee" erobert die Welt

Die Osmanen haben, so scheint es, viel mit der Wiener Bevölkerung gemein, denn ähnlich wie diese konnten auch sie ohne Kaffeehäuser nicht leben. "The fact is, that Turks can’t live without coffee …", wie der schottische Reisende Charles Macfarlane 1829 bemerkte. Doch lag der durchschnittliche Kaffeekonsum des Osmanischen Reiches um 1900 weit hinter dem von Frankreich, Deutschland oder dem Spitzenreiter Belgien. Und auch wenn die "türkische Kaffeekultur" seit 2013 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist die Türkei derzeit mit knapp 0,9 Kilo jährlichem Pro-Kopf-Verbrauch weit abgeschlagen hinter Ländern wie Österreich, das mit über 7 Kilo pro Kopf weltweit auf Platz sechs rangiert. Die republikanische Türkei kann sich dagegen rühmen, binnen kurzer Zeit den Tee zum nationalen Getränk gemacht zu haben und heute zu den führenden Teenationen zu gehören.

Instantkaffee im Land des Tees

Als das Schweizer Unternehmen Nestlé beschloss, sein bereits 1938 entwickeltes Instantgetränk Nescafé im September 1952 auf den türkischen Markt zu bringen, sah es zunächst nach einem gut gewählten Zeitpunkt aus: Die Türkei war Mitglied der NATO geworden und die neue Regierung versprach eine liberale Wirtschaftspolitik. Doch erfüllten sich die Erwartungen des Unternehmens nicht. Nestlé war mit schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und einer äußerst labilen politischen Lage konfrontiert.

In ihrem Bestreben, sich nach westlichem Vorbild zu modernisieren und zu säkularisieren, hatte die Türkei mit massiven soziopolitischen Krisen zu kämpfen, die schließlich zu mehreren Militärcoups (1960, 1971 und 1980) führten. Um von 1950 bis Ende der 1980er Jahre Geschäfte in der Türkei zu machen, mussten Unternehmen zäh und beharrlich sein. Neben der Etablierung von lokalen Geschäftsnetzwerken waren die internationalen Konzerne vor allem damit beschäftigt, Kontakte zu staatlichen Eliten herzustellen. Und natürlich mussten sie ihre Produkte bewerben und vertreiben.

Betrachtet man die Verkaufszahlen, so müssen die formativen Jahre von Nescafé eindeutig als eine erfolglose Periode angesehen werden. Nestlé suchte ständig nach Wegen, die Probleme zu kanalisieren, mit denen es aufgrund der instabilen Bedingungen in der Türkei konfrontiert war.

Kaum getrunken, aber in aller Munde

Die langjährige Präsenz von Nestlé im Land – die Marke vertrieb bereits 1875 ihre Produkte in der Türkei und gründete 1927 eine Schokoladenfabrik in Istanbul – und das breite Netzwerk in der politischen Elite trugen dazu bei, Marketingstrategien für Nescafé zu verfolgen, die sich an die westlich orientierte Oberschicht richteten. Zudem konnte das Unternehmen auf lokale Vertriebspartner*innen bauen, hatte aber aufgrund der Importsubstitutionspolitik der 1960er und 1970er auch ständig mit Importbeschränkungen zu kämpfen. Der wachsende Tourismussektor trug ebenfalls dazu bei, Zugang zu einem wachsenden Kundenstamm zu erhalten.

Dennoch blieb die Zahl der einheimischen Verbraucher*innen nach wie vor gering. Für sie war Nescafé kaum zugänglich, geschweige denn erschwinglich. Obwohl Nescafé ein schwer zu findendes Produkt war, führte seine starke Medienpräsenz zu einer hohen Markenbekanntheit in der türkischen Gesellschaft. Das Marketing stellte Nescafé als ein begehrtes Produkt dar, das Modernität, Luxus und westlichen Lebensstil symbolisierte.

Zum berühmt-berüchtigten Marktführer

Doch es scheint, dass es weniger die Werbung war, die Nescafé im öffentlichen Bewusstsein verankerte, sondern vor allem die Medienberichterstattung zu gesellschaftlichen Ereignissen, Tourismus und Wirtschaftsfragen, in denen Nescafé oftmals eine herausragende Rolle spielte. Nicht nur Tourist*innen, sondern auch eine wachsende Zahl von türkischen Arbeitermigrant*innen ("Gastarbeiter*innen") brachten auf ihren Heimatreisen vor allem in den 1970er Jahren westliche Produkte in die Türkei, darunter auch Nescafé.

In diesen Jahren waren importierte westliche Waren wie Zigaretten oder Alkohol aufgrund der geringen Qualität der lokal produzierten Konsumgüter heiß begehrt. Die wirtschaftliche Liberalisierung nach den Jahren des Militärputsches 1980 öffnete den türkischen Markt und ermöglichte wachsende Importe westlicher Waren, die allerdings aufgrund der hohen Zölle immer noch sehr teuer waren. Erst nach 1984 begann Nestlé mit umfangreicher Werbung für Nescafé in der Lokalpresse. Zu dieser Zeit war Nescafé bereits berühmt-berüchtigt und zum Gattungsbegriff für löslichen Kaffee geworden. Heute gehört Nescafé zum unbestrittenen Marktführer in der Türkei.

Der Originalartikel “'The fact is, that Turks can’t live without coffee…' the introduction of Nescafé into Turkey (1952-1987)” von Yavuz Köse, der mit dem Emerald Literati Awards 2020 ausgezeichnet wurde, erschien im Journal of Historical Research in Marketing und ist hier abrufbar.

Zur Person
Yavuz Köse ist seit Jänner 2019 Professor für Turkologie an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte des Osmanischen Reiches und der Türkei. (© Barbara Mair)