Rumoren in der Filmbranche

Erstmals wurde mit dem Film Gender Report eine große Studie zum Geschlechterverhältnis im österreichischen Filmschaffen präsentiert. Wenig überraschend: Die durchgehend männliche Dominanz in der Filmwelt. uni:view sprach darüber mit der Studienautorin und Filmsoziologin Eva Flicker.

uni:view: Zum ersten Mal wurde zum Geschlechterverhältnis im österreichischen Filmschaffen eine derart umfassende Studie durchgeführt. Warum erst jetzt?
Eva Flicker: Es war höchste Zeit, dass diese Studie gemacht wurde. Schon lange gab es ein Rumoren in der Filmbranche, insbesondere von Frauen. Nur wurden bis dato keine wissenschaftlichen Daten erhoben. Grundlage für den Österreichischen Film Gender Report war ein Parlamentsbeschluss, der das Österreichische Filminstitut und das Bundeskanzleramt veranlasste, diese Studie in Auftrag zu geben. Für uns war es sehr erfreulich, dass sie sich damit an uns gewandt haben. Gemeinsam mit Lena Vogelmann konnte ich diese komplexe Studie machen, in Kürze legen wir den großen Endbericht vor.

uni:view: Sie haben in der Studie das Filmschaffen sowohl Off-screen als auch On-screen untersucht. Was ist damit genau gemeint?
Flicker: Wir haben die Bereiche Filmförderung, Festivalpräsenz, die Filmakademie und die Stabsstellen des Filmteams untersucht – das nennen wir Off-screen, also alles, was im Film jenseits der Leinwand passiert. On-screen haben wir die Filminhalte und Hauptfiguren von 100 österreichischen Kinospielfilmen, die im Untersuchungszeitraum 2012 bis 2016 ihren Kinostart gehabt haben, analysiert.

Hier zeigt sich deutlich: Je mehr Frauen in der Produktion, Drehbuch, Regie und auch im weiteren Filmstab sind, desto differenzierter präsentieren sich die Rollen im Film. Das heißt, wenn wir insgesamt buntere Narrationen haben wollen, sei es in Bezug auf Gender, Lebensthemen oder -perspektiven, ist es wichtig, die männliche Dominanz einzuschränken.

Was sind Ihre persönlichen österreichischen Lieblingsfilme?
Mein Bruder war ein erfolgreicher Filmemacher und daher muss ich natürlich die Filme von Florian Flicker nennen. Einer meiner Lieblingsfilme von ihm ist "Suzie Washington". Besonders interessant finde ich "Der Überfall", weil er einen sehr differenzierten, kritischen und humorvollen Blick auf Männerwelten zeigt. "Nordrand" von Barbara Albert finde ich auch sehr eindrucksvoll. (© Allegro Film)

uni:view: Woher stammen die Daten für die Studie?
Flicker: Einerseits waren wir in der angenehmen Situation, dass die Daten vom Filminstitut für uns erhoben wurden. Doch der Nachteil aus wissenschaftlicher Sicht ist, dass wir nicht genau wissen, warum bestimmte Daten fehlen, etwa vom ORF. Gleichzeitig wissen wir, dass der Frauenanteil bei Fernsehserien am geringsten ist, auch deren Bezahlung. Aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive finde ich das hoch bedenklich, denn die Finanzierung erfolgt über öffentliche Gelder.

uni:view: Was sind die interessantesten Ergebnisse in puncto Gender und Filmförderung?
Flicker: Wir haben uns nach dem sogenannten Schwedischen Modell die Besetzung der drei Key Positions, also Produktion, Drehbuch und Regie, angesehen. Fakt ist, dass vom Herstellungsbudget 80 Prozent an Männer gehen. Schauen wir uns das Ganze differenzierter an und inkludieren alle 16 Off-screen Departments, wie Licht, Ton, Kamera etc., können wir zeigen, dass ein großer Teil des Budgets, der an Filme geht, die vergleichsweise einen hohen Frauenanteil im Filmstab haben (76-100 Prozent), mit dem kleineren Budget (56 Prozent bis 50.000 Euro) auskommen. Unwissenschaftlich ausgedrückt: Frauen machen großteils die billigeren Filme. Um diese Differenzierungen herauszuarbeiten, haben wir ein eigenes Berechnungsmodell entwickelt, das wir Inklusionsmodell nennen.

Anhand der Zahlen zeigt sich, dass eine ungleiche Verteilung im Budget existiert. Es ist wichtig hier anzusetzen und bei den Entscheidungsgremien Bewusstsein zu schaffen, auch bezüglich der Zusammensetzung dieser Gremien.

uni:view: Wo steht Österreich im internationalen Vergleich?
Flicker: Österreich ist kein großer Ausreißer. Unsere Ergebnisse entsprechen in etwa dem internationalen Geschlechterverhältnis in der Filmbranche. Allerdings ist das Geschlechterverhältnis in jenen Ländern, die schon früher mit Konzepten zur Geschlechtergleichstellung begonnen haben, deutlich fairer, beispielsweise Schweden. Anders beim Budget: Unsere Filmförderung ist international gesehen nicht einmal Low-Budget, sondern ein No-Budget. Insofern ist es beachtlich, dass österreichische Filme auch international so erfolgreich sind.

uni:view: Was sind die zentralen Ergebnisse der von Ihnen analysierten 100 Spielfilme in puncto Filmstab?
Flicker: Insgesamt lag der Frauenanteil hier bei rund einem Drittel, bei der Regie gar unter einem Viertel. Es ist spannend zu sehen, dass die Besetzung der Regie mit einer Frau Auswirkungen auf die Besetzungen des gesamten Filmstabs hat, der in diesen Fällen gendergerecht besetzt war. Frauen scheinen einen Blick dafür zu haben, 50:50 zu arbeiten. Männern fehlt offensichtlich dieses Bedürfnis.

uni:view: Wechseln wir vom Backstage-Bereich zu On-screen. Wie steht es um Gender auf der Leinwand?
Flicker: Hier haben wir zunächst den Bechdel-Wallace-Test angewandt, der anhand von drei schlichten Fragen schaut, wie die Hauptrollen besetzt sind: Gibt es im Film mindestens zwei weibliche Figuren mit Namen? Sprechen diese Figuren miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Von den 100 Spielfilmen bestehen 53 Prozent den Bechdel-Wallace-Test für weibliche Figuren. Auf Wunsch der AuftraggeberInnen haben wir diesen Test auch für männliche Figuren angewandt und es bestehen ihn 85 Prozent. Ein Fazit daraus ist: Männliche Figuren werden differenzierter dargestellt.

uni:view: Sie haben in Ihrer Studie auch Filmfestivals unter die Lupe genommen. Können Sie ein, zwei interessante Ergebnisse aus dieser Analyse herausgreifen?
Flicker: Im Programm der Festivals sind Filme von Frauen eine Minderheit; der Anteil pendelt zwischen 20 und 30 Prozent. 61 Prozent der FestivaldirektorInnen sind Männer – da war die Viennale noch nicht mit einer Frau besetzt. In der sogenannten zweiten Reihe der Programmverantwortlichen sind die Frauen wiederum in der Mehrheit. In der Juryzusammensetzung sind auch die Vorsitzenden zu 80 Prozent Männer, insgesamt sind die Jurys aber nahe an einer 50:50 Besetzung. Dieses Ergebnis bildet auch gesellschaftliche Muster ab, die wir z.B. in Organisationen wieder finden: Die Spitzenposition, die Repräsentanz, hat ein Mann inne, während die dahinterstehende Arbeit oftmals eine Frau macht.

Derzeit läuft wieder Österreichs größtes Filmfestival, die Viennale. Werden Sie sich einige Filme ansehen?
Ich hoffe. Meine Favoriten sind immer die Frühstücksfilme. Die liebe ich, weil ich ein Morgenmensch bin. Das ist schon mal ein Nachteil bei Filmfestivals. Meistens schaffe ich zwischen drei und fünf Filmen. Und da muss ich zumeist ganz pragmatisch aussuchen, wann ich Zeit habe oder welche Karten ich noch bekomme. (© Viennale)

uni:view: Welche Filme werden ausgezeichnet?
Flicker: Im Verhältnis zu ihrer niedrigen Repräsentation in den Festivals gewinnen Frauen verhältnismäßig mehr Preise, nämlich 44 Prozent der Jurypreise und 46 Prozent der Publikumspreise. Vereinfacht gesagt: Die Filme von Regisseurinnen sind erfolgreiche Filme und es lohnt sich auch aus einer ökonomischen Perspektive heraus die Filmförderung viel stärker in diese Richtung zu setzen. Aber Film ist nicht nur eine Ware, es ist Kunst, daher darf man Filmförderung nicht nur an möglichem Erfolg bemessen.

uni:view: Was kann der Film Gender Report bewirken?
Flicker: Die Aufgabe von Berichten dieser Art ist es, Daten aufzuzeigen, Bewusstsein zu schaffen und über die Hard Facts der Zahlen die Diskussion wirklich in Gang zu bringen. Meiner Meinung nach muss die Maßnahme lauten: Quoten. Das ist die Sprache, die verstanden wird, und in unterschiedlichen Kontexten sieht man, dass sie international auch zu Veränderungen führt.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (td)

Der Österreichischer Film Gender Report 2012-2016 wurde vom Österreichischen Filminstitut (ÖFI) und dem Bundeskanzleramt, Sektion II Kunst und Kultur in Auftrag gegeben. Die wissenschaftliche Umsetzung leitete Eva Flicker vom Institut für Soziologie der Universität Wien. Die zentralen Ergebnisse der Studie wurden im Mai 2018 präsentiert. Die vollständige Studie wird 2019 veröffentlicht.