Krisenkommunikation

Sprache in Zeiten von Corona

25. März 2020 Gastbeitrag von Barbara Soukup
Sprache ist zwar keine Medizin gegen COVID-19, aber sonst wirkt sie im Leben überall: Sprache wirkt, weil wir durch Sprache wirken. In ihrem Gastbeitrag erklärt die Germanistin Barbara Soukup, warum Sprache auch Hamsterkäufe und Rassismus propagieren kann.
Sprache wirkt, weil wir durch Sprache wirken – auch in Krisenzeiten. © Pixabay/Mohamed Hassan

Meine Eltern erzählen gerne folgende Anekdote aus den 1970ern: Es ist Ölkrise. Die Menschen sind im Hinblick auf die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln verunsichert. Der Handelsminister nimmt Stellung: "Keine Sorge: Es gibt keine Zuckerknappheit." Am nächsten Tag gibt es dann prompt eine Zuckerknappheit in Österreich – aufgrund von Hamsterkäufen nach dieser Radiodurchsage. 

Diese Anekdote illustriert sehr schön einen der Grundsätze der Kommunikation: das "Cooperative Principle". Wir gehen immer davon aus, dass etwas, das jemand sagt, für die gegebene Situation irgendwie relevant ist. Das ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein Automatismus. Wir suchen ein Szenario, in dem sich alles sinnvoll fügt. Würde der Minister "einfach so" sagen, dass es keine Zuckerknappheit gibt? Es muss tatsächlich einen Grund zur Panik geben! Schnell, Zucker kaufen! Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, dass offizielle Stellen mit der Öffentlichkeit klar und deutlich kommunizieren. Gerade in Krisenzeiten wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt – und je weniger Interpretationsspielraum, desto weniger wilde Fantasien.

A virus by any other name ... (frei nach Shakespeare)

Am 11. Februar erhielt die durch den Virus ausgelöste Krankeit von der WHO den offiziellen Namen "Coronavirus Disease (COVID-19)". Der Virus selbst wurde "SARS-CoV-2" genannt. Die WHO bevorzugt die Bezeichnung "the virus responsible for COVID-19", um jegliche Panik zu vermeiden, die der Name "SARS" in Erinnerung an die Epidemie 2003 auslösen könnte. Überhaupt gibt es seit 2015 "Best Practice"-Regelungen der WHO für die Benennung neuer Infektionskrankheiten, die "jegliche Diskriminierung vermeiden sollen".

Dass es einen Bedarf an einem "neutralen" Namen gab, wird allein dadurch deutlich, dass insbesondere in den USA rechtskonservative Politiker*innen auf dem Namen "Wuhan virus" oder "Chinese virus" beharren, was wiederum von liberalen Kräften als Zeichen von latentem Rassismus und gefährlicher Realitätsverleugnung der gegenwärtigen Ansteckungspfade angeprangert wird.

Sprache ist nie neutral, und ein Name schon gar nicht. Das ist das Credo der Political Correctness, die sich dabei auf solide wissenschaftliche Studien und Fakten berufen kann: Nein, Frauen fühlen sich nicht mitgemeint beim generischen Maskulinum, und nein, es ist nicht egal, ob man das "Schlitzauge" im Scherz so bezeichnet – es kann für Betroffene vielmehr eine "Mikroaggression" darstellen, die nachweislich psychologische Schäden zufügt. Sprache wirkt – auch verletzend.

Umfrage zur Aussprache von "Quarantäne"

Eine  2021 ausgewertete Umfrage von Barbara Soukup zur Frage: "Wie sprechen Sie das Wort Quarantäne aus?" kam übrigens zu folgenden Ergebnissen: Zwei Drittel der Befragten bevorzugen die Variante "Karantäne" im Gegensatz zu "Kwarantäne". Befragt wurden 2151 Personen zwischen 18 und 80 mit Wohnsitz in Österreich. Und: Der Prozentanteil derer, die die Aussprache "Kwarantäne" angeben, steigt mit dem Alter.

 

Die Sache mit der Quarantäne

Wie heißt es jetzt eigentlich richtig: der oder das Virus? Vielleicht hat Sie mein Maskulinum schon gestört – aber das österreichische Wörterbuch und der Duden lassen tatsächlich beides zu.

Und wie sagt man jetzt korrekt: "Karantäne" oder "Kwarantäne"? Der Duden sagt: "Ka-", das österreichische Wörterbuch lässt auch hier beides zu. Aber das sind eigentlich bloß mythisch-verklärte Handlungsvorschläge, die uns als Sprachpolizei dienen: Symptome einer Ideologie, die Sprache gerne standardisiert sieht und die standardisierte Form zum Maß aller Dinge erhebt. Diese Erhebung wirkt wieder in die Gesellschaft: Menschen, die so sprechen oder schreiben, finden mehr Anerkennung. Die Folgen findet man dann in der entsprechenden Bevorzugung bei Einstellungsgesprächen, Wohnungsvermietung, Gerichtsverhandlungen. Sprache wirkt als Türsteherin.

Die Sprachwissenschaft darf nicht mit einer Sprachpolizei verwechselt werden: Sie schreibt nicht vor, wie man etwas zu sagen oder schreiben hat, sondern beobachtet und analysiert, wie sich die Menschen tatsächlich ausdrücken. Also: Nicht die Sprachwissenschaft sagt Ihnen, wie Sie Quarantäne auszusprechen haben, es ist viel interessanter, wie Sie es selbst tatsächlich tun!

Das ist auch das Ende unserer kleinen Exkursion. Aber das Schöne ist: Sprache ist überall, und man kann sich, gerade in Zeiten wie diesen, endlos damit beschäftigen. Machen Sie mit – werden Sie Hobby-Sprachwissenschafter*in. Wer sagt zum Beispiel im Fernsehen was zu wem und wie oft? Und wie wirkt das?

© Soukup/Füsselberger
© Soukup/Füsselberger
Barbara Soukup ist Assistenzprofessorin für Soziolinguistik des Deutschen in Österreich am Institut für Germanistik der Universität Wien und Elise-Richter-Research Fellow des FWF für das Forschungsprojekt "Englisch in der Wiener Sprachlandschaft".

Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem Spracheinstellungen, Sprachlandschaften, soziolinguistische Variation und Perzeption sowie interaktionale Diskursanalyse.