Veronika Wöhrer: "Unerwartet viele positive Auswirkungen"

2016 erhielt Veronika Wöhrer ein Marie Jahoda-Stipendium der Universität Wien, das hochqualifizierte Wissenschafterinnen beim akademischen Wiedereinstieg fördert. Heute ist sie Professorin am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Im Interview erzählt sie über ihren Werdegang.

uni:view: Warum haben Sie sich für das Studium der Soziologie sowie ausgewählte Fächer – Politikwissenschaft, Philosophie, Frauenforschung und Slawistik – entschieden?
Veronika Wöhrer: Ich habe mich schon als Jugendliche für Politik und Gesellschaft interessiert und als ich mich entschieden habe zu studieren, sollte das daher eine Sozialwissenschaft sein. Die Bausteine der Fächerkombination habe ich mir nach eigenem Interesse zusammengesucht. Ich habe meine Wahl auf jeden Fall nie bereut und nie uminskribiert. Auch wenn ich danach auf unterschiedlichen Instituten und zu unterschiedlichen Themen gearbeitet habe, war für mich die Identifikation als Soziologin immer klar.

uni:view: Was war Ihre größte Herausforderung auf Ihrem bisherigen Weg?
Wöhrer: Es gab für mich eigentlich zwei große Herausforderungen – und zahlreiche kleinere. Eine große Herausforderung waren die vielen befristeten (Teilzeit-)Verträge, die ich in der Wissenschaft hatte. Die mangelnde Perspektive und Planbarkeit nicht nur einer konkreten Stelle, sondern oftmals auch des Lebensmittelpunktes – z.B. kann ich in Wien bleiben? – war schwierig und lässt sich mit anderen Zielen im Leben kaum vereinbaren. Die Professur, die ich seit September 2020 habe, ist mein erster unbefristeter Vertrag.

Die andere große Herausforderung war und ist, Kinder und Wissenschaft zu vereinbaren. Dabei finde ich nicht nur die langen Arbeitszeiten, sondern vor allem das Pendeln zwischen Lebens- und Arbeitsort besonders schwierig. Ich hatte seit der Geburt meiner Kinder zwei Stellen, bei denen ich in andere Städte bzw. Länder gependelt bin und in beiden Fällen war es organisatorisch und emotional sehr herausfordernd, an verschiedenen Orten zu leben und zu arbeiten.

Marie Jahoda-Stipendium 2021  
Mit dem Marie Jahoda-Stipendienprogramm fördert die Universität Wien hochqualifizierte Wissenschafterinnen auf Postdoc-Ebene, die ihre wissenschaftliche Laufbahn aufgrund von Pflege- und/oder Betreuungsaufgaben im familiären bzw. nahen Umfeld unterbrochen oder reduziert haben. Im Wintersemester 2020/21 werden wieder bis zu zehn Stipendien à 30.000 Euro aus den Mitteln des Rektorats ausgeschrieben. Bewerbungen sind ab 1. November bis 13. Dezember 2020 möglich. (© derknopfdruecker.com)

uni:view: Was ist Ihrer Meinung nach das Hauptproblem beim Wiedereinstieg in den Wissenschaftsbetrieb nach der Karenz?
Wöhrer: Die Zeit wird für alles viel knapper: Die Arbeit muss schneller und effizienter gemacht werden, aber auch für die Kinder ist oft zu wenig Zeit. In der Wissenschaft bedauern viele, durch die Kinder weniger Zeit für das wissenschaftliche Arbeiten zu haben – zumindest ist dieser Aspekt der, der die Gespräche am Arbeitsplatz dominiert. Das kenne ich gut und erlebe ich auch oft so, aber für mich ist es auch umgekehrt: Ich hätte auch oft gerne mehr Zeit für meine Familie und es ist mir bis heute wichtig, Wochenenden und Urlaube soweit es geht arbeitsfrei zu halten.

Wie schwer oder wie einfach es ist Familie und Wissenschaft zu vereinbaren, hängt aber auch von den Regelungen und dem Vorgehen in einzelnen Instituten oder Arbeitsgruppen ab. Wenn wichtige Besprechungen nicht am späten Nachmittag und Abend angesetzt werden, wenn es Verständnis für ein Fehlen auf Grund kranker Kinder oder kranker Babysitter gibt, wenn Arbeitszeit relativ frei eingeteilt werden kann, dann geht die Arbeit für Forscher*innen mit Betreuungspflichten deutlich leichter. Prinzipiell ist Wissenschaft ja eine Art von Arbeit, in der relativ viel zeitlich flexibel machbar ist. Ich hatte auch ein paar Mal das Glück an Instituten zu arbeiten, wo die Mehrheit der Wissenschaftler*innen Kinder hat. Dort war es bedeutend einfacher, weil viele diese Probleme kennen und sich auch gegenseitig unterstützen.

20 Jahre Abteilung Gleichstellung und Diversität
Im Jahr 2020 feiern die Abteilung Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien das 20jährige Bestehen. Zu diesem Anlass konnte Kastalia für eine Interviewreihe zum Thema Gleichstellung gewonnen werden. Der erste Teil ist Ende Oktober 2020 erschienen und bis Juni 2021 folgen regelmäßig weitere Beiträge. Zum Interview mit Kastalia 
(© derknopfdruecker.com)

uni:view: Inwieweit hat Sie das Marie Jahoda-Stipendium der Universität Wien auf Ihrem Karriereweg unterstützt?
Wöhrer: Für mich hatte das Stipendium unerwartet viele positive Auswirkungen. Ich dachte, dass die Anbindung an das Institut, an dem ich vor Jahren studiert, an dem ich danach aber nie gearbeitet habe, interessant sei und ich habe mich gefreut, die Personen vor Ort (wieder) zu sehen. Durch ein zum Zeitpunkt meines Stipendiums am Institut gerade in Planung befindliches Forschungsprojekt, bei dem ich begonnen habe mitzumachen, hat sich dann aber eine sehr intensive Zusammenarbeit mit vielen Forscher*innen am Institut ergeben, die dazu geführt hat, dass ich dann auch nach einer befristeten Professur an der Universität Graz wieder ans Institut für Soziologie zurückkommen konnte. Ich arbeite immer noch mit den betreffenden Forscher*innen zusammen und freue mich über gemeinsame Publikationen, Vorträge und Auswertungen.

uni:view: Wie sollen Frauen in der Wissenschaft gefördert werden?
Wöhrer: Auf jeden Fall sollten Frauen – solange sie auf den höheren Ebenen unterrepräsentiert sind – besonders gefördert werden und bei gleicher Qualifikation vorgezogen werden; was derzeit ja auch die offizielle Politik der Uni Wien ist.

Ein wichtiger Punkt sind Betreuungspflichten, die bei Frauen oftmals vermutet werden, manchmal auch wirklich gegeben sind. Meiner Erfahrung nach wirkt sich schon die Vermutung, dass Frauen von Betreuungspflichten betroffen sein könnten, negativ auf Frauen in Bewerbungsverfahren aus. Obwohl diese Fragen gar nicht gestellt werden dürfen, sind nicht nur mir, sondern auch vielen meiner Kolleginnen Fragen danach gestellt worden – an unterschiedlichen Universitäten und in unterschiedlichen Ländern.

Eine weitere notwendige Änderung wäre die Option auf längerfristige oder unbefristete Stellen. Dies wäre nicht nur eine Verbesserung für Frauen, sondern insgesamt für junge Wissenschafter*innen. Mit dem Tenure-Track-Modell ist das schon etwas besser geworden, aber Tenure-Track-Stellen zu bekommen ist ähnlich schwierig und kompetitiv, wie eine Professur zu bekommen.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (red)

Veronika Wöhrer ist seit September 2020 Professorin für Bildung und Ungleichheit an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u.a. der intersektionale Zugang zu Bildung und Ungleichheit in Schule, Hochschule und außerschulischen Bildungsinstitutionen, Gender Studies sowie partizipative Forschung. (© privat)

Erfolgreiche Stipendiatinnen des Marie Jahoda-Stipendiums
Hier finden Sie eine Auswahl an Wissenschafterinnen, die das Marie Jahoda-Stipendium erhalten haben und heute erfolgreich im Wissenschaftsbetrieb arbeiten: Alexandra Schwell, Universitätsprofessorin an der Universität Klagenfurt; Sabine Krist, Lehrstuhl für Medizinische Chemie an der Sigmund Freud Privat Universität Wien; Marion Garaus, Assoz. Professorin an der Modul Privatuniversität Wien; Irene Bianchi, Schrödinger Fellow; Mia Bengtsson, Senior Scientist an der Universität Greifswald und Barbara Zdrazil, Principal Investigator (FWF-Projekt) an der Universität Wien.