Die Krise des Wissens verstehen und überwinden
14. August 2023Cluster of Excellence "Knowledge in Crisis / Wissen in der Krise"
Wissen in der Krise: Unter diesem Titel befasst sich ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Tim Crane von der Central European University (CEU) mit den Bedrohungen von Wissensansprüchen durch rasant fortschreitende technologische Entwicklungen. Gesucht werden neue Wege für das Wissen im 21. Jahrhundert. Im Koordinationsteam des Forschungsnetzwerks, das im Rahmen der Exzellenzinitiative excellent=austria gefördert wird, sind seitens der Universität Wien die Philosoph*innen Paulina Sliwa, Bernhard Schmid und Max Kölbel vertreten.
Seit Bestehen des Internet werden wir von einer Informationsflut überwältigt, und es ist nicht einfach, die Fülle an Informationen zu überblicken. "Wir stehen heute vor einer Krise des Wissens. Der technologische Fortschritt bedroht unsere Wissensansprüche, und die Informationsflut im Internet fordert unsere Fähigkeit, Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden, heraus", erklärt Paulina Sliwa, Professorin an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Uni Wien und Mitglied im Board of Directors des neuen Clusters of Excellence "Knowledge in Crisis / Wissen in der Krise", das im Herbst 2023 startet. Es handele sich also sowohl um eine theoretische als auch eine praktische Krise, die sich auf unsere Lebensweise und unser grundlegendes Verständnis der Welt auswirkt.
"Diese Krise wirft tiefgehende philosophische Fragen auf: über Wissen, Wahrheit, Wissenschaft, Ethik und Politik und schließlich auch über unsere Beziehung zur Realität selbst", so Sliwa. Das neue, interuniversitäre Exzellenzcluster, an dem neben der Central European University und der Universität Wien weiters die Universitäten Graz und Salzburg beteiligt sind, will diese Bedrängnis des Wissens in all ihren Facetten verstehen, um strategisch dagegen angehen zu können, sowie "unsere Einstellung zum Wissen neu denken".
Mit Fragen die Wissenskrise meistern
Dazu stellen die Wissenschafter*innen folgende philosophische Fragen: Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Wahrheit und Wissen? Was macht eine Person zu eine*r Wissenden, und wie wird Wissen geschaffen, bewahrt, geteilt? Hat, und wenn ja warum, die Wissenschaft hier besondere Autorität?
Aus diesen theoretischen Fragen ergeben sich für die Forscher*innen auch praktische Herausforderungen: "Was können wir als Philosophinnen und Philosophen tun, um die Krise des Wissens zu überwinden? Wie gelingt es uns, die stetige Aushöhlung des Wissens in unserer Gesellschaft zu stoppen? Wie stellen wir das Vertrauen in die Wissenschaft wieder her? Welchen Stellenwert sollten wissenschaftliche Erkenntnisse in unserer demokratischen Gesellschaft haben?", nennt Paulina Sliwa einige der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang.
In einer Welt, in der jeder seine "eigenen Fakten" hat – darüber, wie die Welt funktioniert, was in der Geschichte passiert ist – ist ein demokratisches Miteinander nicht mehr möglich. Paulina Sliwa
Weil die Krise des Wissens ein gesellschaftliches Phänomen ist, das uns alle berührt, sei es umso wichtiger, sie umfassend zu untersuchen: "Wir alle sind betroffen, wenn das Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnis verloren geht und die Idee von Expertenwissen in Frage gestellt wird", betont die Philosophin.
Was ist die Exzellenzinitiative?
Mit der Exzellenzinitiative excellent=austria schlägt Österreich ein neues Kapitel in der Grundlagenforschung auf: Fünf Exzellenzcluster werden ab Sommer bzw. Herbst 2023 an elf Standorten kooperative Projekte in noch nie dagewesener Dimension starten. Forschende erhalten die Möglichkeit, herausragende Forschungsleistungen auf einem Gebiet oder auch interdisziplinär zu erreichen und dieses Forschungsfeld auf internationalem Top-Niveau langfristig in Österreich zu verankern. Die Universität Wien ist an allen fünf neu bewilligten Clusters beteiligt.
Eine neue Dimension der Vernetzung
Im Cluster arbeiten Wissenschafter*innen der Universitäten Central European University, Wien, Graz und Salzburg zusammen. "Diese Kooperationsstruktur ist besonders spannend: Das Exzellenzcluster ermöglicht uns, verschiedene philosophische Gebiete, die ansonsten unabhängig voneinander arbeiten, zusammenzubringen. Unser Team umfasst Kolleg*innen, die in den Bereichen Erkenntnistheorie, Philosophie des Geistes, Ethik und politische Philosophie, Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie, Technikphilosophie und Bildungsphilosophie forschen. Gleichzeitig vernetzt es die österreichische Philosophie auf eine noch nie dagewesene Weise", freut sich Sliwa.
Neben Paulina Sliwa vertreten Hans Bernhard Schmid und Max Kölbel vom Institut für Philosophie die Universität Wien im Koordinationsteam des neuen Clusters (Board of Directors); geleitet wird das Forschungsnetzwerk von Tim Crane von der CEU. Weitere Wissenschafter*innen der Uni Wien sind als Key Researcher am Großprojekt beteiligt: Mark Coeckelbergh, Herwig Grimm, Angela Kallhoff, Tarja Knuuttila, Franz-Markus Peschl, Benjamin Schnieder und Felix Pinkert.
Board of Directors und beteiligte Forschungsstätten
- Tim Crane (Director of Research, Central European University)
- Marian David (Universität Graz)
- Katalin Farkas (Central European University)
- Max Kölbel (Universität Wien)
- Hans Bernhard Schmid (Universität Wien)
- Paulina Sliwa (Universität Wien)
- Charlotte Werndl (Universität Salzburg)
FWF-Fördervolumen: 8,9 Millionen Euro
Über Paulina Sliwa
Paulina Sliwa hat seit September 2021 die Professur für Moralphilosophie und Politische Philosophie an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien inne. Zu ihren Karrierestationen zählen u.a. das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die University of Cambridge. Sie forscht schwerpunktmäßig in den Bereichen Moralpsychologie, Moralepistemologie und feministische Philosophie und versucht, die Praktiken zu verstehen, die im Zentrum unseres moralischen Lebens stehen. Mehr dazu im Podcast "Es gibt kein Google für Moral" (Rudolphina, Jänner 2022)