Florale Zeitreise: Blumen waren vor 100 Millionen Jahren vielfältiger als heute

Grafik von drei fossiblen Blüten in Schwarz-Weiß und drei rezenten Gattungen in Farbe

Angiospermen-Blüten erreichten ihre größte morphologische Vielfalt früh in ihrer Evolutionsgeschichte

Ein internationales Team um Botaniker*innen der Universität Wien hat die morphologische Vielfalt fossiler Blüten analysiert und mit der Vielfalt lebender Arten verglichen. Das spannende Ergebnis: Blühende Pflanzen hatten bereits kurz nach ihrer Entstehung in der Kreidezeit eine große Anzahl verschiedener Blütentypen hervorgebracht und diese früheste Blütenvielfalt war größer als die heutige. Die Studie wurde soeben in der renommierten Fachzeitschrift New Phytologist veröffentlicht.

Mit mindestens 300.000 Arten sind die Blütenpflanzen (Angiospermen) die bei weitem größte Gruppe der heute lebenden Pflanzen. Sie traten erstmals vor mindestens 140 Millionen Jahren auf, als die Dinosaurier die Erde bewohnten. In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele fossile Blüten aus verschiedenen geologischen Zeiträumen entdeckt und beschrieben, die einen Einblick in die Vielfalt der Vergangenheit geben. Doch wie verhält sich diese vergangene Vielfalt im Vergleich zur heutigen? Und – wie hat sich die Morphologie der Blüten im Laufe der Zeit verändert? Ein internationales Forscher*innenteam der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, der Botanischen Gärten von Sydney, Australien, und der Universität Wien, Österreich, hat sich genau mit diesen Fragen beschäftigt – und Antworten gefunden.

Mehr Vielfalt – weniger Arten

Für diese Studie untersuchten die Wissenschafter*innen 30 Blütenmerkmale bei 1.201 lebenden und 121 fossilen Angiospermen, um die Blütenvielfalt zu messen und die Muster der Blütenevolution über geologische Zeiträume und über die verschiedenen Abstammungslinien hinweg zu untersuchen. "Interessanterweise stellte sich heraus, dass sich die Blüten der frühen Kreidezeit im Durchschnitt stärker voneinander unterschieden als die heutigen Blüten, obwohl es heute viel mehr Arten von Blütenpflanzen auf der Erde gibt", erklärt Marion Chartier vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. "Unsere Ergebnisse sind faszinierend, weil wir nur eine relativ kleine Anzahl von Blüten aus der frühen Kreidezeit kennen, aber diese kleine Anzahl weist eine größere Variabilität auf als tausend lebende Arten, die für die Studie untersucht wurden", fügt Andrea López, Mitautorin von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, hinzu.

Ein ähnliches Evolutionsmuster mit einem hohen Maß an morphologischer Vielfalt zu einem Zeitpunkt, als die Zahl der Arten relativ gering war, ist auch von mehreren Tiergruppen bekannt (z. B. von Dinosauriern oder Fischen). "Bei den Blütenpflanzen könnte eine mögliche Erklärung für dieses Muster sein, dass die Organisation der Blüten zu Beginn der Entwicklung der Gruppe flexibler war und sich neue Blütentypen leichter entwickeln konnten. Diese Flexibilität könnte es den Blütenpflanzen ermöglicht haben, sich innerhalb weniger Millionen Jahre nach ihrer Entstehung an die verschiedenen Tiere anzupassen, die ihre Blüten bestäubten und ihre Früchte verbreiteten", erklärt Dr. Maria von Balthazar vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien.

Blütentypen – Die Evolution weiß es am besten

Die Zusammenstellung des umfangreichen Datensatzes von Blütenmerkmalen, der für diese Studie erforderlich war, wurde durch das eFLOWER-Projekt ermöglicht, das von Hervé Sauquet vom Botanischen Garten in Sydney und Jürg Schönenberger von der Universität Wien koordiniert wird. "Unsere Analysen zeigen deutlich, dass die morphologische Vielfalt einer Untersuchungsgruppe nicht unbedingt mit dem Artenreichtum derselben Gruppe korreliert. Tatsächlich ist es einigen der artenreichsten Gruppen von Blütenpflanzen, wie etwa den Orchideen und den Korbblütlern, gelungen, Tausende von Arten hervorzubringen und dabei die gleiche Blütenorganisation beizubehalten", sagt Schönenberger.

Doch die frühe Vielfalt an Blütenmorphologien war nicht die einzige faszinierende Erkenntnis. Die Forscher*innen zeigten auch, dass bestimmte Kombinationen von Merkmalen theoretisch möglich waren, aber offenbar nie von der Evolution hervorgebracht wurden. Gleichzeitig sind einige besonders erfolgreiche Blütentypen mehrmals unabhängig voneinander entstanden. "Wir sind begeistert von diesen Ergebnissen", so Dr. Susana Magallón von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. "Unsere Studie eröffnet eine neue Perspektive und zeigt deutlich, dass Fossilien für das Verständnis der Blütenevolution entscheidend sind."

Originalpublikation: 

Andrea M. López-Martínez, Susana Magallón, Maria von Balthazar, Jürg Schönenberger, Hervé Sauquet and Marion Chartier: Angiosperm flowers reached their highest morphological diversity early in their evolutionary history. In New Phytologist, 2023.
DOI: 10.1111/nph.19389

Abbildung:

Abb. 1: In Schwarz-Weiß: drei fossile Blüten aus der frühen Kreidezeit (Glandulocalyx, Normanthus, Platydiscus). In Farbe: vier rezente Gattungen (Cymbidium, Primula, Hyacinthoides und Passiflora). C: Julia Asenbaum

Wissenschaftlicher Kontakt

Dr. Marion Chartier

Department für Botanik und Biodiversitätsforschung
Universität Wien
1030 - Wien, Rennweg 14
+43 (0)1 4277-540 87
marion.chartier@univie.ac.at

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