Stärken von sozioökonomisch benachteiligten Studierenden anerkennen bringt bessere Noten
21. Oktober 2024Langzeit-Experiment zeigt, dass gesellschaftliche Narrative Einfluss auf Leistungen haben
Die Psychologin Christina Bauer von der Universität Wien und ihr internationales Team zeigen in ihrer neuen Studie, welchen Einfluss Narrative auf das Selbstbild von Studierenden und deren Leistung haben können. Die Wissenschafter*innen haben sozioökonomisch schwächer gestellten Studierenden umgekehrte Narrative präsentiert: Statt sie als schwach darzustellen, haben sie deren Stärken hervorgehoben. So konnten sie zeigen, dass dadurch das Selbstbewusstsein jener Studierenden gehoben werden konnte und sie sogar bessere Noten schrieben. Die Studie wurde aktuell im Fachmagazin Social Psychological and Personality Science publiziert.
Sozioökonomisch benachteiligte Menschen zeigen oft viel Stärke im Umgang mit ihren Herausforderungen – so etwa auch Studierende aus klassischen Arbeiter-Milieus, die Studium und Arbeit aus finanziellen Gründen verbinden müssen und ohne akademischen Background in der Familie ihren Weg durch die Uni finden müssen. Oft geraten diese Stärken in Vergessenheit, wenn über sozial benachteiligte Menschen gesprochen wird. Benachteiligte Menschen, werden stattdessen als "sozial schwach" bezeichnet – ein gewolltes Narrativ, denn tatsächlich ist das soziale System schwach, weil es nicht in der Lage ist, adäquat zu unterstützen, nicht aber die Menschen. "Wir wissen schon aus früheren Studien, dass benachteiligte Menschen oft weniger Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben als andere. Jetzt haben wir uns gezielt die Effekte von unterschiedlichen Narrativen über ‚soziale Schwäche‘ angesehen", so Bauer.
Um die Wirkung von solchen Narrativen zu untersuchen, haben Bauer und Kolleg*innen von der Uni Wien, der Stanford University und Northwestern University Defizit-Narrative in Experimenten umgedreht: Statt benachteiligte Personen als schwach darzustellen, haben Forscher*innen einen Text entwickelt, der die oft vergessenen Stärken von benachteiligten Personen hervorhebt: Darin werden etwa das Durchhaltevermögen, Problemlösefähigkeiten und Stärke im Umgang mit Herausforderungen hervorgehoben. Dieser Text wurde dann sozial benachteiligten US-amerikanischen Studierenden vorgelegt. Jene Studierenden wurden dazu ermutigt, ihre eigenen Stärken zu reflektieren, die sie im Umgang mit erlebten Herausforderungen gezeigt haben. Im Vergleich zu einer zufällig zugewiesenen Kontrollgruppe zeigte sich, dass diese einfache Übung das Selbstbewusstsein von benachteiligten Studierenden erhöhen konnte.
In einem zweiten Langzeit-Experiment an einer US-amerikanischen Universität konnten die Wissenschafter*innen zeigen, dass dieses verbesserte Selbstbewusstsein auch Konsequenzen für die Leistungsfähigkeit der Studierenden hatte: Studierende, die über die Stärken nachdachten, die sie durch ihren sozioökonomischen Hintergrund erworben hatten, zeigten über ein ganzes Semester hinweg bessere Noten in ihrem Studium.
In bisher unveröffentlichten Studien mit deutschen und österreichischen Studierenden findet Bauer ähnliche Ergebnisse. Die Herausforderungen, die sozial benachteiligte Studierende in den USA und Europa erleben seien zwar teils unterschiedlich, die stigmatisierenden Narrative, die Studierende als schwach darstellen, aber durchaus ähnlich, so Bauer.
"Sich selbst als stark statt schwach zu sehen, ist für jede*n von uns wichtig, um an uns glauben und unsere Leistung zeigen zu können. Wir müssen verstehen, dass Menschen, die Benachteiligungen ausgesetzt sind, nicht schwach sind, und sie sollten dementsprechend auch nicht so dargestellt werden. Solche Narrative können stigmatisierend wirken und so ungewollt weiter zu Benachteiligung beitragen. Außerdem lenken sie von den eigentlichen Problemen mit unseren sozialen Systemen ab", so Bauer. "Stattdessen sollten wir die Stärken von sozial benachteiligten Personen besser anerkennen und gleichzeitig klar die Probleme mit unseren sozialen Systemen benennen."
Originalpublikation:
Bauer, C.A., Walton, G., Job, V., & Stephens, N.
The Strengths of People in Low-SES Positions: An Identity-Reframing Intervention Improves Low-SES Students’ Achievement Over One Semester. Social Psychological and Personality Science.
DOI: 10.1177/19485506241284806
Wissenschaftlicher Kontakt
Dr. Christina Bauer
Institut für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpsychologie1010 - Wien, Renngasse 6-8
+43-1-4277-47322
+49 1604377838
christina.bauer@univie.ac.at
Rückfragehinweis
Theresa Bittermann
Media Relations, Universität Wien1010 - Wien, Universitätsring 1
+43-1-4277-17541
theresa.bittermann@univie.ac.at