Vielseitige Enamide mit Potenzial für die Medikamentenentwicklung

Selektive Wasserstoff-Eliminierung ermöglicht Synthese flexibler Bausteine

Ein Forschungsteam um Nuno Maulide von der Fakultät für Chemie hat eine Methode entwickelt, die eine schnelle und direkte Umwandlung unreaktiver Strukturen in flexible chemische Bauelemente ermöglicht. Mit Hilfe der intrinsischen Reaktivität von Carbonsäureamiden generieren die Wissenschafter*innen wertvolle Bausteine – sogenannte Enamide. Dieses Verfahren öffnet der Medikamentenentwicklung Tür und Tor. Die Studie erscheint im Journal of the American Chemical Society.

Amide sind allgegenwärtig, so zum Beispiel in Proteinen und in bekannten Arzneimitteln wie etwa Penicillin. "Die Modifizierung von Amiden hat für die Entwicklung neuer, bioaktiver Substanzen großes Potential. Nach etlichen Jahren ist es uns nun erstmals gelungen, Amide auf Seite des Stickstoffs zu funktionalisieren", erklärt Nuno Maulide, Vorstand des Instituts für organische Chemie. "Die Entdeckung dieser Reaktivität war hierbei ein etwas glücklicher Zufall, wie so oft in der Chemie", verrät Co-Autor Martin Berger.

Anwendung in der Synthese von Arzneimittelanaloga
"Der Trick der neu entwickelten Methode basiert hierbei auf einem geschickten Zusammenspiel einer eher ungewöhnlichen Reagenzkombination bei sehr niedrigen Temperaturen, was eine minutenschnelle Oxidation des Amids bewirkt", erläutert Philipp Spieß, Erstautor der Publikation. "Einfach gesagt wird bei diesem Prozess formal Wasserstoff, H2, abstrahiert." Diese neue Methode ermöglicht zum ersten Mal einen direkten und breit anwendbaren Zugang zu sogenannten Enamiden. Zudem sind die Reaktionsbedingungen – allen voran die tiefen Temperaturen – optimal geeignet, um komplexe Strukturen wie Natur- und Arzneistoffe zu tolerieren, wie die Autoren anhand der Transformation von Dopaminmetaboliten sowie Urikostatika- und Antidepressiva-Analogen zeigen.

"Der Unterschied auf dem Papier sieht so simpel aus, aber der Unterschied im Reagenzkolben ist gigantisch. Aus anfangs unreaktiven Amiden haben wir reaktivere und wertvollere Bausteine geschaffen. Die neu gewonnene Doppelbedingung erlaubt unzählige Modifizierungsreaktionen", erzählt Co-Autor Daniel Kaiser. Exemplarisch zeigten die Chemiker diese Variabilität der erschlossenen Enamid-Stoffklasse anhand verschiedener breitgefächerter Reaktionen, was die Erschließung komplexer Gerüststrukturen ermöglichte.

Quantenmechanische Effekte spielen eine Rolle

Um die ungewöhnliche Reaktivität bei -94 °C weiter zu erforschen, untersuchte die Forschungsgruppe die Eigenschaften der Reaktion genauer und gewann dabei erstaunliche Erkenntnisse. Quantenmechanische Effekte, so genanntes Tunneling, scheinen nach der Untersuchung isotopenmarkierter Startmaterialien eine Rolle in der Reaktion zu spielen und unterstreichen, dass es sich um einen ungewöhnlichen Prozess handelt.

Mit den so gewonnen Erkenntnissen erhofft sich die Gruppe in Zukunft weitere Möglichkeiten der Amid-Funktionalisierung erschließen zu können. "Wir sind überzeugt, dass dies erst der Anfang ist", schließt Maulide.

Publikation im Journal of the American Chemical Society:
Philipp Spieß, Martin Berger, Daniel Kaiser, Nuno Maulide: Direct Synthesis of Enamides via Electrophilic Activation of Amides.  
DOI: 10.1021/jacs.1c04363

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