Die Bildungslandschaft in Südafrika

Das Bildungssystem Südafrikas ist von der kolonialen Vergangenheit des Landes und dem jahrzehntelang praktizierten System der Apartheid geprägt. Der gebürtige Südafrikaner James Alfred Loader, Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, spricht im Interview über das Hochschulsystem des Landes, Englisch als "lingua franca" in Schulen und Universitäten sowie die Altlasten der Apartheid.

Redaktion: Bevor Sie nach Wien kamen, hatten Sie in an zwei südafrikanischen Universitäten Professuren inne. Was sind die größten Unterschiede zwischen dem österreichischen und dem südafrikanischen universitären System?
James Alfred Loader: Österreich blickt auf eine sehr lange akademische Tradition zurück. Das ist in Südafrika anders: Die ersten Universitäten wurden Ende des 19. Jahrhunderts gegründet. Aufgrund der kolonialen Vergangenheit des Landes waren sie von Anfang an von einer angelsächsischen Bachelor/Master-Architektur geprägt. Im direkten Vergleich sind diese Titel aber irreführend. In Südafrika studiert man beispielsweise rund sechs bis sieben Jahre Medizin und schließt dann mit einem Bachelor ab. Es gibt daher in bestimmten Studienrichtungen Bachelortitel, die dem österreichischen Doktorat entsprechen.

Redaktion: Wie ist die Reputation der Universitäten in Südafrika?

Loader: In Südafrika gibt es sehr gute, aber auch weniger renommierte Universitäten. Die Universität Pretoria hat einen guten Ruf, insbesondere in der Veterinärmedizin. Für eine hohe Qualität des Medizin-Studiums ist die Universität Witwatersrand in Johannesburg bekannt. Auch die Universität Stellenbosch genießt eine hohe Reputation. Es sind definitiv bestimmte Bereiche, in denen die genannten Universitäten im Bereich der Weltspitze sind. Dasselbe gilt auch für Europa: Selbst in Cambridge, wo ich studiert habe, gibt es manche Fächer und Disziplinen, die nicht besonders herausstechen. Deshalb halte ich auch nicht viel von Rankings, in denen von "Spitzenuniversitäten" die Rede ist. Während der Apartheid standen die besten Universitäten nur Weißen offen. Einige weitere waren wiederum nur für Personen, die nicht als "weiß" klassifiziert sind. Einzig die Universität von Südafrika - sie ist auch in Pretoria angesiedelt - war für alle zugänglich.

Redaktion: Südafrika hat elf offizielle Amtssprachen. Wie wirkt sich das auf das Bildungssystem aus?
Loader: Die allgemeine Universitätssprache in Südafrika ist Englisch. Statistisch gesehen ist allerdings Afrikaans - die afrikanische Variante des Niederländischen - jene Sprache, die von den meisten Menschen verstanden und gesprochen wird. Viele der ursprünglichen Afrikaans-Universitäten verwenden heute Englisch in Forschung und Lehre. Andere sind zweisprachig geworden: Vorlesungen werden auf Englisch und Afrikaans angeboten, was auf die Dauer organisatorisch nicht machbar ist. Während Afrikaans als "language of the oppressor" gesehen wird, gilt Englisch als "language of opportunity". Afrikaans und "schwarze Sprachen" wie Zulu haben meiner Wahrnehmung nach kaum eine Chance an den Universitäten. Eine ähnliche Situation finden wir in den Schulen vor. Unterricht in den jeweiligen Muttersprachen gibt es nur ganz zu Beginn der schulischen Laufbahn. Noch im Volksschulalter geht es auf Englisch weiter.

James Alfred Loader zur WM:



Verfolgen Sie die WM?
Ja, aber eher in den Nachrichten als live vor dem Fernseher.
Gibt es einen Favoriten?
Ich werde natürlich Südafrika unterstützen, aber ich mache mir keine Illusionen über die Chancen.
Ihr Traumfinale?
Da Träume zulässig sind: Ein Finale, in dem Südafrika einen Sieg von 6:0 gegen England davonträgt!


Redaktion:
Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Loader: Für mich ist das eine Katastrophe. Einige Lehrer und Lehrerinnen von heute entstammen einer Generation, die aufgrund des Apartheidsystems keine gute Bildung genossen hat. Sie selbst sprechen häufig ein eher schwaches Englisch und geben das an die Kinder weiter. So pflanzt sich das Problem fort. Vor allem am Land kommen die Kinder aus ärmlichen Verhältnissen, oft sind die Eltern AnalphabetInnen. Dann kommen sie in die Schule und werden mit einer Fremdsprache konfrontiert. Nur in Privatschulen wird der Unterricht grundsätzlich in der Muttersprache abgehalten. Klarerweise stehen diese nur der reichen Oberschicht bzw. oberen Mittelschicht offen. Dem Bildungssystem fehlt ganz einfach Geld. Je mehr in Schulen investiert wird - was dringend notwendig ist - desto weniger gibt es für Forschung und Lehre an den Universitäten.

Redaktion: Machen benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf sich aufmerksam?
Loader: Unter der Apartheid fanden 1976 große Schulaufstände statt - in Soweto, den South Western Townships bei Johannesburg, und dann überall im Land. Es sprang ein Funke über, der den Abbau der Apartheid vorantrieb. Schwarze Schüler und Schülerinnen widersetzten sich der rassistischen Bildungspolitik. Wir sprechen hier von Personen, die zu diesem Zeitpunkt schon über 20 Jahre alt waren, also in Österreich bereits mitten in der Studienzeit gewesen wären. Es entstand eine Kultur des Protests, die es auch heute noch gibt.

Die politische Agenda war natürlich eine andere. Damals hieß es "first liberation, then education" - die Befreiung von der Apartheid stand an erster Stelle. Wegen der schlechten Bildung - in Südafrika gibt es dafür den Ausdruck "gutter level education" - gehören die Helden und Heldinnen dieser Zeit heute tragischerweise einer verlorenen Generation an.

Redaktion: Was wird die Zukunft bringen?

Loader: Als unverbesserlicher Optimist bin ich trotz der Probleme zuversichtlich. Wenn wir uns beispielsweise mit "Aids" befassen - noch unter Präsident Mbeki ein Tabuthema - dann können wir jetzt endlich ein Umdenken feststellen. Positive Veränderungen werden letztendlich auch im Bildungsbereich durchgesetzt werden. (dh)

O. Univ.-Prof. DDDr. James Alfred Loader ist Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Vorstand des Instituts für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie. Der Wissenschafter wurde in Pretoria geboren. Er studierte Semitistik, Altphilologie, Philosophie und Theologie in Pretoria, Groningen und Cambridge. Seit 1997 ist James Alfred Loader an der Universität Wien tätig.