An der Donau kreuchts und fleuchts
| 07. November 2012Das 30 Kilometer lange Donauufer zwischen Wien und Bratislava soll umgebaut, die Donau-Auen bewahrt und die Schifffahrtsverhältnisse verbessert werden. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Ökologen Christian Schulze untersucht, ob die flussbaulichen Maßnahmen die Tierwelt im Uferbereich stören.
Den Wasservögeln und unzähligen Gliederfüßern, die sich an der Donau tummeln, stehen turbulente Zeiten bevor: Auf einer Strecke von 30 Kilometern östlich von Wien sollen Buhnen abgebaut oder ersetzt und Schotter zur Stabilisierung der Flusssohle eingebracht werden – der Uferbereich wird naturnäher und der Fluss gleichzeitig schiffbarer gemacht. Doch vor der Umsetzung des "Flussbaulichen Gesamtprojekts" steht der Naturversuch: Dabei testen die FlussbauerInnen auf einer drei Kilometer langen Teilstrecke bei Bad Deutsch-Altenburg ihre Rückbau- und Renaturierungs-Maßnahmen, während ExpertInnen im Rahmen eines ökologisch umfangreichen Begleitforschungs-Programms Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt beobachten. Falls sich negative Folgen abzeichnen, besteht die Möglichkeit, Baumaßnahmen im Laufe des Projektes entsprechend anzupassen.
Grenzgänger zwischen Wasser und Land
Die geballte Expertise kommt von der Universität Wien: Während sich der Limnologe Hubert Keckeis um das Wohl der Fische und der Vegetationsökologe Karl Reiter um die Pflanzen kümmern, interessiert sich Christian Schulze vom Department für Tropenökologie und Biodiversität der Tiere unter anderem für das krabbelnde Getier am Flussufer und die Schmetterlingsfauna im unmittelbar angrenzenden Auwald. (Zum Dossier "Forschung an der blauen Donau")
Der Laufkäfer zeigt auf
Bessere Schifffahrtsverhältnisse könnten in Zukunft mehr Schiffe auf die Donau locken, und dadurch das Muster des Wellenschlags an der Uferlinie verändern. Da Intensität und Häufigkeit des Wellenschlags die Lebensgemeinschaften im sensiblen Grenzbereich enorm beeinflussen, sind diese von den geplanten Baumaßnahmen besonders betroffen. Wie unterschiedlich die einzelnen Gruppen auf diese Störungen reagieren, will Schulze zusammen mit seinem Team nun erstmals untersuchen. "Naturschutzfachlich und wissenschaftlich eine sehr spannende Sache." Dabei ziehen die ÖkologInnen die Familie der Laufkäfer – mit diversen an das Leben an der Grenzlinie zwischen Wasser und Land besonders angepassten Arten – als Indikator heran: "Da wir über diese Spezies viel wissen, können wir Veränderungen gut interpretieren."
Taucher und Gründler
Neben den krabbelnden Organismen widmet sich Schulze in Kooperation mit BirdLife Österreich auch den fliegenden. In diesem Fall den Wasservögeln – also Vogelarten mit einer engen Bindung an den Hauptstrom: "Die häufigste unter den hier an der Donau überwinternden Arten ist die Stockente. Vom ökologischen Standpunkt aus äußerst interessant, weil die Donau neben der March ein zentrales Überwinterungsgebiet in Österreich darstellt."
Dynamischer Fluss
Doch die Donau ist nicht nur das Winterdomizil vieler Wasservögel, sondern auch ihr Brutplatz: Die Schotterbrüter etwa sind auf eine dynamische Flusslandschaft mit vegetationsfreien Strukturen – wie im Nationalpark Donauauen der Fall – angewiesen. "Freie Schotterbänke werden durch wiederkehrende Überschwemmungen von Vegetation frei gehalten, eine wichtige Voraussetzung, um geeignete Brutplätze für Flussregenpfeifer und Flussuferläufer auf Dauer zu sichern." Die FlussbauerInnen müssen also darauf achten, dass solche Schotterkörper erhalten bleiben.
Biodiversität erhöhen
Die ÖkologInnen berechnen für die einzelnen Arten Habitatmodelle. Dadurch können sie genau vorhersagen, wie sich die Lebensraumqualität für einzelne Arten durch die flussbaulichen Maßnahmen ändern wird. "Für Wasservögel können wir bereits jetzt sagen, welche Strukturen im Uferbereich erhalten bleiben müssen – hier gilt: je heterogener das Ufer, desto mehr ökologische Nischen gibt es für die Weidegänger, Gründler und Fischfresser unter den Wasservögeln", erklärt der Experte und betont: "Naturschützer aus Nachbarländern beneiden uns, weil wir in einem räumlich so großen und in Europa einzigartigem Projekt Renaturierungsmaßnahmen umsetzen und somit eine Menge in Sachen Naturschutz bewegen können."
Chance für Naturschutz
Als Chance für FlussbauerInnen und ÖkologInnen sieht Schulze das Flussbauliche Gesamtprojekt, das von via donau geleitet und zum Teil durch EU-Gelder finanziert wird: "Ökologisch sinnvolle Maßnahmen in diesem Umfang könnten ohne ein solches Projekt nicht durchgeführt werden." Durch die Rückbaumaßnahmen werden neue Strukturen und heterogene Uferabschnitte geschaffen und die natürliche Dynamik erhöht. Dies – und die Zusammenarbeit mit FlussbauerInnen, LimnologInnen und terrestrischen ÖkologInnen – macht das multidisziplinäre Großprojekt für die beteiligten WissenschafterInnen der Universität Wien gleichzeitig "extrem spannend" und zu einer "willkommenen Herausforderung". (ps)
Dieser Artikel ist auch als Kurzversion in der aktuellen Ausgabe von "univie" (Alumni-Magazin der Universität Wien) erschienen.
Flussbauliches Gesamtprojekt Donau östlich von Wien:
Dipl.-Biol. Dr. Christian H. Schulze vom Department für Tropenökologie und Biodiversität der Tiere leitet eine der drei Arbeitsgruppen, die in die ökologischen Begleituntersuchungen des "Flussbaulichen Gesamtprojekts" involviert sind. Das Projekt umfasst den Donauabschnitt östlich Wien vom Kraftwerk Freudenau bis zur österreichisch-slowakischen Staatsgrenze. Ziel ist die Verbesserung der Fahrwasserverhältnisse durch flussbauliche Maßnahmen ohne Staustufen unter besonderer Rücksichtnahme auf die ökologischen Bedürfnisse des Nationalparks Donau-Auen. Für die Planung und Umsetzung ist die Österreichische Wasserstraßen-GesmbH via donau verantwortlich. Finanziert wird es vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie sowie durch Mittel der EU (Förderprogramm TEN-T). Gesamtkosten ca. 220 Millionen Euro. Zur Projektwebsite