Antisemitismus in der österreichischen Parlamentsgeschichte
| 27. Januar 2011Jüdische Partizipation und Repräsentation in der politischen Geschichte Österreichs wurden bislang wenig beleuchtet. Ein Forschungsteam um Eva Kreisky vom Institut für Politikwissenschaft untersuchte Formen und Wandel des Antisemitismus, mit dem jüdische Mitglieder des Reichsrats (1861 bis 1918) bzw. des Nationalrats (1918 bis 1933) konfrontiert waren, aber auch deren Gegenstrategien: So haben sich die jüdischen Abgeordneten nicht nur mit Fakten, sondern auch mit Witz und Ironie gegen die Vorurteile gewehrt.
Zwischen 1861 und 1933 zählten das Abgeordnetenhaus des k.u.k. Reichsrats bzw. der Nationalrat der Republik 88 Mitglieder, die bei ihrer Geburt der jüdischen Gemeinde angehörten. Unter den Abgeordneten finden sich prominente Namen, wie z.B. Viktor Adler, der Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
Diese von gesellschaftlichen und politischen Brüchen wie Umbrüchen geprägte Periode stand im Mittelpunkt eines kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekts am Institut für Politikwissenschaft: "Die Parlamente des Zeitraums 1861 bis 1933 waren Austragungsort sozialer und politischer Konflikte. Gleichzeitig bildeten sie antisemitische Strömungen ab", erklärt Projektleiterin Eva Kreisky.
Vom Antijudaismus zum modernen Antisemitismus
Auch im Parlament vollzog sich der Wandel vom religiös geprägten Antijudaismus, wo den Juden v.a. der Mord an Christus zum Vorwurf gemacht wurde, hin zum "modernen" Antisemitismus. "Die VertreterInnen des Antisemitismus propagierten nicht mehr einen Religionsgegensatz, sondern eine angebliche 'soziale Frage' und eine 'Kulturfrage' zwischen gegensätzlichen Völkern bzw. 'Rassen'. Die dabei transportierten Feindbilder als politische Ideologie waren ab Ende der 1880er-Jahre bis in die Erste Republik fixer Bestandteil des parlamentarischen Alltags", so Projektmitarbeiterin Saskia Stachowitsch.
Akteure, Stereotype und Argumentationsmuster
In sechs Fallstudien analysierten die ForscherInnen Debatten und Anfragen aus unterschiedlichen Politikfeldern, in denen sich zentrale gesellschaftliche und politische Wandlungsprozesse ereigneten: Migrations-, Universitäts-, Presse- und Gewerbepolitik, Nationalitäten- und Sprachenkonflikte sowie Wahlrechtsdebatten.
Dabei wurden antisemitische AkteurInnen identifiziert sowie deren Stereotype und Argumentationsmuster herausgearbeitet: "Die instrumentalisierten Bilder reichten vom 'jüdischen Spekulanten', der mit unrechtmäßig erworbenem Reichtum und kapitalistischer Ausbeutung assoziiert wurde, bis hin zum 'jüdischen Hausierer', der Armut und Krankheit verbreitet", sagt Eva Kreisky.
Keine homogene Gruppe
Mit dem Aufstieg des völkischen Nationalismus wurden Juden und Jüdinnen auch als Feinde der jeweiligen Nationalität bis hin zum "Gegen-Volk" imaginiert. Nach 1900 kam es neben verstärkten persönlichen Anfeindungen auch zu Handgemengen im Plenarsaal. Die attackierten jüdischen Abgeordneten stellten dabei keine homogene Gruppe dar, sondern waren in unterschiedlichen Klubs und Parteien organisiert: orthodoxe Rabbiner wie Joseph Bloch, deutsch-liberale Unternehmer wie Rudolf Auspitz, konservative Polnischnationale (z.B. Bernhard Stern), ZionistInnen wie Robert Stricker sowie SozialdemokratInnen, etwa Therese Schlesinger.
Verteidigung mit Fakten, Witz und Ironie
Mit zunehmender Demokratisierung wurde der Antisemitismus als antiliberale, anti-sozialistische, anti-urbane, anti-intellektuelle und nationalistische Politikstrategie etabliert. "Sie diente vor allem deutschnationalen und christlichsozialen Abgeordneten, etwa zur Stützung katholischer Hegemonie an den Universitäten sowie von kleinbürgerlichem Protektionismus im Gewerbe", sagt Projektmitarbeiter Matthias Falter.
Die Verteidigungsstrategien jüdischer Abgeordneter reichten von liberalem oder sozialdemokratischem Universalismus über nationalen Assimilationismus bis zu nationaljüdischen und zionistischen Gegenentwürfen: Liberale beriefen sich auf Gemeinsamkeiten mit der christlichen "Mehrheitsgesellschaft" sowie auf aufklärerische Werte wie Bildung, Menschenrechte und Gleichberechtigung. Sozialdemokraten betrachteten Antisemitismus als Übel des Kapitalismus, das erst in einer sozialistischen Gesellschaft überwunden werden könne.
Jüdische Abgeordnete beschränkten sich nicht nur auf die faktische Widerlegung der Vorurteile: Sie betonten die besondere Staats- und Kaisertreue von Juden und Jüdinnen und bedienten sich des Witzes und der Ironie. So entgegnete der Jüdischnationale Benno Straucher auf den Zwischenruf "Ruhig, Jud!" des Abgeordneten Ernst Schneider: "Schweigen Sie, Christ! Sie sind auch nur ein Neujud!" (ad)
Das Projekt "Judentum und Antisemitismus im österreichischen Parlament 1861 bis 1938" entstand in Kooperation mit dem Parlament und wurde vom Zukunfts- und Nationalfonds der Republik sowie dem Jubiläumsfonds der OeNB gefördert. Es lief von 2008 bis 2010 und wurde von O. Univ.-Prof. Dr. Hannelore Eva Kreisky (Projektleitung) sowie Mag. Dr. Saskia Stachowitsch und Mag. Matthias Falter (Projektmitarbeit), alle Institut für Politikwissenschaft, durchgeführt. Im September 2010 startete das ebenfalls vom Jubiläumsfonds geförderte Folgeprojekt "Judentum und Antisemitismus im Herrenhaus des österreichischen Reichsrats 1861 bis 1918".