Barbie und Spiderman sprechen Deutsch
| 01. Oktober 2014"Wie sollen austrotürkische Kinder Deutsch lernen, wenn sie zu Hause nur Türkisch hören? Wohl eher schlecht als recht." Diesem gängigen Vorurteil widersprechen nun erste Ergebnisse einer Studie von SprachwissenschafterInnen der Universität Wien: Es ist alles nur "eine Frage des Inputs".
Die vierjährige Selin spricht mit ihren Eltern nur Türkisch. "Ihre Mutter, die in Istanbul studiert hat, ist erst vor sechs Jahren nach Österreich gezogen und will ihre mangelhaften Deutschkenntnisse nicht an ihre Tochter weitergeben", erzählt Kumru Uzunkaya-Sharma vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien. Trotzdem hat die kleine Selin bei den Sprachtests besser abgeschnitten als so manches deutschsprachige Kind.
Der Grund: Selin hört zu Hause viel und sehr gutes Türkisch. "Unsere Studie hat gezeigt, dass Kinder aus bildungsnahen türkischen Familien oft besser Deutsch sprechen als Kinder aus bildungsfernen deutschsprachigen Familien", bringt Projektleiter Wolfgang U. Dressler ein zentrales Zwischenergebnis auf den Punkt.
Das Projekt "Investigating Parental and Other Caretakers' Utterances to Kindergarten Children" liefert Antworten auf die Frage: Warum und wie sich der Bildungs- und Migrationshintergrund auf die Sprachkompetenz von Kindern auswirken. "Anhand der Ergebnisse können konkrete bildungspolitische Maßnahmen eingefordert werden", erklärt Projektleiter Dressler, der außerdem einen konkreten Leitfaden für PädagogInnen herausgeben will. |
Input im Kindergarten und Zuhause
Was Studien aus den USA und Israel bereits gezeigt haben, wurde damit auch in Österreich bestätigt: Je höher die Qualität und Menge der Gespräche mit dem Kleinkind, desto größer der spätere Bildungserfolg des Kindes. "In Europa wurde der Zusammenhang zwischen dem Input, den Eltern ihren Kindern geben, und dem Output der Kinder noch nicht empirisch untersucht", erklärt Dressler.
Das holt der Sprachforscher nun gemeinsam mit seinen Mitarbeiterinnen Christine Czinglar, Katharina Korecky-Kröll und Kumru Uzunkaya-Sharma nach – und geht dabei einen Schritt weiter: "Wir setzen nicht nur Input und Output, sondern auch Elternhaus und Kindergarten in Beziehung zueinander. So können wir nachzeichnen, inwiefern der Kindergarten etwaige Defizite, die sich aus dem bildungsfernen Elternhaus ergeben, kompensieren kann."
Sprachliches Repertoire
Im Rahmen ihres vom WWTF finanzierten Projekts untersuchen die ForscherInnen der Universität Wien die sprachliche Entwicklung von Kindergartenkindern, die entweder einsprachig mit Deutsch aufwachsen oder Türkisch als Familiensprache sprechen und Deutsch somit erst im Kindergarten lernen. Wie viel in welcher Sprache gesprochen bzw. geantwortet wird und wie viel Zeit die Kinder zu Hause oder im Kindergarten verbringen – all das und noch einiges mehr haben die WissenschafterInnen abgefragt.
"Dafür sind wir in 30 private und städtische Kindergärten in Wien gegangen, haben spontane Sprachaufnahmen gemacht, Interviews mit PädagogInnen und Eltern geführt, die Kinder in der Kommunikation mit ihren Eltern zu Hause beobachtet und schließlich deutsche sowie türkische Grammatiktests durchgeführt. Und all das zu vier verschiedenen Zeitpunkten", erklärt Katharina Korecky-Kröll das besondere an dem Projekt: "Durch die Kombination der verschiedenen Methoden erhalten wir konkrete Daten und erfassen damit das gesamte sprachliche Repertoire der Kinder."
Guter türkischer Input = guter deutscher Output
Vor allem in punkto Wortschatz sehen die WissenschafterInnen einen signifikanten Unterschied zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien. "Der Grund dafür ist der unterschiedliche Umgang mit Sprache", erzählt Uzunkaya-Sharma. "Während bildungsnahe Eltern sehr bewusst mit Sprache und Mehrsprachigkeit umgehen, wird Sprache in bildungsfernen Familien meist rein funktional genutzt."
Ein Ergebnis: Viele bildungsnahe türkischsprachige Kinder verwenden in der deutschen Kommunikation mehr korrekte Artikel als Kinder aus bildungsfernen einsprachigen Familien – und das obwohl es im Türkischen weder Geschlecht noch Artikel gibt.
Bildungseinrichtung Kindergarten
Kann der Kindergarten Sprachdefizite ausgleichen? "Prinzipiell können Kinder, die zu Hause nur Türkisch hören, nach drei Jahren deutschem Input im Kindergarten dem Volksschulunterricht gut folgen", erklärt Dressler. Hier kommt die Qualität der Erziehungsarbeit im Kindergarten ins Spiel. "Dafür muss aber einerseits der sprachliche Aspekt in der pädagogischen Ausbildung verstärkt und andererseits mehr in die Fortbildung investiert werden", so der Experte, der für mehr Personal bzw. kleinere Gruppen und nicht zuletzt für mehr und "stärkere" Kindergärten plädiert.
Auch die Zusammenarbeit zwischen Kindergärten und Eltern müsse verbessert werden. Der Respekt "vor der Institution", sprachliche Schwierigkeiten, aber auch gesellschaftliche Vorurteile spielen hier häufig eine Rolle. "Leider gilt oft: Je gebildeter die Eltern, desto interessierter setzen sich die PädagogInnen mit dem Kind auseinander."
Kontextgebundene Sprache
Doch Kinder lernen nicht nur von Erwachsenen: "Um von Gleichaltrigen zu lernen, ist Deutsch als 'Verkehrssprache' natürlich Voraussetzung. Problematisch – und eine zusätzliche Herausforderung für die ErzieherInnen – ist es, wenn alle Kinder denselben Migrationshintergrund haben", so die ForscherInnen. "Aber über Spiderman und Barbies wird generell gern auf deutsch gesprochen", schmunzelt Uzunkaya-Sharma. Denn die Sprache der Kinder ist meist an einen bestimmten Kontext gebunden: Gespielt wird daher auch zu Hause häufig "auf Deutsch" – v.a. jene Spiele, die aus dem Kindergarten-Umfeld kommen. "Viele Eltern waren überrascht, dass ihre Kinder z.B. das türkische Wort für Elefant nicht kennen", erzählt Uzunkaya-Sharma. "Aber in der 'Alltagssprache' kommt das Wort nun mal recht selten vor." (ps)
Das WWTF-Projekt "Investigating Parental and Other Caretakers’ Utterances to Kindergarten Children" läuft vom 1. März 2012 bis 31. August 2015 unter der Leitung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang U. Dressler. ProjektmitarbeiterInnen sind: Mag. Dr. Christine Czinglar, Mag. Dr. Katharina Korecky-Kröll und Mag. Kumru Uzunkaya-Sharma.