Das Buch des letzten Ritters
| 16. November 2016Vor allem zwei Aspekte im Leben von Maximilian I. haben den Germanisten Stephan Müller dazu inspiriert, sich fast 500 Jahre später in einem FWF-Projekt mit dem Kaiser und seinem neuzeitlichen Buch "Theuerdank" zu beschäftigen: Erstens war Maximilian Literaturliebhaber und zweitens meistens pleite.
Als Literatur- und Kunstliebhaber bzw. -förderer wollte Maximilian der Nachwelt literarisch im Gedächtnis bleiben. Aus diesem Grund gab er Anfang des 16. Jahrhunderts ein Buch namens "Theuerdank" in Auftrag. In diesem geht es um die Geschichte eines Ritters, der beim Werben um seine Angetraute zahlreiche Prüfungen und Abenteuer bestehen muss.
"'Theuerdank' ist ein Schlüsselroman", erklärt der Germanist und Projektleiter Stephan Müller von der Universität Wien: "Das heißt, in dem Buch wird eine fiktive Geschichte erzählt, die an der Realität angelehnt ist und echte Personen beschreibt, ohne diese namentlich zu nennen." Der in dem Buch beschriebene Ritter sollte also Kaiser Maximilian verkörpern und an dessen Reise zu seiner Braut Maria von Burgund, die nur wenige Jahre nach der Eheschließung verstarb, erinnern.
Maximilian I. von Habsburg (1459-1519) war ab 1477 Herzog von Burgund, ab 1486 römisch-deutscher König, ab 1493 Erzherzog von Österreich und ab 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. (Foto: Maximilian I., Albrecht Dürer, 1519/Wikipedia)
Alles begann mit einem Raubdruck
Das Buch sollte nach Maximilians Tod lediglich an einen kleinen erlesenen Kreis verteilt werden. Dass sich die Geschichte ganz anders entwickelte und der "Theuerdank" eines der prominentesten Bücher der Neuzeit wurde, lag darin begründet, dass Maximilian den Buchdrucker nicht bezahlen konnte: Er war wieder einmal pleite. Um sich schadlos zu halten, raubdruckte der Handwerker das Buch nach Maximilians Tod, noch bevor die erste Fassung verteilt wurde. "Auf diese Weise wurde aus dem exklusiven, im 'Privatdruck' erschienenen Schlüsselroman ein breit rezipierter Bestseller, der bis Ende des 17. Jahrhunderts in elf verschiedenen Fassungen nachgedruckt wurde", so Stephan Müller.
Eine vergleichende Studie der elf Nachdrucke gab es bislang nicht. Diese Lücke möchten Stephan Müller und sein Team vom Institut für Germanistik in einem aktuellen FWF-Projekt schließen: "Die Raubdrucke wurden alle auf ihre eigene Art sprachlich, inhaltlich und konzeptionell verändert. Dadurch sind sie Spiegel ihrer Zeit und zeigen kulturelle Veränderungen auf."
Der "Theuerdank" in der Fassung von 1517 enthielt 118 kolorierte Holzschnitte, teilweise nach Zeichnungen führender Künstler der Zeit, die sowohl zeichnerisch als auch schnitttechnisch aufwändig gestaltet waren. (Kurioses Detail am Rande: Hier findet sich die erste bekannte Darstellung einer Schneelawine). (Foto: Theuerdank 1517, Bild 36, Stephan Müller)
Digitalisierung und Kommentierung
Bislang war ein direkter Vergleich der elf Versionen nur schwer möglich, da sie über verschiedene Bibliotheken verstreut sind. "Gerade so wertvolle Bücher werden von Bibliotheken fast ausschließlich 'on demand' digitalisiert. Das haben wir in die Wege geleitet und auch Buchpatenschaften übernommen", erklärt Stephan Müller.
Auf diese Weise konnten die GermanistInnen im Zuge des Projekts eine digitale "Theuerdank"- Bibliothek in Form einer kommentierten Linksammlung erstellen. Parallel haben sie für drei Ausgaben Seitenzahlen und Zeilenzähler ergänzt, die bislang nicht vorhanden waren, für die wissenschaftliche Arbeit aber unerlässlich sind. Dadurch ist es möglich, die verschiedenen Fassungen nebeneinander am Computer zu vergleichen – "auf diese Weise haben wir völlig neue Erkenntnisse gewonnen", freut sich Stephan Müller.
Rudern statt beten
Beispielsweise taucht Maximilians Name erst in den späteren Fassungen auf. "Mit der Zeit verwandelte sich 'Theuerdank' also vom Schlüsselroman in eine Art Autobiographie. Der Text, eigentlich aus einer ritterlichen Kultur heraus geschrieben, wurde dem Genre immer fremder", erläutert der Germanist.
Ein anderes Beispiel: Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der deutsche Schriftsteller und Pfarrer Burkard Waldis (1490-1556) beauftragt, eine modernisierte Fassung des "Theuerdank" zu erstellen. Maximilian war gläubiger Katholik, Waldis evangelischer Pfarrer. Welche Auswirkungen hatte das auf den Text? "In der Version von Waldis wurde etwa die Ehe nicht mehr als Sakrament beschrieben", veranschaulicht Müller: "Und statt auf Gott wird bei der Meisterung der Abenteuer mehr auf die eigene Kraft gesetzt. So gibt es Szenen, in denen der Ritter in Seenot gerät. In der Urfassung steht: 'Jetzt müssen wir alle beten'. Waldis dagegen betont, dass es auch gut wäre zu 'rudern'".
Alte Werte mit neuer Technik
Durch die vergleichende Erschließung und Kommentierung aller Drucke können die WissenschafterInnen herausfinden, welches Bild vom Mittelalter wann und auf welche Weise kolportiert wurde. "Maximilian avancierte in der Romantik zum 'letzten Ritter'. Denn eigentlich gab es Anfang des 16. Jahrhunderts bereits eine Wende zu einer neuen Zeit, aber Maximilian hatte noch einen sehr nostalgischen Zugang. Er versuchte, sich selbst als Protagonist einer alten Zeit zu stilisieren, wohlwissend, dass diese vorbei war", so Stephan Müller.
Das zeigt sich auch an der von Maximilian für die Erstfassung in Auftrag gegebene Drucktype, die für Handschriftenforscher Stephan Müller auch mediengeschichtlich spannend ist: "Der 'Theuerdank' entstand in der Übergangsphase von der Handschriftenkultur zum Buchdruck. Die spezielle Drucktype sollte Handschrift simulieren, also alte Werte mit neuer Technik reproduzieren. Das war eine Innovation. Bis heute weiß niemand genau, wie die Type funktioniert hat."
Im Bild v.l.n.r.: Die Originalversion von 1517 mit der Handschrift nachahmenden "Theuerdank-Drucktype", die Bearbeitung von Burkard Waldis von 1553 und der Druck von Matthias Schultes aus dem Jahr 1679. (Foto: Stephan Müller)
Faszination Mittelalter: Vom Theuerdank zu Game of Thrones
Die literarische Qualität des "Theuerdank" ist laut Stephan Müller nicht allzu hoch. Wieso wurde das Buch dennoch ein Bestseller? "Das hat viel mit der Vorstellung vom Mittelalter zu tun", ist der Forscher überzeugt: "Die mittelalterlichen Geschichten reduzieren die Welt und ihr Geschehen auf Familien und Einzelpersonen. Auf diese Weise lässt sich Geschichte ganz anders beschreiben: über Sympathie, Empathie, Antipathie – und über ganz primäre Instinkte wie Liebe und Hass."
Auch wenn der "Theuerdank" heutzutage wohl nicht mehr allzu vielen Leuten bekannt sein dürfte, die Faszination für die Welt der Ritter ist geblieben: "Das zeigen Erfolge von Serien wie Game of Thrones: Auch hier werden ebenso wie beim 'Theuerdank' archaische Muster aufgegriffen und modifiziert. Das ist nach wie vor ein Erfolgsrezept", resümiert Stephan Müller. (mw)
Das FWF-Projekt "Vom Privatdruck zum Bestseller. Die Druckgeschichte des Theuerdank" läuft seit August 2013 bis Juli 2017. Projektleiter ist Univ.-Prof. Dr. Stephan Müller, ProjektmitarbeiterInnen sind Lisa Rethage, M.A. und Dennis Wegener.