Der Cowboy und die Lehrerin
| 22. Oktober 2012Der oder die WissenschafterIn von heute muss international mobil sein, möglichst viele Kontakte knüpfen und laufend publizieren. Birgit Sauer, Politologin der Universität Wien, untersucht die Auswirkungen der "unternehmerischen" Leistungskriterien auf die Chancengleichheit im Wissenschaftsbetrieb.
Der Wissenschafter – ein einsamer Cowboy, der sich durch den Staub wühlt und sein Forschungsgebiet bezwingt: "Verschiedene internationale Studien zeigen, dass das Bild des idealen Wissenschafters eher dem männlichen als dem weiblichen Stereotyp entspricht", so Birgit Sauer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb es Wissenschafterinnen nach wie vor schwerer als ihren männlichen Kollegen fällt, die Karriereleiter hinaufzuklettern. Familiäre Pflegeverpflichtungen betreffen zum Großteil Frauen: Networking am Abend, ein Forschungsaufenthalt im Ausland oder ein Wochenende im Labor wird da schnell zur Herausforderung. Doch Kontaktmanagement, Output, Mobilität und natürlich die Publikationstätigkeit sind genau jene Faktoren, anhand derer WissenschafterInnen "bewertet" werden. "Ihre Tätigkeiten werden viel stärker quantifiziert als früher", so die Politologin, die gemeinsam mit Johanna Hofbauer, Soziologin an der WU Wien, das FWF-Projekt "Academic careers and gender" leitet.
Wertigkeit der Lehre
"Die Vereinbarkeitsfrage wird in diesem Zusammenhang aber oft überbewertet", fügt die Projektmitarbeiterin Angelika Striedinger hinzu. Untersuchungen zeigen, dass Wissenschafterinnen mit Kind gleich viel publizieren wie Frauen ohne Kind. Dennoch bleibt es eine reale Problematik: Frauen müssen unterm Strich mehr leisten als ihre männlichen Kollegen. "Warum schaffen aber Frauen den Sprung zur Berufung nicht?" Sauer glaubt, dass neben institutionellen Mechanismen auch die gängigen Geschlechterbilder am Drop Out der Frauen Schuld sind. "Ein großes Problem ist auch die geringere Bewertung der Lehrtätigkeit gegenüber der Forschungstätigkeit an Universitäten: Das Engagement in der Lehre – wie auch in der Administration – ist geschlechtsspezifisch aufgeteilt", betont Sauer. Im Berufungsverfahren haben Frauen dadurch oft das Nachsehen.
Die Universität als Unternehmen
Moderne Universitäten sehen sich als "Entrepreneurial Universities": Durch die Veränderungen in der Organisationsstruktur, im Personalmanagement, der Steuerung von Wissenschaft und der Qualitätssicherung werden die Universitäten zu Unternehmen und die einzelnen WissenschafterInnen zu UnternehmerInnen ihrer Forschungstätigkeit.
"Wir untersuchen im Rahmen eines FWF-Projekts, wie sich die neuen Steuerungsinstrumente der unternehmerischen Universität auf die Wissenschaftskarrieren – und vor allem auf die Geschlechtergleichstellung – auswirken", erklärt Politikwissenschafterin Birgit Sauer. Gemeinsam mit Projektmitarbeiterin Angelika Striedinger nimmt sie das österreichische Hochschulsystem unter die Lupe und vergleicht es mit Deutschland und Frankreich. |
---|
Die "Rush Hour" als Hürde
Der geschlechterausgleichende Effekt neuer Steuerungsinstrumente zeigt sich nur bis zur Habilitation. "Die meisten Frauen scheiden nach oder während der Postdoc-Zeit aus dem 'Wie werde ich Wissenschafterin'-Prozess aus", so Sauer. Es ist jene Zeit, in der Frauen ihre ersten Kinder kriegen, die Habilitation schreiben und im Rahmen von Projekten sowie an der Universität Vollzeit tätig sind – eine Phase, die auch als "Rush Hour" bezeichnet wird. "JungwissenschafterInnen werden hier besonders gefordert", so Dissertantin Angelika Striedinger, die selbst eine akademische Karriere anstrebt und es deshalb besonders spannend findet, diese aus einem theoretischen und einem persönlichen Blickwinkel zu betrachten.
Vom Mittelbau abwärts
Zu den neuen Steuerungsinstrumenten gehören auch Gleichstellungsinstrumente im Personalmanagement. Die Universität Wien konnte damit den Frauenanteil unter den ProfessorInnen innerhalb von zehn Jahren auf über 20 Prozent verdoppeln. "Was die Mittelbauebene betrifft, schneidet die WU besser ab", relativiert Sauer. Da es nicht nur zwischen den Universitäten – periphere und somit "jüngere" Universitäten sind tendenziell weniger hierarchisch strukturiert –, sondern auch zwischen den einzelnen Fächern große Unterschiede gibt, untersuchen die Wissenschafterinnen auch die Umsetzung der Steuerungsmechanismen und andere Anreizsystemen in unterschiedlichen Fächerkulturen. "Gleichen z.B. quantifizierende Anreizsysteme bestehende Unterschiede zwischen Geistes- und Naturwissenschaften aus?"
Datenerhebung und Shadowing
Zur Beantwortung dieser Frage wollen die Politologinnen zum einen herausfinden, wie WissenschafterInnen die neuen Leistungs- und Anerkennungsbedingungen in ihren akademischen Alltag integrieren und zum anderen, wie universitäre Gremien Entscheidungen treffen. "Wir führen eine österreichweite Datenerhebung durch, sprechen mit Mitgliedern der Gleichbehandlungsarbeitskreise aller österreichischen Universitäten und schauen uns die Personalstatistiken im Detail an", erklärt Striedinger die Vorgangsweise. Im Rahmen von Fallstudien untersuchen sie außerdem, wie Geschlecht innerhalb einer Organisation konstruiert wird und betreiben "Shadowing": "Dafür begleiten wir rund 40 WissenschafterInnen, die sich in – oder kurz nach – der Postdoc-Phase befinden, beobachten ihre Interaktionen im Forschungsalltag und wie sie ihre Zeit – innerhalb und außerhalb der Universität – einteilen." (ps)
Das FWF-Projekt "Academic careers and gender. Case studies from France – Germany – Austria" läuft vom 1. März 2012 bis 28. Februar 2015 unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Birgit Sauer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Ao. Univ.-Prof. Dr. Johanna Hofbauer von der Wirtschaftsuniversität Wien. Projektmitarbeiterinnen sind die Dissertantinnen Mag. Angelika Striedinger (Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien) und Mag. Katharina Kreissl (WU Wien). Das Forschungsprojekt läuft in Kooperation mit Dr. Ilse Costas, Universität Göttingen, sowie Wissenschafterinnen aus Graz, Berlin, München und St. Gallen unter der Lead-Agency Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).