Die Raritäten, die in die Kälte wandern
| 30. Januar 2015Etwa 35 Prozent der höheren Pflanzen und Farne Österreichs stehen auf der Roten Liste als ausgestorben oder verschollen bzw. gefährdet. Die Pflanzenbiologin Andrea Kodym will bedrohte Arten erhalten, indem sie sie in -196 Grad kaltem Stickstoff kryokonserviert.
Folgen Sie uns ins Burgenland: Irgendwo an einem geheimen Ort stehen elf Artemisia laciniata-Pflanzen. Sie sind die allerletzten ihrer Art in Österreich. Und Andrea Kodym hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu retten. Das ist das Ziel ihres neuen FWF-Projekts, das die Pflanzenbiologin vom Department für Pharmakognosie leitet.
"Die Erhaltung bedrohter Arten in ihrem natürlichen Lebensraum ist von größter Wichtigkeit, jedoch reichen diese Maßnahmen oftmals nicht aus, um deren Überleben zu sichern – insbesondere wenn das jeweilige Ökosystem selbst bedroht ist", schreibt Kodym in ihrer Projektbeschreibung: "Ex-situ Maßnahmen in Form von Lebendsammlungen und Samenbanken stellen eine Absicherung dar, haben jedoch in der Praxis ihre Grenzen und sind nicht für alle Arten anwendbar. Als Alternative bietet Kryokonservierung die Möglichkeit, wertvolles Genmaterial langfristig in Flüssigstickstoff bei -196 °C zu lagern."
Erhaltung von Lebendsammlungen
Vor einigen Jahren sei sie in den Botanischen Gärten Kew in Großbritannien auf Forschungsexkursion gewesen, erzählt Kodym. Dort wird längst mit Kryokonservierung gearbeitet, und sie habe beschlossen, die Idee zu importieren. "Eine Möglichkeit besteht darin, Samen einzulagern", erklärt sie. "Bei Pflanzen, die vegetativ vermehrt werden, geht das aber nicht, und man braucht andere Lösungen". Und genau an denen arbeitet Kodym: "Mein Fachgebiet ist die Gewebekultur, und es gibt tolle Möglichkeiten, damit Lebendsammlungen zu erhalten."
Ein kritischer Punkt in der Kryokonservierung sei die Regeneration von Pflanzen nach dem Wiedererwärmen. Die Zellultrastruktur wird vor und nach der Einlagerung untersucht. Die Analysen sollen darüber Aufschluss geben, welche Zellen überleben und letztlich beim wieder wachsen beteiligt sind. Das Ziel ist letztlich die Produktion von kräftigen Pflanzen, die dem Ausgangsmaterial entsprechen. |
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Die KollegInnen vom Botanischen Garten Wien sind ausgerückt und haben Samen gesammelt. Ihre Wahl fiel auf Dracocephalum austriacum, den österreichischen Drachenkopf, und die bereits angesprochene Artemisia. "Beide sind stark gefährdet", sagt die Pflanzenbiologin und hat eine Kultur angelegt. Das hört sich so einfach an. Doch "der Drachenkopf hat Probleme mit der Keimung", sagt Kodym und entfernt einen Teil der Samenschale. "Mit einem Skalpell unter dem Mikroskop. Dazu bedarf es schon ein wenig Fingerspitzengefühls", sagt sie. Sie kitzelt den Samen heraus und hilft mit der richtigen Nährlösung dem Wachstum nach.
Die ideale Nährstofflösung
Wie überhaupt in ihren Labors paradiesische Zustände für die Keimlinge herrschen: "Keine Keime, ideale Licht- und Nährstoffverhältnisse", zählt die Pflanzenbiologin auf, die lange in Australien geforscht hat, während sie durch ihr Reich führt. Weil sie gerade versucht herauszufinden, welche Nährstofflösung die ideale ist, schaut so manches Pflänzchen verhungert aus, während sich andere strahlend grün und kräftig den Leuchtstoffröhren entgegenrecken, die ihnen an die 16 Stunden täglich Tageslicht vorgaukeln.
Im nächsten Raum werden die kostbaren, verwöhnten Stecklinge dann an das Leben da draußen gewöhnt. Im Folientunnel genießen sie hohe Luftfeuchtigkeit, die immer mehr abgesenkt wird, um die Pflanzen für die wirkliche Welt abzuhärten, erklärt Kodym. "Sie müssen sich erst auf Selbstversorgung, sprich Photosynthese, umstellen." Denn bisher hat die Forscherin deren Energiebedarf hauptsächlich mit Zucker gedeckt. Erfolgreich, denn es ist ihr gelungen, einen ganzen Schwung der gefährdeten Pflanzen zu kultivieren.
"Man braucht nicht viel"
Doch all das ist nur die Vorbereitung für das neue Projekt von Andrea Kodym. In einem nächsten Schritt will sie sich "den Lebendsammlungen, die es ja gibt, zuwenden und die gefährdeten Arten kryokonservieren. Gatersleben in Deutschland beispielsweise hat eine riesige Anlage", sagt sie. Mit der dortigen Kryo-Genbank IPK will die Pflanzenbiologin zusammenarbeiten. Man brauche nicht viel, meint Kodym: "Einen mit Flüssigstickstoff gefüllten Behälter, der nicht mal groß sein muss, denn die Proben sind sehr klein. Eingelagert werden ja nur die Sproßspitzen. Warum gerade die? "Je kleiner die Pflanzenproben, desto eher überleben sie das Abkühlen und Wiederaufwärmen."
Womit wir bei dem sind, was nicht so einfach ist und entwickelt werden muss: "Jede Pflanze verhält sich anders." So löst etwa Kälte Stressreaktionen aus und führt zu komplexen Veränderungen innerhalb von Pflanzenzellen, wie Veränderungen der Membran oder Ansammlung von Zuckern. Diese Veränderungen werden biochemisch analysiert, der Verlust von Elektrolyten wird erfasst.
Zum Leben erwecken
Für jede Pflanzenart müsse man ein Protokoll entwickeln, wie sie zu kultivieren und später einzulagern und schließlich wieder zum Leben zu erwecken sei. Eine Tüftelei: Jeder einzelne Schritt muss experimentell optimiert werden, grundlegende Prozesse, die hinter der Einlagerung von Pflanzenmaterial stehen, müssen geklärt und damit eine Basis für die Optimierung von Kryokonservierungs-Methoden für eine Reihe von Arten geschaffen werden.
"Bisher hat sich die Forschung auf Kulturpflanzen konzentriert. Aber was ist mit den anderen vom Aussterben bedrohten Arten?" fragt die Wissenschafterin und freut sich, dass für ihr Wildpflanzen-Projekt, das bis 2018 läuft, Forschungsmittel bewilligt wurden.
Das FWF-Projekt "Biotechnologische Methoden zur Erhaltung gefährdeter Pflanzenarten" unter der Leitung von Dr. Andrea Kodym vom Department für Pharmakognosie der Universität Wien startete 2014 und läuft bis 2018.