Die Zukunft unter unseren Füßen

Er gibt Halt, liefert Nahrung und ist der größte CO2-Speicher der Welt. Dennoch schenken wir dem Boden – und seinen mikrobiellen Bewohnern, die eine zentrale Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf spielen – selten Aufmerksamkeit. Nicht so Andreas Richter von der Universität Wien.

"Das musste einmal gesagt werden": Diese Redewendung trifft wohl auch auf die aktuelle Publikation eines österreichisch-amerikanischen Ökologen-Teams rund um Andreas Richter vom Department für Terrestrische Ökosystemforschung der Universität Wien zu. Denn im weltweit wichtigsten ökologischen Fachjournal, den "Ecology Letters", halten die Forscher ein für alle Mal fest, was zwar schon vermutet, aber bisher noch nie systematisch analysiert wurde: Die gängigen Methoden zur Messung der Kohlenstoffnutzung von Boden-Mikroben liefern falsche Ergebnisse.

Das ist u.a. deshalb brisant, weil ein profundes Verständnis der Rolle von Mikroorganismen im globalen Kohlenstoffkreislauf wesentlich ist, um die Auswirkungen der Klimaerwärmung zu prognostizieren.

Überschätzung mit Folgen

"Konkret ist es zu einer massiven Überschätzung gekommen: Wir zeigen in unserer aktuellen Publikation, dass die Mikroorganismen in terrestrischen Systemen tatsächlich viel weniger CO2 in Biomasse umwandeln, als aus der Fachliteratur hervorgeht", erklärt Andreas Richter.

Seit Jahrzehnten galten die Boden-Mikroorganismen nämlich als die "große Ausnahme" in der Welt der Kleinstlebewesen: Ihnen wurde eine weitaus höhere "Kohlenstoffnutzungseffizienz" zugeschrieben als Mikroben anderer Ökosysteme, wie Meer, Fluss oder See. "Es wurde angenommen, dass Boden-Mikroben durchschnittlich 55 Prozent des aufgenommenen Kohlenstoffs in Biomasse umwandeln. Tatsächlich sind es wohl im Schnitt an die 30 Prozent – ähnlich wie bei aquatischen Mikroorganismen."

In der vielbeachteten "Ecology Letters"-Publikation beschreiben der Experimentelle Ökologe und seine amerikanischen Mitautoren – ein Theoretischer Ökologe und zwei Modellierer –, weshalb die bisherigen Messungen versagt haben. Sie zeigen, dass völlig neue Forschungsmethoden entwickelt werden müssen. "Und zwar rasch", betont Richter, dessen Team am Department für Terrestrische Ökosystemforschung bereits an neuen Ansätzen schmiedet.

Unscheinbar, aber unersetzlich


Fakt ist, dass die Mikroorganismen "unter unseren Füßen", deren Erforschung sich Andreas Richter leidenschaftlich verschrieben hat, entscheidende Akteure im globalen Kohlenstoffkreislauf sind. Während Pflanzen im Prozess der Fotosynthese CO2 aus der Luft filtern und in organisches Material einbauen, zersetzen die Bodenmikroben das organische Material wieder zu CO2. "Dabei stecken sie einen Teil des organischen Kohlenstoffs in ihr eigenes Wachstum – wandeln ihn also in Biomasse um, die nach ihrem Ableben als Bodenkohlenstoff, sprich Humus, gespeichert bleibt. Den Rest 'veratmen' sie, d.h. sie geben das CO2 an die Atmosphäre zurück", erklärt der Experte.


Diese "bunten Tupfen" sind Boden-Bakterien, Herkunft: Niederösterreich. Sie wurden mit einer Fluoreszenzmethode sichtbar gemacht.



Die Kleinsten und der Klimawandel


Genau messen zu können, wie viel Kohlenstoff im Boden in Humus umgewandelt wird – die bereits genannte "Kohlenstoffnutzungseffizienz"(Carbon Use Efficiency) – ist fundamental, um den "Kohlenstoffkreislauf" beschreiben zu können. "Um vorauszusagen, wie das Klima in 50 oder 100 Jahren sein wird, müssen wir wissen, wie sich die Mikroorganismen unter veränderten Umweltbedingungen verhalten werden", so Richter.

Theoretische Überlegungen lassen vermuten, dass die Kohlenstoffnutzungseffizienz bei einem Temperaturanstieg sinkt. "Aber vielleicht entwickeln die Mikroben Mechanismen, dem entgegenzuwirken", meint Richter. Das ist nicht abwegig: Seit mehr als einem Jahrhundert blasen wir Menschen zusätzliches CO2 aus fossilen Brennstoffen in die Luft – nur etwa die Hälfte davon ist aber in der Atmosphäre angekommen. Den Rest haben unsere Mikroorganismen und Pflanzen "abgefangen" und in den Böden und Meeren gespeichert.

Schnittstelle zwischen Mikrobiologie und Ökosystemforschung

"Insgesamt enthalten unsere Böden etwa 2.600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, mehr als dreimal so viel wie die Atmosphäre. Ein gewaltiges Potenzial: Schon kleine Änderungen der Speicherung in den Böden können massive Auswirkungen auf die Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre haben", erklärt Andreas Richter seine Leidenschaft für dieses brisante, global relevante Forschungsfeld: "Wir stehen zwar die ganze Zeit darauf, aber der Boden ist eines der am wenigsten verstandenen Systeme."


Der Experimentelle Ökologe Andreas Richter von der Universität Wien (rechts) bei Bodenuntersuchungen in Sibirien.



Am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung wird an der Schnittstelle zwischen Mikrobiologie und großskalierter Ökosystemforschung gearbeitet. Ein Bereich, der weltweit zunehmend wichtiger wird – nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung für Klimaprognosen: "Wir können das Boot vielleicht nicht mehr umlenken, aber wir sollten zumindest wissen, wohin wir steuern", schließt Andreas Richter. (br)

Das Paper "Carbon use efficiency of microbial communities: stoichiometry, methodology and modeling" (Autoren: Robert L. Sinsabaugh, Stefano Manzoni, Daryl L. Moorhead und Andreas Richter) erschien am 30. April 2013 im Journal "Ecology Letters".