Exil: Neuseeland
| 07. Oktober 2010Am Montag, 11. Oktober 2010, veranstaltet die Österreich-Südpazifische Gesellschaft gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung und dem Jewish Welcome Service Vienna das Symposium "Österreichisches Exil in Neuseeland". Im Mittelpunkt steht das Leben jüdischer ExilantInnen österreichischer Herkunft, die während des 2. Weltkriegs in Neuseeland Aufnahme fanden. Im Gespräch mit "dieUniversität-online" berichtet eine der OrganisatorInnen - Margit Wolfsberger - über das Symposium und vorläufige Forschungsergebnisse zum Thema.
Redaktion: Das Symposium befasst sich mit der jüdischen Migration nach Neuseeland während des Zweiten Weltkriegs. Die Forschung zu diesem Thema war Teil des umfassenderen - vom Jubiläumsfond geförderten - Projekts "Flucht in die Südsee? Österreichische Migration nach Neuseeland und Ozeanien". Könnten Sie kurz zusammenfassen, worum es sich bei diesem Forschungsvorhaben handelte?
Margit Wolfsberger: Das Forschungsprojekt hatte das Gesamtziel, die bisherigen Forschungen zur Beziehungsgeschichte Österreich und Neuseeland zu erheben, zu sammeln und - aufgrund finanzieller Einschränkungen - nur rudimentär auszuwerten. In Interviews und Archivstudien stellten wir uns die Frage, wie sich Migration vollzieht, welche Integrationsstrategien angeboten, umgesetzt oder verweigert wurden und welche Beziehungen zwischen Herkunfts- und Migrationsland in den individuellen Biographien zu erkennen sind. Das Forschungsprojekt versuchte, eine breite Zeitspanne abzudecken und beschränkte sich nicht allein auf jüdische MigrantInnen. Leiter des Projekts war Hermann Mückler vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie.
Redaktion: Sie beschäftigen sich nun konkret mit der jüdischen Migration nach Neuseeland. Wie näherten Sie sich diesem Thema an? Konnten Sie mit ZeitzeugInnen sprechen und/oder welche Quellen haben Sie herangezogen?
Wolfsberger: Schon vor meiner Ankunft in Neuseeland hatte ich einige Namen potenzieller InterviewpartnerInnen. Ich war mir aber unsicher, ob ich noch Menschen treffen werde, die Vertreibung, Flucht und Neubeginn in Neuseeland bewusst erlebt hatten oder womöglich als Kleinkinder ins Land gekommen waren. Durch Zufall traf ich schon in Sydney eine aus Bratislava ausgewanderte Auschwitz-Überlebende, die viele Jahre in Wellington gelebt hatte. Sie vermittelte mir erste Kontakte. Jüdische MigrantInnen siedelten sich im Wesentlichen in vier Städten - mit einer heute noch bestehenden jüdischen Gemeinde - an: Dunedin, Christchurch, Wellington und Auckland. Ich hatte das Glück, zahlreiche Personen kennenzulernen und interviewen zu können. Ergänzend dazu fand ich in den Archiven der erwähnten Städte Material - z. B. Interviews einer neuseeländischen Wissenschafterin mit österreichischen MigrantInnen -, das Einblick in die schwierige Zeit der Ankunft und Etablierung der ExilantInnen lieferte.
Redaktion: Wie viele JüdInnen österreichischer Herkunft - und anderswo aus Europa - emigrierten nach Neuseeland, und ab wann setzte die Flucht ein?
Wolfsberger: Insgesamt kamen rund 1.100 Flüchtlinge aus Zentraleuropa nach Neuseeland. Die Mehrheit von ihnen war jüdischer Herkunft. Aus Österreich waren es ungefähr 250 Personen. Nach Ausbruch des Kriegs war Neuseeland sehr strikt in der Aufnahme von Flüchtlingen, das heißt der größte Teil flüchtete zwischen 1936 und 1939. Ein sehr bekannter jüdischer Migrant war Sir Karl Popper. Er kam 1937 nach Neuseeland.
Redaktion: Wie wurden die ExilantInnen von der Bevölkerung aufgenommen?
Wolfsberger: Die Bevölkerung und die Regierung sahen in den Flüchtlingen generell weniger die Opfer Hitlers als vielmehr Angehörige einer feindlichen Macht. Einige landeten ebenso wie bereits lange in Neuseeland lebende Deutsche und ÖsterreicherInnen im Internierungslager auf Somes Island in der Bucht von Wellington. Die antideutsche Propaganda verstärkte das Misstrauen der Bevölkerung und machte es den Ankömmlingen schwer, sich zu integrieren.
Redaktion: Wie waren ihre beruflichen Chancen? Gab es zwischen den JüdInnen im Exil eine starke Vernetzung?
Wolfsberger: Für einige Berufsgruppen gab es Ausübungsverbote, bis die neuseeländischen Berechtigungen erbracht werden konnten. Dies betraf unter den MigrantInnen vor allem die relativ große Gruppe der ÄrztInnen. In den Akten der jüdischen Gemeinde gibt es zahlreiche Hilfsansuchen, aber auch Informationen über die Veräußerung von mitgebrachten Wertgegenständen - z. B. Musikinstrumenten - zur Abdeckung des Lebensunterhalts. Die lokalen jüdischen Gemeinden standen den Flüchtlingen ambivalent gegenüber. Einerseits wurde geholfen, andererseits gab es in Neuseeland einen latent vorhandenen Antisemitismus in der christlich-angelsächsisch orientierten Bevölkerung, und die etablierten jüdischen Gemeinden befürchteten, dass die Neuankömmlinge diese Ressentiments verstärken würden.
Redaktion: Im Rahmen des Symposiums wird Inge Woolf sprechen. Was ist ihr Hintergrund?
Wolfsberger: Inge Woolf musste als junges Mädchen mit ihren Eltern Wien verlassen. Sie migrierte über London nach Neuseeland, wo sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Ronald Woolf ein erfolgreiches Fotostudio aufbaute. Für das Projekt und auch das Symposium ist es von besonderer Bedeutung, dass sich Inge Woolf seit einigen Jahren sehr um die Aufarbeitung des Holocausts in Neuseeland bemüht und maßgeblich an der Gründung des Wellington Holocaust Research and Documentation Centres beteiligt war. Sie ist die treibende Kraft hinter der Gestaltung eines Ausstellungsraums zum Holocaust im jüdischen Gemeindezentrum in Wellington und engagiert sich als Zeitzeugin in Schulen. Am Symposium sprechen weiters der Zeitzeuge Kurt Fuchs, dessen Enkel Ben Weiss, Simon Woolf und Deborah Hart (die Kinder von Inge Woolf), die Generalsekretärin des Nationalfonds Hannah Lessing sowie Susanne Trauneck vom Jewish Welcome Service. (dh)
Die Österreichisch-Südpazifische Gesellschaft (OSPG) ist am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie angesiedelt, wo Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Hermann Mückler und Mag. Margit Wolfsberger forschen und lehren. Das Projekt "Flucht in die Südsee? Österreichische Migration nach Neuseeland und Ozeanien", gefördert vom Jubiläumsfond der Österreichischen Nationalbank, lief von 2006 bis 2008.
Symposium "Österreichisches Exil in Neuseeland"
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Jüdische Migration nach Neuseeland"
Montag, 11. Oktober 2010, 18 Uhr
Campus der Universität Wien
Seminarraum des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin
Spitalgasse 2-4, 1090 Wien
Programm (PDF)
Buchpräsentation "Meine zwei Leben" (Lotte Weiss)
im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Jüdische Migration nach Neuseeland"
Sonntag, 10. Oktober 2010, 11 Uhr
Jüdisches Museum Wien
Dorotheergasse 11, 1010 Wien
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