Fake News auf dem Prüfstand Politischer Bildung
| 18. Juni 2020Die "Infodemie" geht um: Rund um COVID-19 verbreiten sich aktuell jede Menge Falschnachrichten im Internet. Digitale Kompetenzen müssen daher schon früh geübt werden, finden Dirk Lange und Johanna Urban vom Zentrum für Lehrer*innenbildung, und holen das Thema Fake News in den Schulunterricht.
Ein Corona-Impfstoff, der von der Regierung zurückgehalten wird, oder die Pandemie als Folge eines missglückten US-Militärversuchs – Falschmeldungen wie diese haben aktuell Hochkonjunktur und treffen den Nerv verunsicherter Menschen (zur Panel-Studie der Universität Wien). Die WHO warnt bereits vor einer regelrechten "Infodemie" und der Kurznachrichtendienst Twitter überlegt, Tweets mit zweifelhaften Corona-Inhalten zu kennzeichnen, um die Nutzer*innen zu schützen.
Von Fake News besonders betroffen sind junge Menschen: "Sie informieren sich online und nutzen soziale Medien als Infokanal für aktuelle politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ereignisse", so die Politikdidaktiker*innen Dirk Lange und Johanna Urban von der Universität Wien. Im täglichen Medienkonsum die Falschinformation von der vertrauenswürdigen Meldung zu unterscheiden, sei daher eine Kernkompetenz und gehöre in den Schulunterricht.
Forschungsfeld Schule
Die Schule wurde also kurzerhand zum Austragungsort für ihr Projekt Digital Resistance (DIGIRES), das gleichzeitig in fünf europäischen Ländern (Österreich, Deutschland, Griechenland, Italien und Rumänien) durchgeführt wurde. Angelehnt an Konzepte des forschenden Lernens setzten sich Schüler*innen der Sekundarstufe 2 als "Mitforschende" über mehrere Monate hinweg mit der Geschichte, Merkmalen und Auswirkungen von Fake News auseinander, analysierten Verschwörungstheorien und entwickelten aus ihren Online-Recherchen mediale Produkte. Neben Videos in Eigenregie entstanden unter anderem Comics, eine Quiz-App, und ein Podcast.
Im Rahmen von DIGIRES erstellten Schüler*innen des Gymnasiums Werndlpark in Oberösterreich den mehrteiligen Podcast "Wenn der Fake zur Wahrheit wird". Der Podcast wurde im Oktober 2019 mit dem österreichischen Media Literacy Award ausgezeichnet. Zum Podcast auf Soundcloud
Spread the word
Die Schüler*innen konnten durch das Projekt ihr Bewusstsein für Falschmeldungen und die Mechanismen dahinter schärfen. Einige von ihnen waren sogar gemeinsam mit dem Projektteam in Brüssel, um DIGIRES vor dem Europarat zu präsentieren. Ihre Ergebnisse und gewonnenen Erkenntnisse gaben die Jugendlichen zudem im Rahmen von Aktionstagen an ihre jüngeren Mitschüler*innen weiter, vernetzten sich über Instagram (@digitalresistance.project) aber auch mit Schüler*innen aus den anderen im Projekt beteiligten Ländern. "Es entstand eine kleine länderübergreifende Community, die künftig für das Thema sensibilisiert ist", so Johanna Urban.
Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Im Sommersemester 2020 steht die Wirkung des Wortes im Mittelpunkt. Die abschließende Podiumsdiskussion dreht sich um die Frage, wie Sprache in Zeiten von Corona wirkt. Am 22. Juli 2020 diskutieren dazu: Sprachsoziologin Ruth Wodak, Kommunikationswissenschafter Jörg Matthes sowie Politikberater und Alumnus der Universität Wien Thomas Hofer. Mehr Infos zur Semesterfrage
Algorithmen als machtvolle Sprache
"Sprache drückt Macht aus und strukturiert soziale Beziehungen – auch im digitalen Raum. Wenn wir Algorithmen als Sprache verstehen und lesen, können wir auch nachvollziehen, warum bestimmte Werbeanzeigen oder (Fake) News in unserem Feed landen und welche Informationen gar nicht erst zu uns durchdringen", so Lange: "Filterblasen bergen nämlich die Gefahr, dass die Meinung, die ohnehin schon da ist, verstärkt wird. Das ist ein Problem für unsere demokratische Kommunikation und Partizipation, die einen kritischen Perspektivenwechsel benötigt und Dinge hinterfragt."
Mediendidaktik für Digital Natives
Der Didaktiker möchte Lehrer*innen daher ermutigen, die gesellschaftlichen Folgen der technischen Entwicklungen im Unterricht zu reflektieren: "In der Anwendung neuer Tools werden die Schüler*innen als Digital Natives den Lehrenden immer voraus sein, doch die Schule kann ihnen medienkritische Bildung mit auf den Weg geben und ihnen die Kompetenzen zur Digital Citizenship vermitteln." Die digitale Citizenship Education – mittlerweile auch auf der Agenda des Europarats – umfasst technische Fertigkeiten, aber auch die Orientierung in der digitalen Welt, die Fähigkeit, diese zu kritisieren und mitzugestalten.
Aktuell koordiniert der Arbeitsbereich Didaktik der Politischen Bildung das Erasmus+ Hochschulprojekt ERUM (Enhancing Research Understanding Through Media) in dem es – vor dem Hintergrund von Fake News – darum geht, die Informations- und Medienkompetenz von Studierenden zu stärken und sie für forschungsbasierte Kommunikation zu sensibilisieren. Zudem soll durch das Projekt die strukturierte Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Medien in der Wissens- und Informationsgesellschaft gefördert werden.
Nachhaltige Forschung
In den letzten Jahren wurden vermehrt didaktische Materialien zum Thema Fake News erstellt, das Forscher*innenteam möchte dazu beitragen, die Auseinandersetzung mit Fake News noch stärker im Schulkontext zu verankern: Schon während des Projekts wurden Fortbildungen für die teilnehmenden Lehrkräfte organisiert. Es ist ein Portfolio mit individuellen Unterstützungsmaterialien sowie eine kommentierte Linksammlung für den schulischen Einsatz entstanden. Bald erscheint auch ein Handbuch zum kostenlosen Download, in dem Lehrende Anregungen und Tipps finden, um ein ähnliches Projekt mit ihren Lernendengruppen zu realisieren.
Am Ende haben alle etwas davon: "Wir konnten unsere didaktischen Konzepte in der Praxis beispielhaft umsetzen und erproben. Auf diesem Weg wirken unsere Forschungserkenntnisse dort, wo es sinnvoll ist – nämlich im Klassenzimmer." (hm)
Das Projekt Digital Resistance (DIGIRES) wurde vom Europarat und EU-Kommission unterstützt und in Österreich, Deutschland, Griechenland, Italien und Rumänien zeitgleich umgesetzt. Für Österreich waren Johanna Urban, BA MA und Univ.-Prof. Dr. Dirk Lange vom Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien beteiligt. Das Projekt lief vom 16. Juni 2018 bis zum 31. Oktober 2019.