Gemalt für die Ewigkeit
| 20. Juli 2020Was verraten uns Dekorationen auf Jahrtausende alten Holzsärgen über das Alltagsleben im Pharaonen-Reich? Wissenschafter*innen der Uni Wien sammeln und analysieren in ihrem FWF-Projekt unzählige Fundstücke aus der Nekropole von Beni Hassan und schließen damit eine wichtige Forschungslücke.
Riesige Pyramiden, prunkvolle Gräber und gut erhaltene Mumien – der Totenkult im Alten Ägypten ist Ausdruck einer längst vergangenen Hochkultur. Doch wer nun glaubt, dass nur die Elite der damaligen Gesellschaft – die Pharaon*innen und Priester*innen – aufwendig und nach genau vorgeschriebenen Regeln bestattet wurde, irrt. Denn auch bei Menschen aus der "Mittelschicht" wurde akribisch auf Details geachtet, um die Verstorbenen bestmöglich auf ein Weiterleben nach dem Tod vorzubereiten.
"Wenn es um das Leben von König*innen und Hochgestellten geht, wissen wir recht viel. Was den Alltag von Durchschnittsbürger*innen betrifft, gibt es aber noch viele offene Fragen", stellt Peter Jánosi vom Institut für Ägyptologie der Uni Wien klar. Einige davon könnten womöglich geklärt werden, indem man die letzten Ruhestätten der Betroffenen genau betrachtet. "Die gemalte und figurative Dekoration auf ihren Särgen beinhaltet viele wichtige Themen und Gegenstände des täglichen Lebens. Ihre Erforschung gewährt uns einen spannenden Einblick in eine völlig andere Zeit und Kultur", so der Leiter des Projekts "Gemalt für die Ewigkeit".
Die Nekropole von Beni Hassan gilt als einer der wichtigsten Friedhöfe in Mittelägypten. Sie ist vor allem für ihre insgesamt 39 Felsengräber (im Bild) bekannt, in denen Gaufürsten aus der Zeit des Mittleren Reichs (ca. 2030 bis 1640 v. Chr.) bestattet wurden. In der Ebene vor den Felsengräbern liegen rund 900 Schachtgräber für Beamt*innen und Bedienstete der Gaufürsten, die Anfang des 20. Jahrhunderts vom britischen Archäologen John Garstang ausgegraben wurden. (© flickr.com/NeferTiyi)
Scheintüren und Objektfriese
Im Gegensatz zu den großen Felsengräbern von Beni Hassan, die von Grabräubern schon vor langer Zeit geplündert wurden, blieben einige der Schachtgräber bis zu ihrer Öffnung unversehrt. Darin fanden Archäologen reich verzierte Holzkastensärge, die aufgrund des trockenen und stabilen Kimas unter der Erde teils noch gut erhalten sind. "Das gilt allerdings nicht immer für die darin liegenden Leichen, die nur in Leinentücher gewickelt und nicht mumifiziert wurden", erklärt Projektmitarbeiterin Uta Siffert.
Auf und neben den Särgen wurden typische Grabbeigaben platziert, beispielsweise kleine Holzfiguren, die alltägliche Tätigkeiten und Gegenstände zeigen. Die Särge selbst können außen und innen mit Dekorationen wie ornamentalen Rahmungen, Hieroglyphen, Darstellungen von Udjat-Augen ("Horus-Augen") oder architektonischen Elementen wie Scheintüren und Palastfassaden versehen sein. "Besonders interessant sind die sogenannten Objektfriese. Sie bilden ganz viele Objekte ab, die dem Toten im Jenseits nützlich sein sollten – etwa Kleidung, Gefäße, Sandalen oder Waffen", schildert Siffert.
Ein Beispiel für einen der Holzkastensärge aus Beni Hassan ist dieses schöne Exemplar, das gegenwärtig im Ägyptischen Museum in Kairo ausgestellt ist. Die darauf verewigten bildlichen Darstellungen lassen darauf schließen, dass es sich beim Verstorbenen um einen Arzt gehandelt hat. Sogar sein Name hat die Jahrtausende überdauert: "Nefery". (© flickr.com/Hyspaosines)
Kunsthistorische Analyse
All diese Details, die um und auf den Jahrtausenden alten Holzsärgen zu finden sind, wollen Jánosi und sein Team nun erstmals einer umfassenden kunsthistorischen Analyse unterziehen. "Ziel ist eine professionelle fotografische Dokumentation aller dekorierten Beni Hassan-Särge. Im Projekt werden wir ihre Ikonografie samt der Farbgebung und des Layouts untersuchen, mögliche stilistische Merkmale und künstlerische Entwicklungen herausarbeiten sowie Werkstätten oder Künstler identifizieren", fasst der Forscher zusammen.
Mit ihrer Arbeit schließen die Wissenschafter*innen eine große Forschungslücke. "Zu diesen Särgen gibt es bislang wenige Publikationen. Unser Projekt liefert aber nicht nur ein weiteres Puzzlestück für die ägyptologische Forschung, sondern leistet auch einen wesentlichen Beitrag, um diese äußerst interessanten Fundstücke zu dokumentieren und dadurch für die Nachwelt zu erhalten", betont Siffert.
Mühevolle Detektivarbeit
Für ihre Analyse können die Archäolog*innen unter anderem auf das MEKETREpository (siehe Kasten unten) zurückgreifen, eine Online-Datenbank von Reliefs und Malereien aus Gräbern hoher Beamter. "Sie bietet eine unschätzbare Informationsquelle zur Kunst des Mittleren Reichs und ist das Resultat zweier Vorgänger-Projekte. Auch unsere aktuellen Erkenntnisse werden dort einfließen", erläutert Siffert.
Im Moment stecken die Projektmitarbeiter*innen aber noch mitten in der Recherchephase. "Es ist nicht immer leicht, an das von uns gesuchte Material heranzukommen. Funde aus diesen Gräbern sind heute überall auf der Welt verstreut. Sie zu finden ist eine mühevolle Detektivarbeit. Einige Schätze verstecken sich in Privatsammlungen, andere lagern verstaubt in Kellern von Museen", meint die Expertin: "Unsere wichtigsten Quellen sind das Museum in Kairo und das Archiv des Garstang Museums in Liverpool. In Kairo waren wir schon, nach Liverpool geht es als nächstes." (ms)
Mit dem aktuellen FWF-Projekt schließen Peter-Christian Jánosi und sein Team unmittelbar an zwei Vorgängerprojekte an, die sich ebenfalls mit der Grabdekoration im Mittleren Reich befassten:
Im "MEKETRE-Projekt" wurden Reliefs und Malereien aus ca. 130 Gräbern hoher Beamter – insbesondere jener aus Beni Hassan – systematisch erfasst und in einer Online-Datenbank zusammengeführt, die frei im Internet zugänglich ist.
Das Projekt "Vom Bild zum Abbild" sollte anschließend klären, ob bzw. inwiefern die Darstellungen in den Gräbern mit den physischen Objekten, die den Verstorbenen als Grabbeigaben mitgegeben wurden, übereinstimmen.
Das FWF-Projekt "Gemalt für die Ewigkeit" unter Leitung von Peter Jánosi, Professor für Ägyptologie am Institut für Ägyptologie der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, läuft von 1. Februar 2019 bis 31. Jänner 2023. Projektmitarbeiterinnen sind Uta Siffert und Lubica Hudáková, beide vom Institut für Ägyptologie.