Gravitationswellen: Ein neues Fenster zum All

100 Jahre mussten vergehen, bis eine der wichtigsten Konsequenzen der Einsteinschen Theorie verifiziert werden konnte: Gravitationswellen. In ihrem Gastbeitrag erklären die Physiker der Universität Wien Peter Aichelburg und Piotr Chruściel die Bedeutung dieser Entdeckung und Verbindungen zu Wien.

Mit der direkten Beobachtung der Gravitationswellen ist eine neue Ära angebrochen. Wie schon die Erfindung des Fernrohrs durch Hans Lippert und Galileo Galilei um 1600 und der Radio- und Röntgen-Astronomie im vergangen Jahrhundert, öffnet die Gravitationswellen-Astronomie ein neues Fenster zur Erkundung des Weltalls.

An der Universität Wien gibt es eine lange Tradition in der Erforschung der Einstein'schen Gravitationstheorie. Die direkte Messung von Gravitationswellen ist eine der wichtigsten Bestätigungen der Theorie und wird auch der Gravitationsphysik in Wien neue Impulse geben. Denn um diese Wellen beobachten zu können, bedarf es theoretischer Vorhersagen, die aus mathematischen Untersuchungen über die Struktur der Theorie und ihrer Anwendungen resultieren. Gravitationsphysik an der Universität Wien

Schon seit September rumort es in der Scientific Community – jetzt ist es Gewissheit: Am 14. September 2015 haben die zwei Gravitationswellen-Detektoren, der eine in Hanford, im US-Staat Washington, der andere in Livingston, Louisiana, gleichzeitig charakteristische periodische Signale empfangen. Seitdem haben zahlreiche MitarbeiterInnen des sogenannten "Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory", kurz LIGO, untersucht, ob es sich bei den Signalen tatsächlich um Gravitationswellen handelt.

Nach eingehender Analyse wurde am 11. Februar 2016 schließlich das Ergebnis dieser aufwändigen Untersuchung bekannt gegeben: Ja, es war eine Gravitationswelle, die über die Detektoren hinweg gegangen ist. Damit ist es erstmals gelungen, diese – von Einstein selbst bereits 1918 vorhergesagten – Wellen direkt nachzuweisen.

Was sind Gravitationswellen?

Was aber sind Gravitationswellen und warum war es so schwierig, sie nachzuweisen? Einstein hat die Wirkung der Gravitation auf geometrische Eigenschaften des Raums, besser der Raumzeit, zurückgeführt. Gravitationswellen sind (kleine) Störungen in der Geometrie, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen. Sie bewirken, dass sich der Abstand zwischen frei beweglichen Körpern beim Durchgang der Welle ändert. Diesen Effekt machen sich die LIGO-Detektoren zu Nutze, indem sie die relative Verschiebung zwischen zwei im Vakuum frei hängenden Spiegeln messen.

Allerdings war die gemessene Verschiebung extrem klein, an der Grenze der Messbarkeit der Apparatur: Die Armlänge der Interferometer und damit der Abstand der Spiegel beträgt ca. 4 km, die gemessene relative Verschiebung hervorgerufen durch die Gravitationswelle aber nur ca. 0.00000000000000001 cm, was zehntausendmal kleiner ist als die Teilchen, die den Atomkern aufbauen (Anmerkung: je weiter die Spiegel voneinander entfernt sind, umso größer der Effekt).

Man kann sich die enorme experimentelle und technische Leistung vorstellen, die diese Messung ermöglichte. Aber auch Theoretiker haben dazu beigetragen: Denn um das Signal aus den Hintergrundstörungen herauszufiltern, bedarf es einer möglichst genauen Kenntnis des zu erwartenden Signals.


Übrigens: Ein Spin-off der Universität Wien, die Wiener Firma Crystalline Mirror Solutions (CMS), arbeitet seit einiger Zeit mit den LIGO-ForscherInnen und anderen internationalen Gravitationswellen-Observatorien zusammen. CMS, ein führender Hersteller von Hochpräzisionsoptik für Lasersysteme, verwendet eine patentierte Spiegeltechnologie, mit der die weltweit rauschärmsten Spiegel hergestellt werden. (Bild: Optischer Resonator mit kristallinen Superspiegeln/Brad Baxley, Part to Whole, Boulder, CO, USA)

"Wir freuen uns sehr über den Erfolg unserer Partner von LIGO und haben auch schon persönlich gratuliert", sagt Markus Aspelmeyer, einer der Gründer von CMS und Quantenphysiker an der Universität Wien. "Die aktuelle Messung wurde noch nicht mit unseren Spiegeln durchgeführt, aber wir arbeiten mit den LIGO-ForscherInnen an der nächsten Generation von Gravitationswellen-Detektoren mit noch höherer Auflösung, bei denen unsere Spiegel zum Einsatz kommen werden."

"Die Detektion von Gravitationswellen durch LIGO erfordert exzellente optische Komponenten, die aus einer engen Kollaboration von akademischer und industrieller Forschung hervorgegangen sind", erklärt Greg Harry von der American University in Washington und langjähriges Mitglied der LIGO-Forschungsgruppe. Gemeinsam mit CMS will man noch bessere optische Beschichtungen entwickeln und in künftigen Gravitationswellendetektoren verwenden: "Bessere Beschichtungen werden zu einer noch höheren Messgenauigkeit für Gravitationswellen führen und zu weiteren aufregenden Entdeckungen in der Astronomie", so der LIGO-Forscher.


Ironie: Einstein selbst zweifelte

In seiner Arbeit von 1918 hat Einstein gezeigt, dass Gravitationswellen durch bewegte Massen entstehen, und dass diese Energie transportieren, analog zu elektromagnetischen Wellen. Im täglichen Leben merken wir davon nichts, weil ihre Stärke viel zu gering ist. Selbst Gravitationswellen, die durch die Bewegung der Erde um die Sonne oder durch die Bewegung anderer Planeten erzeugt werden, sind zu vernachlässigen. Da bedarf es schon virulenter Ereignisse wie das Aufeinandertreffen von Neutronensternen oder schwarzen Löchern. Das LIGO-Projekt sucht nach Signalen, die von sich eng umkreisenden kompakten Objekten ausgesandt werden. In der Endphase wird diese Rotation immer schneller bis sie schließlich, unter Ausstoß starker Gravitationswellen, zusammenfallen.

Am ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen waren auch AbsolventInnen der Universität Wien beteiligt: Die Theoretischen PhysikerInnen Sascha Husa und Michael Pürrer absolvierten beide ihr Doktoratsstudium an der Universität Wien, Patricia Schmidt und Gernot Heißel ihr Masterstudium. Sie arbeiten nun an Forschungsinstituten in Deutschland, Spanien, Großbritannien und den USA und sind Teil der mehr als 1.000 WissenschafterInnen umfassenden "LIGO Scientific Collaboration".

Bei der Pressekonferenz am 11. Februar berichtete das LIGO-Team, dass, die Geräte in Hanford und in Livingston genau im selben Augenblick ein solches Signal empfangen haben. Aus den Daten lässt sich ablesen, dass die Strahlung  durch zwei schwarze Löcher, eines mit 29 und das andere 36 Sonnenmassen erzeugt wurde. Das neu entstandene schwarze Loch hat ca. 62 Sonnenmassen, was bedeutet, dass ca. 3 Sonnenmassen in Bruchteilen von Sekunden in Form von Gravitationswellen abgestrahlt wurden. Auch die Entfernung des Ereignisses konnte mit 1,3 Milliarden Lichtjahren abgeschätzt werden.

Bereits 1993 wurde der Nobelpreis für Physik für den indirekten Nachweis von Gravitationswellen vergeben. Denn Einstein leitete bereits in der erwähnten Arbeit seine berühmte "Quadrupol-Formel" her, die die Stärke der abgestrahlten Gravitationswellen angibt. 1974 entdeckten zwei amerikanische Astronomen mit dem großen Radio-Teleskop von Arecibo auf Puerto Rico (der Öffentlichkeit bekannt aus einem der James Bond Filme) ein Doppelsternsystem, dass heute unter dem Namen "Hulse-Taylor-Pulsar" bekannt ist. An diesem System konnte der Energieverlust durch Abstrahlung von Gravitationswellen in unglaublich guter Übereinstimmung mit der Formel von Einstein beobachtet werden. Es ist eine Ironie, dass Einstein später selbst, in einer Arbeit mit Nathan Rosen 1936, die Existenz von Gravitationswellen angezweifelt hat.

Kann man mit Graviationswellen Wasser kochen?

Aber auch zu Wien gibt es eine Beziehung, denn ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis der Natur von Gravitationswellen geht auf Sir Hermann Bondi zurück. Geboren 1919 in Wien, emigrierte er 1937 nach England, wurde während des 2.Welkriegs als "feindlicher Ausländer" interniert, arbeitete dann aber an der Entwicklung des Radars maßgeblich mit. Nach 1945 bis zu seinem Tod war er Professor in London und Cambridge und auch Berater der Königin. Seine theoretischen Arbeiten über Gravitationswellen sind heute ein fester Bestandteil in Lehrbüchern über Gravitationstheorie. Angeblich hat er seine Studien mit dem Ausspruch "man kann mit Gravitationswellen Wasser kochen" quittiert, was wohl etwas übertrieben ist.

Eine neue Ära bricht an

Der Nachweis mit den LIGO-Detektoren wurde möglich, weil die Sensitivität im letzten Jahr um das  vierfache erhöht werden konnte. Aber auch andere Detektoren suchen den Himmel nach Gravitationswellen ab: GEO600 steht nahe Hannover mit einer Armlänge von nur 600 Metern, was es noch schwieriger macht, Signale zu erkennen. Oder VIRGO, eine französisch-italienische Kollaboration, in der Nähe von Pisa, deren Instrument mit einer Nachrüstung gerade getestet wird und in der nahen Zukunft Daten liefern sollte. Ein weiteres Instrument wird gerade in Japan gebaut, und es besteht Hoffnung für den Bau einer Anlage in Australien. Dieses Netz von Detektoren wird es erlauben, Ort und Art der Quelle genau zu bestimmen.

Ein weiterer spektakulärer Schritt wurde bereits unternommen: Satelliten im All als Detektoren zu verwenden. eLISA, ein von der Europäische Raumfahrt Agentur (ESA) geplantes, eine halbe Milliarde teures Observatorium soll 2034 im All errichtet werden (ursprünglich ein Gemeinschaftsprojekt mit der NASA, die sich aber zurückgezogen hat). Ein Test-Satellit, der LISA Pathfinder, wurde bereits erfolgreich am 3. Dezember 2015 gestartet und ist auf dem Weg zu seinem Beobachtungsort. Er soll die erforderliche Technologie für die Detektoren testen. (red)

Lesetipp: Im "derStandard.at"-Chat beantwortete Peter Christian Aichelburg Userfragen zum Sensationsnachweis.

Über die AutorInnen: Univ.-Prof. i.R. Dr. Peter Christian Aichelburg und Univ.-Prof. Piotr T. Chrusciel, MSc PhD (Gruppensprecher) forschen und lehren in der Gruppe Gravitationsphysik an der Fakultät für Physik der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind mathematische und geometrische Eigenschaften der Allgemeinen Relativitätstheorie.