Krähen mit Tradition

Sie klauen Jausensackerln von BesucherInnen und naschen bei den Tierfütterungen mit. Die Rede ist von den über 300 wilden Krähen, die im und rund um den Tiergarten Schönbrunn leben. Wie die schlauen Tiere ihr Wissen an Artgenossen weitergeben, untersucht ein aktuelles WWTF-Projekt.

"Keine Krähe würde sich direkt vor einen Tiger setzen und ihm das Futter klauen. Sie scheint genau zu wissen, wie gefährlich das ist", erklärt Thomas Bugnyar vom Department für Kognitionsbiologie: "Im aktuellen WWTF-Projekt 'Modeling social transmission' interessiert uns nun, von wem die Schönbrunner Krähen dieses 'Insider-Wissen' haben und wie sie es weitergegeben." Vielleicht haben die Schönbrunner Krähen ja schon im 19. Jahrhundert den kaiserlichen TiergartenbesucherInnen die Jause geklaut – und ihre Tricks von Generation zu Generation vererbt.

Die Krähen identifizieren

Im Projekt steht die Frage im Zentrum, ob Krähen von allen Artgenossen gleichermaßen gut lernen, oder ob sie bestimmte Individuen als Vorbilder bevorzugen, wie zum Beispiel ältere Tiere. Dazu müssen die WissenschafterInnen die Krähen zunächst voneinander unterscheiden können und ihr Sozialgefüge "entschlüsseln". Das gelingt über Farbringe, mit denen Projektleiterin Christine Schwab und ihre MitarbeiterInnen die Schönbrunner Rabenvögel in der ersten Projektphase markieren.

Draufgänger oder Angsthase?


Derzeit sind die WissenschafterInnen dabei die Vögel in sogenannten Drop-in-Cages einzufangen und sie anschließend zu markieren und vermessen, u.a. Größe, Flügelspannweite und Alter. Zusätzlich führen die ForscherInnen Persönlichkeitstests durch, wobei sie zum Beispiel die Krähen auf den Rücken legen und danach gleich wieder losgelassen. "Manche – die Mutigen – fliegen sofort los, sobald sie frei sind, andere bleiben noch ein wenig liegen, agieren also vorsichtiger", so Thomas Bugnyar, der 2007 den START-Preis erhalten hat und sich auch im Rahmen seines noch bis 2014 laufenden START-Projekts mit den Verhaltensweisen von Rabenvögeln beschäftigt.

Wenn alle Vögel erfasst sind, führt das Team um Schwab und Bugnyar Lernexperimente mit den Tieren durch. "Dabei handelt es sich um recht einfache Futterapparate", so Schwab: "Sobald eine Krähe auf eine bestimmte Art und Weise einen Hebel betätigt, öffnet sich eine Luke und Futter fällt heraus. Wir können messen, wer diese Technik wie schnell und wie gut beherrscht." Dazu sind drei Kameras fix rund um die Futterapparate im Tiergarten installiert, die die Tiere rund um die Uhr beobachten.


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"Fokus Kognition"



Wie verhalten sich zum Beispiel jene Vögel, die laut Persönlichkeitstest vorsichtig sind? Lernen sie von den Mutigen? Oder umgekehrt? Haben die in der Hierarchie höheren Vögel Vorbildwirkung oder kommt dieses Privileg den Älteren zu? Das herauszufinden ist das Ziel des dreijährigen WWTF-Projekts. Dabei bauen die ForscherInnen auf dem Vorgängerprojekt von Thomas Bugnyar auf, das ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Tiergarten Schönbrunn durchgeführt wurde. "Eine derart umfassende Verhaltensstudie von freilebenden Krähen in Großstädten ist bis dato noch nicht durchgeführt worden", freut sich Bugnyar.


Enge Kooperationen


Das Projekt wird in enger Kooperation mit Regina Pfistermüller, Kuratorin im Tiergarten Schönbrunn, durchgeführt. Grundlagenforschung an Krähen im Tiergartengelände zu ermöglichen, hat für den Zoo durchaus Relevanz: Ein besseres Verständnis der Vögel soll helfen, diese etwas "zu frechen" Tiere besser in den Griff zu bekommen. Unterstützt wird das österreichische Forschungsteam weiters von William Hoppitt von der University of St. Andrews (Schottland): Er ist Spezialist für soziale Netzwerkanalyse und spezielle statistische Berechnungen und modelliert die Informationsweitergabe bei Krähen – unter Bedingungen, wie sie im Tiergarten herrschen. "Inwieweit die Modelle dann zutreffen, das wollen wir eben herausfinden", so die Projektleiterin Schwab.

Neue Traditionen?

"Sobald wir mehr Informationen über die Schönbrunner Krähen haben, können wir natürlich viel besser mit ihnen umgehen", ist Bugnyar überzeugt: "Sie sind ja Lernvögel. Also sollte es auch möglich sein, ihnen beizubringen, bestimmte Dinge nicht zu tun, z.B. Muttertiere während der Jungenaufzucht zu stören, Müllsäcke aufzureißen oder Futter zu klauen." Das braucht natürlich noch Zeit, und vor allem Forschungsergebnisse, bevor die WissenschafterInnen aktiv mit den Vögeln arbeiten werden, um ihnen dann vielleicht sogar neue "Traditionen" anzugewöhnen.

Die Kultur der Tiere


Die grundlegende Idee hinter dem WWTF-Projekt, das innerhalb des Forschungsschwerpunkts "Cognition, Brain, Behaviour" an der Universität Wien läuft, ist das Wissen über die Kultur der Tiere zu vertiefen. Definiert man Kultur relativ breit als zweites Vererbungssystem, in dem Informationen nicht über Gene, sondern sozial weitergegeben werden, dann kann man die Ansätze gut an Tieren studieren. So haben die Schönbrunner Krähen möglicherweise andere Methoden und Taktiken entwickelt, um an Nahrung und Futter heran zu kommen, als ihre Artgenossen in anderen Parks. "Wir interessieren uns nun dafür, wie diese örtlich spezifischen Verhaltensweisen überhaupt entstehen", erklärt Thomas Bugnyar abschließend. (td)


Dieser Artikel ist auch in der aktuellen Ausgabe von "univie" (Alumni-Magazin der Universität Wien, nr 02/12 juni – okt 2012) erschienen.



Das dreijährige WWTF-Projekt "Modeling social transmission: how relationships, group size and group structure influence social learning in wild and captive corvids" unter der Leitung von Mag. Dr. Christine Schwab vom Department für Kognitionsbiologie startete im Februar 2012 im Rahmen des Cognitive Sciences Call 2011. Weiters beteiligt sind Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Bugnyar, stellvertretender Leiter des Departments für Kognitionsbiologie, der gemeinsam mit Christine Schwab die im Rahmen des Projekts durchgeführten Dissertationen von Rachael Miller und Sarah Deventer betreut.