Krebsforschung: Hat der Schimmel auch sein Gutes?
| 30. April 2012Schimmelpilze haben keinen sonderlich guten Ruf. Still und leise verbreiten sie sich auf unseren Lebensmitteln und machen sie damit ungenießbar. Doch Schimmelgifte sind nicht nur schädlich. Die Toxikologin Rita Dornetshuber untersucht ihre positive Wirkung im Kampf gegen tödliche Krebszellen.
Im Getreide, im Müsli und sogar in Babynahrung findet sich das Gift von Schimmelpilzen: Die sekundären Stoffwechselprodukte – sogenannte Mykotoxine – richten häufig massive Getreideschäden an und sind eine Gesundheitsgefahr für Mensch und Tier, da sie äußerst hitzestabil sind und trotz Verarbeitung in den Lebensmitteln enthalten sein können.
Vielseitiges Gift
Daher überrascht es, dass über zwei dieser Giftstoffe der Feldpilzgattung Fusarium – nämlich Enniatin und Beauvericin – noch relativ wenig bekannt ist. "In meiner Dissertation habe ich diese beiden Naturstoffe deshalb genauer unter die Lupe genommen und dabei etwas Interessantes herausgefunden: Das Gift wirkt auf Krebszellen zytotoxisch – d.h. es kommt zum Zelltod – während sich gesunde Zellen relativ resistent zeigen", erzählt Rita Dornetshuber vom Department für Pharmakologie und Toxikologie. Aufgrund dieser potenziell chemotherapeutischen Wirkung der Pilzgifte hat sich die junge Forscherin in Richtung Krebsforschung gewandt: Seit November 2011 untersucht sie die Naturstoffe im Rahmen des Herta-Firnberg-Projekts "Antikarzinogene Wirkung von Enniatin und Beauvericin".
Hertha-Firnberg-Stipendiatin Rita Dornetshuber |
Keine Resistenz
Im fortgeschrittenen Stadium können viele Krebsarten aufgrund der sogenannten "Multidrug-Resistenz" – einer generellen Unempfindlichkeit gegen Chemotherapie – nur schlecht bekämpft werden. Grund dafür ist, dass in der Zellmembran lokalisierte Exportsysteme, die sogenannten ABC-Transporter, diverse Chemotherapeutika wieder aus der Zelle pumpen. Die Medikamente können daher nicht mehr dorthin gelangen, wo sie wirken sollten. Hier kommen die Naturstoffe Enniatin und Beauvericin ins Spiel: Denn sie inhibieren diese gefürchteten ABC-Transporter. "Wir haben über ein Jahr lang Zellen gegen Enniatin und Beauvericin selektioniert – d.h. ihnen immer wieder eine geringe Dosierung der beiden Giftstoffe verabreicht: Die Zellen sind nicht resistent geworden, und obwohl die ABC-Transporter in hoher Zahl vorhanden waren, haben sie die Stoffe nicht hinausbefördert", schildert die Toxikologin ihre Forschungserfolge.
Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter April 2012. Lesen Sie auch: > "Die verlorene Sprache" > "TäterInnenforschung: Das Konzentrationslager als Arbeitsplatz" |
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Kranke Zellen sterben
Dornetshuber hat außerdem gezeigt, dass Enniatin genauso wie Beauvericin einen programmierten Zelltod über den "mitochondrialen pathway" herbeiführt: "Sind die Zellen z.B. 24 Stunden lang dem Pilzgift Enniatin ausgesetzt, entfaltet sich dessen tödliche Wirkung." Interessant ist, dass das Protein p53 keinen Einfluss auf die zytotoxische Wirkung des Gifts hat. Dieser sogenannte "Wächter des Genoms" sorgt normalerweise dafür, dass Reparaturmechanismen in Gang gesetzt werden. Falls der Schaden bereits zu groß ist, leitet es den Zelltod ein. Waren die Zellen im Experiment nur kurz – d.h. bis zu acht Stunden – mit dem Gift inkubiert, zeigte es hingegen eine wachstumsstimulierende Wirkung.
DNA bleibt unberührt
Doch über welche molekularen und zellulären Mechanismen der Zelltod herbeigeführt wird, ist noch unklar. "Genauer zu untersuchen und auszutesten, wo die Angriffspunkte liegen, ist deshalb das vorrangige Ziel des Projekts", erklärt Dornetshuber. "In Experimenten haben wir bereits gezeigt, dass im Gegensatz zur klassischen Chemotherapie, die DNA hier nicht das primäre Angriffsziel ist." Erst wenn die genaue Wirkungsweise der Pilzgifte bekannt ist, können die Substanzen zum Arzneimittel weiterentwickelt werden. "Wir vermuten, dass es sich hierbei um einen sogenannten 'Histondeacetylaseinhibitor' handeln könnte. Das heißt, die Mykotoxine bergen großes therapeutisches Potenzial für die Krebsbehandlung", freut sich die junge Forscherin.
Von in vitro zu in vivo
Bis aus den Pilzgiften Medikamente für die Chemotherapie entwickelt werden können, wird es aber noch dauern. "Zunächst besteht die Herausforderung darin, was wir bis jetzt 'in vitro' – das heißt bei humanen Krebszellen in Zellkulturen – ausgetestet haben, auf 'in vivo' – das heißt auf Mausmodelle – zu übertragen", so die Hertha-Firnberg-Stipendiatin, deren Forschungsergebnisse nicht nur einen wichtigen Beitrag für die Krebsforschung, sondern auch zur Risikobewertung der Giftstoffe in unseren Lebensmitteln liefern. "Denn bis jetzt gibt es nur wenige Studien über die Folgen von Schimmelpilzgiften für die menschliche Gesundheit." (ps)
Das Projekt "Antikarzinogene Wirkung von Enniatin und Beauvericin" unter der Leitung von Mag. Dr. Rita Dornetshuber vom Department für Pharmakologie und Toxikologie, in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von A.o. Univ.-Prof. Dr. Walter Berger vom Institut für Krebsforschung der Medizinischen Universität Wien, wird im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programms des FWF finanziert und läuft von 10. Oktober 2011 bis 09. Oktober 2016.